Kein Ende der Gewaltspirale in Sicht
29. Oktober 2013Das vergangene Wochenende in Bagdad war besonders blutig. Mehr als 40 Menschen starben bei zehn Autobomben-Anschlägen in der irakischen Hauptstadt. Die Terrorwelle am Sonntag (27.10.213) traf eine Bushaltestelle und mehrere Geschäftsviertel, in denen überwiegend Schiiten wohnen. Hinter den Attentaten werden sunnitische Extremisten vermutet. In anderen Landesteilen starben am selben Tag weitere 20 Menschen. Seit einigen Monaten schnellt die Zahl der Todesopfer von religiös oder politisch motivierten Anschlägen wieder dramatisch in die Höhe. Die UN-Unterstützungsmission im Irak (UNAMI) zählte von April bis Ende September mehr als 5200 Tote.
Frei von Anschlägen war der Irak seit dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 nie. Doch die Zahl der Sprengfallen, Autobomben und gezielten Morde war seit fünf Jahren nicht so hoch wie in den letzten Monaten. "Neu in diesem Jahr ist die Häufigkeit der Anschläge, die geographische Ausbreitung und vor allen Dingen die immer bessere Koordinierung", beschreibt der Irak-Experte der Friedrich-Naumann-Stiftung, Falko Walde, die Entwicklung. Allein im Oktober seien mehr als 600 Menschen gestorben, sagt der Mitarbeiter im jordanischen Regionalbüro der Stiftung im DW-Gespräch.
Jeder Anschlag vertieft die konfessionellen Gräben
Die Welle der Gewalt stürzt das Land immer weiter ins Chaos. Jede Bombe in einem schiitischen Viertel und jeder Mord an einem sunnitischen Vertreter vergrößern die ohnehin tiefe Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen. Unter Diktator Saddam Hussein war die schiitische Bevölkerungsmehrheit an den Rand gedrängt. Nun kontrollieren Schiiten die Schaltstellen der Macht, und Sunniten fühlen sich ausgegrenzt. Die Christen im Land sind zwischen die Fronten geraten. Zahlreiche Kirchen wurden niedergebrannt. Die Kurden im Norden des Landes ringen mit der Regierung in Bagdad um mehr Autonomie, halten sich aus dem konfessionellen Streit jedoch heraus.
In dem religiös aufgeladenen Konflikt mischt auch der schiitische Regierungschef Nuri Al-Maliki kräftig mit. Er geht gegen sunnitische Rivalen vor, sogar in seiner eigenen Regierung. So ließ er bei Interpol einen Haftbefehl gegen den einstigen irakischen Vize-Präsidenten Tarik Al-Haschimi ausstellen. Der sunnitische Politiker flüchtete ins Exil. Auch gegen den sunnitischen Finanzminister Rafi Al-Issawi ging der Premier vor. Er ließ dessen Mitarbeiter und Bodyguards festnehmen, weil sie angeblich in Terrorakte verwickelt waren. Für den Berliner Exil-Iraker Kadhim Habib, der früher das Arabisch-Europäische Institut für Forschung und Kommunikation leitete, ist Al-Maliki ein neuer Diktator. "Er ist ein Despot und er versucht, die Macht in den Händen zu behalten", schimpft Habib.
Ausländische Interessen verschärfen den Konflikt
Zwar sind die Spitzen der schiitischen und sunnitischen Parteien nach Einschätzung von Habib wohl nicht direkt in Bombenterror verwickelt. Sie nutzen ihm zufolge jedoch die Spannungen, um gerade vor Wahlen die Anhänger ihrer Konfession um sich zu scharen. Das trage zum Klima von Misstrauen und Unsicherheit bei. Zusätzlich verschärfe ausländische Einmischung die Spannungen. Die Türkei, Saudi-Arabien und einige Staaten der Golfregion unterstützten sunnitische Gruppen, der Iran fördere dagegen die Schiiten.
Zur Eskalation trägt auch der Konflikt im Nachbarland Syrien bei. "Der Bürgerkrieg in Syrien ist ein Stellvertreterkrieg, und dabei geht es um die sunnitisch-schiitische Machtbalance in der Region", erklärt Walde. Während die irakischen Sunniten mit den Regimegegnern in Syrien sympathisierten, sehe die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad einen möglichen Machtwechsel in Damaskus skeptisch. Die syrische Regierung ist ein enger Verbündeter des schiitischen Iran.
Der Konflikt im Irak ist nicht nur das Ringen zwischen zwei Lagern. Unter Sunniten wie Schiiten gibt es zum Teil verfeindete Gruppen. Deshalb können auch Schiiten das Ziel schiitischer Angriffe sein und Sunniten Opfer von Sunniten werden.
Düstere Zukunftsaussichten
Um die Gewaltspirale zu stoppen, müsste die Regierung nach Ansicht von Walde die religiösen und ethnischen Minderheiten politisch einbinden, statt sie auszugrenzen. Im April 2014 stehen die nächsten Parlamentswahlen an. Dann wäre es sinnvoll, wenn im Wahlkampf inhaltliche Programme im Vordergrund stünden. Die Wähler sollten über ethnische und konfessionelle Grenzen hinweg angesprochen werden. "Dann hätte man eine Chance, den Irak zu stabilisieren", meint Walde.
Danach sieht es bislang jedoch nicht aus. Die konfessionelle Zugehörigkeit wurde bei Wahlen bislang immer bewusst eingesetzt, um die eigene Klientel zu mobilisieren. Das könnte dem Experten der Naumann-Stiftung zufolge nun außer Kontrolle geraten. Sogar der kurdische Nordirak, der seit Jahren als vergleichsweise sicher galt, wird in diesen Sog hineingezogen. Der Irak-Fachmann befürchtet, dass die Anschläge weitergehen und dass die Opferzahlen weiter steigen. "Es gibt leider momentan keine Anzeichen, dass es gelingt, diesen Trend umzukehren."