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Goma - das Leben nach der Katastrophe

Jesko Johannsen, Goma26. November 2012

Die ostkongolesische Stadt Goma ist in der Hand der M23-Rebellen. Langsam normalisiert sich das Leben nach den Kämpfen wieder. Doch ob der Bürgerkrieg wirklich schon vorbei ist, bezweifeln viele.

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Auf den Straßen von Goma herrscht wieder Alltag - vorerst (Foto: Jesko Johannsen)
Bild: Jesko Johannsen

Die Luft ist stickig und drückt. Es riecht nach getrocknetem Blut. Jedes der zwölf Krankenbetten in dem Raum ist belegt. In dem Krankenhaus der privaten Organisation "Heal Africa" in Goma liegen die, die beim neu aufgeflammten Bürgerkrieg im Ostkongo verletzt wurden. Auf einer der Bettkanten sitzt der zwölfjährige Kakule. Er ist in sich zusammen gesunken und kriegt kaum ein Wort raus. In seinem rechten Arm steckt eine Infusionsspritze. Sein linker Arm ist ein Stumpf.

Der Junge war mit seiner Mutter auf dem Markt der Kleinstadt Notre Dame, als die Kämpfe losgingen. "Wir wollten wegrennen. Aber dann wurde aus immer neuen Richtungen geschossen. Wir wussten nicht, wohin, und ich habe meinen Sohn in dem Gewühl verloren", sagt Kakules Mutter, die neben seinem Bett steht. Dem Jungen wurde bei einer Granatenexplosion der Arm abgerissen. Mehrere Krankenhäuser hat sie nach ihm abgesucht, bis sie ihn in Goma wiedergefunden hat.

Katastrophe für die Stadt

Leiter und Gründer des Krankenhauses ist Dr. Jo Lusi. Ein robuster Mann mit weißem Strohhut. Er muss nicht zögern, um das passende Wort für das zu finden, was die Region um Goma in den letzten Tagen erlebt hat: "Für uns war es Armageddon. Die Menschen haben sich unter den Betten versteckt. Es war die größte Katastrophe, die Menschen in dieser Stadt erlebt haben."

Krankenhausleiter Dr. Jo Lusi (Foto: Jesko Johannsen)
Krankenhausgründer Dr. Jo LusiBild: Jesko Johannsen

Auf dem Hof des Krankenhauses steht ein verwundeter Soldat. Sein Arm ist von einer Gewehrkugel getroffen worden. Er hat für die kongolesische Regierungsarmee gegen die M23-Rebellen gekämpft, als er verwundet wurde. Sein Blick und seine Haltung sind unsicher. Seine Stimme zittert, wenn er über seine Zukunft spricht: "Ich möchte nicht über meine Meinung sprechen. Ich gehöre den Regierungstruppen an und muss behandelt werden. Danach werde ich wissen, was ich tun muss." Zu seiner Familie hat er schon lange keinen Kontakt mehr. Wie es seiner Frau und Kindern geht, weiß er nicht. Sie leben in Minova, einer ebenfalls umkämpften Stadt südlich von Goma.

Gegrillter Mais und Fische

Rund 150 Verletzte gab es durch den Krieg in Goma. Es ist ein kleines Wunder, dass es bisher nicht mehr Verwundete und Tote gab. Aber Jo Lusi ist pessimistisch: Die Krankenwagen von Heal Africa sind unterwegs auf den Straßen, an denen immer noch gekämpft wird. Sie sammeln die Verletzten ein. Die Organisation ist für viele die einzige Überlebenschance. "Alle, die eine Verletzung durch den Krieg haben, werden kostenlos behandelt und bekommen kostenloses Essen." Für ihn ist es eine Frage der Ehre: "Die Welt hat uns fallen lassen. Aber weil jeder Verletzte Kongolese ist, haben wir die Verantwortung, ihn zu behandeln."

Krankenhaus der Nichtregierungsorganisation Heal Africa in Goma (Foto: Jesko Johannsen)
Krankenhaus der Nichtregierungsorganisation Heal Africa in GomaBild: Jesko Johannsen

In Goma ist es wieder friedlich. Nichts deutet darauf hin, dass die Stadt im Ostkongo in der Hand von Rebellen ist. Hier und da sieht man Soldaten, uniformiert und mit automatischen Waffen. Es sind Mitglieder der M23-Rebellen, die die Stadt erobert haben. Aber man sieht keine schweren Waffen, die Rebellen haben keine Checkpoints eingerichtet und die Grenze zum benachbarten Ruanda wird von Beamten in Zivil verwaltet. Im Grenzposten hängt noch das Portrait von Kongos Präsident Joseph Kabila, den die M23-Rebellen stürzen wollen. Am Rand der desolaten Straßen aus Lavagestein werden Turnschuhe, gegrillter Mais und Fische aus dem Kivusee verkauft.

Die Menschen trauen sich zurück

Der kongolesische Künstler Chicu Lwambo ist zum ersten Mal seit einer Woche wieder in Goma. Er war mit seiner deutschen Frau nach Gisenyi auf der ruandischen Seite der Grenze geflohen, als die Kämpfe losgingen, er musste seine Familie zurücklassen. "Am meisten Sorgen hatte ich um meine Mutter. Ihr Haus ist nur aus Holz und wenn in der Nähe gekämpft wird, ist sie quasi ohne Schutz", erzählt er während der Autofahrt durch Goma.

Chiku Lwambo (r.) beim ersten Besuch nach der Einnahme Gomas bei seiner Mutter und seinem Bruder (Foto: Jesko Johannsen)
Chiku Lwambo (r.) beim ersten Besuch nach der Einnahme Gomas bei seiner Mutter und seinem BruderBild: Jesko Johannsen

Der Kampf um Goma hat viele Familien über die Grenze nach Ruanda hinweg getrennt. Langsam trauen sich die Menschen zurück, um nach ihrer Verwandtschaft zu schauen. Lwambo hat Glück. Seiner Mutter und seinem Bruder geht es gut, das Haus ist nicht in die Schusslinie geraten. Aber bei allen bleibt die Sorge, dass das bei neuen Kämpfen doch noch passieren könnte.

Menschen auf der Flucht

Und das, obwohl die UN-Friedenstruppe mit tausenden Soldaten in den Straßen von Goma unterwegs ist und vor schweren Waffen nur so strotzt. Die Einnahme der Stadt konnte sie aber nicht verhindern. Die Menschen leben zwar vorerst in Frieden, aber auch in Angst über die ungewisse Zukunft.

Kinder beim Murmelspielen im Flüchtlingslager Ngangi (Foto: Jesko Johannsen)
Kinder beim Murmelspielen im Flüchtlingslager NgangiBild: Jesko Johannsen

So wie Bienda Minawe. Er ist einer von zehntausenden Binnenflüchtlingen im Ostkongo. Jetzt ist er im Don Bosco-Flüchtlingslager in Ngangi. Auf dem Hof spielen Kinder mit halb kaputten Murmeln. Im Hintergrund gibt der qualmende Vulkan Nyiragongo eine imposante Kulisse. Seit fünf Monaten ist der 38-jährige Minawe auf der Flucht. "Hier im Lager sind unsere größten Probleme, dass wir nichts zu trinken, nichts zu essen haben und nachts wie Hunde draußen schlafen müssen." Trotzdem will er vorerst nicht wieder nach Hause. Sein Haus ist zerstört und nur im Lager fühlt er sich halbwegs sicher.

Rückkehr der Regierungstruppen?

Das Lager wird von dem Italiener Piero Gavioli geleitet. Rund 7500 Menschen sind hier registriert. Auch wenn sich die Flüchtlingszahlen stabilisieren, glaubt er nicht, dass sich die Situation verbessern wird. "Die meisten wollen nach Hause. Aber sie hören, dass die Regierungstruppen zurückschlagen wollen und trauen sich nicht aus dem Lager."

Bienda Minawe im Don Bosco-Flüchtlingslager in Ngangi (Foto: Jesko Johannsen)
Bienda Minawe im Don Bosco-Flüchtlingslager in NgangiBild: Jesko Johannsen

Im Krankenhaus von Heal Africa glaubt der Orthopäde Jo Lusi, dass sich die Situation in und um Goma so schnell nicht verändern wird. "Es wird noch mindestens ein Jahr dauern, bis es eine Lösung gibt. Es ist einfach, die Stadt einzunehmen, aber wieder rauszukommen ist eine schwere gymnastische Übung."