Razzia im österreichischen Bundeskanzleramt
6. Oktober 2021Österreichs Kanzler Sebastian Kurz steht laut Staatsanwaltschaft im Verdacht, sich mit Steuermitteln positive Medienberichterstattung erkauft zu haben. Neben Kurz werde auch gegen neun weitere Beschuldigte ermittelt. Das gab die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) in Wien bekannt. Am Morgen hatten Ermittler Hausdurchsuchungen unter anderem in der Parteizentrale der Regierungspartei ÖVP, im Kanzleramt und im Finanzministerium durchgeführt.
Gelder im Interesse von Kurz verwendet
Die Verdachtsmomente beginnen laut WKSTA im Jahr 2016, als der konservative Kurz als Außenminister begann, nach der Chefposition in der ÖVP und nach dem Kanzleramt zu streben. Den Ermittlern zufolge gibt es Hinweise, wonach Mittel des Finanzministeriums zur Veröffentlichung von "ausschließlich parteipolitisch motivierten, mitunter manipulierten Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens" im Interesse von Kurz verwendet wurden.
Außerdem wurden demnach mutmaßlich Zahlungen an ein Medienhaus geleistet - als "verdeckte Gegenleistungen für die den Beschuldigten tatsächlich eingeräumten Einflussmöglichkeiten auf die redaktionelle Berichterstattung in diesem Medienunternehmen."
Kurz hat den Korruptionsverdacht der Staatsanwaltschaft gegen ihn zurückgewiesen. "Ich bin überzeugt davon, dass sich auch diese Vorwürfe schon bald als falsch herausstellen werden", sagte der konservative Politiker dem Sender ORF.
ÖVP spricht von "Showeffekt"
ÖVP-Vize-Generalsekretärin Gaby Schwarz erklärte, bei dem Einsatz der Polizei gehe es um einen "Showeffekt". Die mit den Vorwürfen verbundenen Ereignisse lägen bis zu fünf Jahre zurück. Auch im Finanzministerium bestätigte ein Sprecher eine Razzia. "Allerdings nur in einer Abteilung und nicht wie kolportiert bei Finanzminister Gernot Blümel oder dessen Kabinett", sagte der Sprecher. Zudem würde der Vorwurf, dem die Hausdurchsuchung zugrunde liege, nicht in die Amtszeit des amtierenden Finanzministers fallen.
Der Chefredakteur des Magazins "Falter", Florian Klenk, schrieb auf Twitter: "Nach erster schneller Lektüre dieses Hausdurchsuchungsbefehls und der darin enthaltenen Chats kann man getrost sagen: Das geht sich jetzt mit der Koalition zwischen ÖVP und den Grünen nicht mehr aus. Game over."
Opposition fordert Sondersitzung
Nach den Razzien dringen die Oppositionsparteien auf eine Sondersitzung des Parlaments. Bundeskanzler Sebastian Kurz müsse sich neben der Justiz auch vor dem Parlament und der Öffentlichkeit verantworten, wird der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried in einer gemeinsamen Mitteilung von SPÖ, FPÖ und Neos zitiert.
"Die Vorwürfe der Justiz gegen Kanzler Kurz, seine engsten Mitarbeiter und die ÖVP sind schwerwiegend und einmalig in der Zweiten Republik. Der Bundeskanzler der Republik steht im Verdacht schwerer Straftaten, so etwas hat es noch nie gegeben", sagte der Politiker von Österreichs größter Oppositionspartei. Die Sondersitzung solle so rasch wie möglich stattfinden.
Gegen Kurz wird bereits ermittelt
Gegen Kurz laufen bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur sogenannten Ibiza-Affäre. Die Ibiza-Affäre hatte im Mai 2019 ein politisches Erdbeben in Österreich ausgelöst und zum Bruch der Regierungskoalition zwischen Kurz' ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ geführt. In der Folge kam es zu Neuwahlen in Österreich. Seit Januar 2020 regiert die ÖVP in einer Koalition mit den österreichischen Grünen.
Hintergrund war ein heimlich auf Ibiza gedrehtes Enthüllungsvideo, das zeigt, wie der damalige FPÖ-Chef und spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache vor der Parlamentswahl 2017 einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte im Gegenzug für Wahlkampfhilfe Staatsaufträge in Aussicht stellt.
nob/fab (rtr, afp, dpa)