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Warenströme und der Brexit

Erik Albrecht Sheffield
22. Februar 2018

Noch läuft der Handel zwischen Deutschland und Großbritannien ungehindert. Doch Speditionen und Häfen bereiten sich bereits auf den Brexit vor. Ihr Problem: Bislang weiß niemand, wie es wird. Erik Albrecht berichtet.

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Brexit Handel | Lothar Severyns auf der Fahrt nach Rotterdam
Lothar Severyns auf der Fahrt nach RotterdamBild: DW/E. Albrecht

Ein geübter Blick in den Rückspiegel, dann reiht Lothar Severyns seinen 40-Tonner erneut in die schier endlose Kolonne von LKW ein, die über die niederländische Autobahn zum Rotterdamer Hafen rollt. Seine Fracht ist für Großbritannien bestimmt. Der Fernfahrer wird allabendlich Teil der Handelsströme, die die Insel mit Europa verbinden. Immer öfter fährt dabei die Frage mit, wie der Brexit seine Touren verändern wird.

Noch ist die britische Regierung tief zerstritten darüber, welches Verhältnis zur Europäischen Union sie künftig anstrebt. Doch Premierministerin Theresa May hat in der Vergangenheit mehrfach bekräftigt, dass sie ihr Land aus Binnenmarkt und Zollunion führen möchte. Für Transporte nach Großbritannien würde der Hafen in Rotterdam damit zur EU-Außengrenze. In Brüssel kann sich kaum jemand vorstellen, dass das ohne Zollkontrollen funktionieren kann.

Einer der wichtigsten Wirtschaftskorridore Europas

"Das ist eine Katastrophe", sagt Lothar Severyns, kurz nachdem sein LKW die Grenze zu den Niederlanden überquert hat - ohne Halt und ohne Kontrolle im grenzenlosen innereuropäischen Warenverkehr. In Wochen mit Spätschicht fährt der 62-Jährigen jeden Abend von Krefeld bis zum Hafen in Rotterdam und wieder zurück. Vor dem EU-Binnenmarkt hätte er bereits an der holländischen Grenze gestanden.

Niederlande Hafen Rotterdam
Der Hafen von RotterdamBild: imago/teutopress

Die Entscheidung wird nicht nur Lothar Severyns‘ Arbeit verändern. Die Strecke nach Rotterdam ist Teil eines der wichtigsten Wirtschaftskorridore Europas. Schon in der Antike transportierten Händler hier Waren über Rhein und Maas in Richtung England. Heute fließen die Warenströme ungehindert von Mailand über die Rheinschiene bis in die Industriegebiete Nordenglands. "In den drei Stunden bis Rotterdam zählt man mit Sicherheit über 1000 LKW", sagt Severyns, während er im Schneckentempo einen Kollegen überholt. Es ist ein gigantisches Warenlager auf der Straße - dank dem Unternehmen auf beiden Seiten der Nordsee tags darauf weiterproduzieren können.

Just-In-Time Produktion in Gefahr

Der Brexit könnte gerade diese Art der Just-in-Time Produktion empfindlich treffen, fürchtet Rainer Goossens. "Heute wird die Sendung oft schon angemeldet, bevor sie produziert ist", sagt der Speditionskaufmann.  Sollten tatsächlich Zollkontrollen eingeführt werden, sei nicht mehr garantiert, dass Waren innerhalb von zehn bis zwölf Stunden in England seien. "Die ganze Überlegung wird also wieder dahin gehen, Pufferlager einzurichten."

Brexit Handel | Rainer Goosens (r.) disponiert täglich 10 bis 15 Fahrten nach Großbritannien
Rainer Goosens (r.) im Büro. Hier disponiert er die täglichen Fahren nach GroßbritannienBild: DW/E. Albrecht

10 bis 15 Fahrten disponiert Goossens täglich. Bislang ist das England-Geschäft der Spedition Stromps konstant. Der Statistik nach haben deutsche Spediteure 2017 sogar mehr Tonnen Fracht nach Großbritannien gebracht als im Jahr zuvor. Doch die Importe von der Insel sind um etwa acht Prozent eingebrochen. Manche deuten das bereits als einen Effekt des Brexit: Umfragen zufolge planen ein Drittel bis die Hälfte der Unternehmen in Europa und in Großbritannien, sich neue Zulieferer auf ihrer Seite der Nordsee zu suchen - als Schutz vor den Unwägbarkeiten des Brexit.

Große Verunsicherung

"Die Warenströme werden dadurch behindert", glaubt auch Geschäftsführer Wolfgang Stromps. "Es wird nicht mehr so flüssig gehen, wie wir das bislang hatten." Der 70-Jährige hat bereits miterlebt, wie Großbritannien seine Industrie abwickelte und das Geschäft mit der Insel zum Einwegverkehr wurde. Er selbst bedauert den Brexit. Das Land gehöre einfach zu Europa.

Brexit Handel |
Auf der Fahrt nach RotterdamBild: DW/E. Albrecht

Wenn er derzeit mit Kunden spricht, hört er viel Verunsicherung. Seine Spedition werde sich bald eben auch wieder um die Verzollung kümmern müssen, erwartet Stromps. "Mein Großvater hat immer gesagt: 'Da, wo ein deutscher Adler darauf ist oder eben der Zollstempel des englischen Zolls, da kannst du mehr dran verdienen als am Transport.'" Der Brexit wird der Spedition wohl mehr Arbeit bringen. Die Kosten wird die deutsche und die britische Wirtschaft tragen.

Neue Zollkontrollen?

Kurz vor der Nordsee fährt Lothar Severyns durch den Benelux-Tunnel. Dann ist er am Ziel: Hafen 612. Auf einem riesigen Parkplatz warten bereits in langen Reihen LKW-Anhänger auf ihren Abtransport nach Großbritannien. Dahinter lassen sich die Konturen der Fähre im Dunkeln erahnen. Bei Stellplatz J36 parkt Severyns seinen langen Sattelzug geschmeidig rückwärts ein. Dann springt er aus dem Führerhaus und entkoppelt den Trailer von seiner Zugmaschine.

Am anderen Ende des Verladeterminals wartet ein neuer Anhänger frisch aus England. Ein lauter Klick hallt durch das Führerhaus. Dann sind Zugmaschine und Anhänger verbunden. Zeit für die vorschriftgemäße Pause. Früher, vor dem EU-Binnenmarkt, wäre es jetzt erst richtig hektisch geworden, erinnert sich Severyns: Stempel erhalten bei verschiedenen Stellen, am Ende das Okay vom Zoll. "Das waren so Minimum zwei, drei Stunden."

Ausweichhafen hofft auf mehr Geschäft

Auf der anderen Seite der Nordsee peitscht der Wind Regen über die flache nordenglische Landschaft. Eine Lokomotive einer Deutschen Bahn-Tochter rollt langsam an den Kaianlagen in Immingham vorbei. Der Hafenbetreiber Associated British Ports (ABP) bereitet sich derzeit auf verschiedene Brexit-Szenarien vor. Der Hafen bei Kingston-Upon-Hull hofft auf mehr Geschäft nach Großbritanniens EU-Austritt. Denn wegen der berühmten Kreidefelsen ist in Dover kaum Platz für aufwändige Zollkontrollen. Ein Teil des Handels mit dem europäischen Festland könnte deshalb auf Häfen wie Hull ausweichen.

Doch an eine Rückkehr von langen Schlangen von LKW, die hier am Humber auf ihre Zollabfertigung warten, glaubt David Leighton von ABP nicht. "Nicht jeder Truck wird am Zoll seine Papiere zeigen müssen", sagt Leighton. "Wir sind heute viel weiter als in den 1980er Jahren. Sowohl technologisch, als auch, was die Abläufe betrifft."

Selbst Waren aus Übersee gebe der Zoll heute schon frei, während sie noch auf dem Schiff in Richtung Großbritannien schippern. Nur etwa ein Prozent werde bei der Ankunft im Hafen kontrolliert.

England Kent Hafen von Dover
Der Hafen von Dover bietet zu wenig Platz für aufwendige ZollkontrollenBild: Getty Images/Stringer/M. Lloyd

Mehr Bürokratie erschwert Zusammenarbeit

Doch selbst ohne lange Schlangen an der Grenze könnte der Brexit den Handel zwischen Großbritannien und EU gefährden, warnt der Ökonom Jonathan Perraton von der Universität Sheffield. "Der Binnenmarkt wurde geschaffen, weil man davon ausging, dass selbst kleine Dinge wie Wartezeiten am Zoll Produktionsprozesse entscheidend verteuern."

Der Firma Krohne in Duisburg bereitet genau das Sorgen. Krohne baut Messgeräte. Ein Werk der Firma steht in England. Für Sendungen nach Großbritannien ist es für Versandleiter Peter Krause bislang meist mit einer Mail an den Spediteur getan. Wenn das Land die Zollunion verlässt, fürchte Krause vor allem mehr Bürokratie. "Das würde bedeuten, wir müssten für jeden Kunden ein Zollpapier erstellen, wenn wir Pech haben." Krohne wird auch nach dem Brexit in Großbritannien produzieren. Das Know-How der Mitarbeiter des britischen Werks ist zu wichtig. Doch die Firma könnte bald neue Mitarbeiter für ihre Versandabteilung suchen.