Grüner Koalitionspartner rückt von Kurz ab
7. Oktober 2021Die Spannungen in Österreichs konservativ-grüner Regierungskoalition wachsen. Während die Volkspartei (ÖVP) laut Bundeskanzler Sebastian Kurz das Koalitionsbündnis fortsetzen will, ist die Haltung der Grünen derzeit noch nicht klar. Der Juniorpartner zweifelt an der Handlungsfähigkeit des Kanzlers und will am Freitag mit den Fraktionschefs der anderen Parlamentsparteien über das weitere Vorgehen beraten.
Sondersitzung des Nationalrats
"Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund infrage gestellt. Wir müssen für Stabilität und Ordnung sorgen", sagte Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler. Den Gesprächen mit den Fraktionschefs wolle er nicht vorgreifen. Klarheit darüber, wie es mit der Regierung weitergeht, sollte es spätestens am Dienstag geben, wenn der Nationalrat zu einer Sondersitzung zusammentritt.
Kurz, der die Korruptionsvorwürfe vehement bestreitet, will das Kanzleramt in Wien jedenfalls nicht räumen. "Ich hoffe, dass wir weiterhin stabile Verhältnisse in unserem Land haben", sagte er. Die ÖVP stehe zu der Regierung. Man habe in den letzten eineinhalb Jahren gut zusammengearbeitet, die schwierige Phase der Pandemie gemeistert und zuletzt eine Steuerreform auf den Weg gebracht. "Wenn die Grünen die Zusammenarbeit nicht fortsetzen wollen, sich andere Mehrheiten im Parlament suchen wollen, dann ist das zu akzeptieren", sagte Kurz.
Am Mittwoch hatte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt bekanntgegeben, dass gegen Kurz nun auch in einem zweiten Verfahren ermittelt werde. Diesmal gehe es um den Verdacht der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung.
Geschönte Umfragen
Konkret sollen mit Geldern des konservativ geführten Finanzministeriums seit 2016 Anzeigen in einer Zeitung im Gegenzug für geschönte Umfragen finanziert worden sein. Dies soll Teil eines Plans gewesen sein, mit dem Kurz zunächst die Macht in seiner Partei übernahm und in weiterer Folge Kanzler wurde. Belegt wird das laut Staatsanwaltschaft durch zahlreiche Textnachrichten von engen Vertrauten von Kurz. Kurz war bis 2017 Außenminister, bevor er im Mai 2017 das Ruder bei der ÖVP übernahm. Bei den Neuwahlen im Oktober 2017 ging die Volkspartei als stärkste Kraft hervor und er wurde Bundeskanzler.
Im Zuge der Ermittlungen fanden Razzien in der ÖVP-Parteizentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium statt. Neben dem Kanzler selbst stehen auch enge Mitarbeiter von ihm im Visier der Justiz. Gegen den 35-jährigen Kurz wird bereits wegen mutmaßlicher Falschaussage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ermittelt.
Grüne änderten ihre Meinung
Vizekanzler Kogler, der sich am Mittwoch mit Kritik noch zurückgehalten hatte und die Handlungsfähigkeit der Regierung als "voll gegeben" bezeichnete, fand nun scharfe Worte: "Damit ist eine neue Dimension erreicht. Der Eindruck ist verheerend, der Sachverhalt muss lückenlos aufgeklärt werden", sagte er.
Alle drei Oppositionsparteien, die SPÖ, die FPÖ und die Neos, fordern angesichts der Ermittlungen geschlossen den Rücktritt des Kanzlers. "Ich erwarte, dass er zurücktritt", sagte die Chefin der kleinsten Oppositionspartei Neos, Beate Meinl-Reisinger. Es gebe jetzt zumindest zwei Causen, wo Kurz als Beschuldigter geführt werde. "Das ist schon ein bissl viel, jetzt reichts". SPÖ und FPÖ haben zudem einen Misstrauensantrag gegen Kurz angekündigt.
Opposition will keine Neuwahlen
Neuwahlen fordern SPÖ und Neos nicht. "Es wären die dritten Neuwahlen innerhalb von vier Jahren", sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. "Nur weil das türkise System in einem Korruptionssumpf versinkt, heißt das nicht, dass Österreich alle zwei Jahre wählen muss".
nob/fab (rtr, dpa)