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Politik

Wenn Twittern zum Sicherheitsrisiko wird

Helena Kaschel
10. September 2018

Nach Chemnitz nun auch Köthen: Wieder ist es offenbar auf einer Demonstration rechter Gruppen zu Übergriffen gegen Reporter gekommen. Journalisten-Organisationen schlagen Alarm.

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Chemnitz Demonstranten der rechten Szene
Demonstranten der rechten Szene vor einer Polizeikette in Chemnitz am 27. AugustBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Sonntagabend, eine Straße in Köthen, Sachsen-Anhalt: Marcus Engert spricht in seine Handykamera, sein T-Shirt ist am Ärmel zerrissen. Er sei erkannt und herumgeschubst worden, sagt der Journalist, der in der Kleinstadt ist, um über eine Demonstration zu berichten, nachdem ein 22-jähriger Deutscher nach einem Streit mit zwei Afghanen starb. Das Onlinemedium "Buzzfeed" twittert das Video mit der Ankündigung, die Berichterstattung werde nun abgebrochen, es sei für Journalisten "im Dunkeln zu gefährlich".

Auch der "taz"-Redakteur Martin Kaul ist an diesem Abend in Köthen unterwegs. Per Livestream berichtet er über die Zusammenkunft und die Brandrede des Ex-NPD-Mitglieds David Köckert. Auch Kaul wird nach eigenen Angaben zur Zielscheibe von Übergriffen seitens der Demonstranten. Die Polizei habe ihn aus der Situation geholt, berichtet er später auf Twitter.

Erst vor gut einer Woche kam es bei Kundgebungen in Chemnitz zu Übergriffen gegen Journalisten. In den sozialen Netzwerken kursierten Videos, in denen Reportern Teile ihrer Ausrüstung aus der Hand geschlagen werden, mehrere Anzeigen wurden eingereicht, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach von "Gewaltexzessen". Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) geht nach den Ausschreitungen davon aus, dass die Zahl der gewalttätigen Angriffe gegen Journalisten in Deutschland in diesem Jahr die der vergangenen beiden Jahre übersteigen wird. Man werde die dokumentierten Meldungen am Jahresende einer Prüfung unterziehen, "die hohe Zahl von Augenzeugenberichten lässt jedoch schon eine deutliche Zunahme der bestätigten Übergriffe erwarten", heißt es in einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Mitteilung.

"Diese Dynamik gibt es in anderen Ländern nicht"

Bei den Protesten in Chemnitz habe ein medienfeindliches Klima geherrscht, "wie wir es seit dem Beginn der Pegida-Bewegung im Jahr 2015 nicht mehr erlebt haben", wird ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske in der Mitteilung zitiert. Auffällig sei dabei nicht nur der quantitative Anstieg der Anfeindungen. "Besonders besorgniserregend ist, dass auf Demonstrationen von Rechten in Deutschland in letzter Zeit verstärkt große Menschengruppen Journalisten ins Visier nehmen, sie kollektiv beschimpfen und bedrängen. Diese Dynamik gibt es in anderen Ländern nicht", so Rediske.

Die Einschätzung, dass die jüngsten Anfeindungen eine neue Qualität mit sich bringen, teilt DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner. "Entscheidend bei den Ereignissen in Chemnitz und jetzt ja offensichtlich auch in Köthen ist, dass Journalisten gezielt angegriffen werden. Wir haben den Eindruck, dass sich in rechtsextremen Kreisen die Strategie bahnbricht, sich die Journalisten, die zur Berichterstattung bei Demonstrationen da sind, vorzunehmen und mit Gewalt gegen sie vorzugehen. Das ist nicht mehr ein spontaner Wutausbruch, sondern ein gezieltes, abgesprochenes Vorgehen."

Mit Personenschutz zur Demo

Er habe zwar keine Beweise dafür, dass Angriffe koordiniert oder vorab etwa im Internet geplant würden. Aber: "Wir wissen seit Jahren, dass es in der rechten Szene durchaus Netzwerke gibt, die Journalisten auf dem Kieker haben." Dass in der Szene Informationen über Journalisten gesammelt und auf Demonstrationen Reporter gefilmt und fotografiert würden, wie es von Reportern berichtet werde, sei kein Einzelfall.

Hass und Rassismus in Dresden

Die Gefahr, dass durch die Gewalt gegen Journalisten die Pressefreiheit gefährdet wird, sei "bereits ganz real", ist Zörner überzeugt. "Es gibt bereits erste Medien, die ihre Leute nicht mehr dahin schicken. Andere Medien stellen Journalisten Begleitschutz zur Verfügung, damit sie in die Demonstrationen hineingehen. Das ist ganz klar eine Einschränkung der Berichterstattung."

"Migrant und Journalist, das ist für einige zu viel"

Ein Reporter, der schon seit einiger Zeit nicht ohne Sicherheitspersonal auf Demonstrationen geht, an denen auch Rechtsextreme teilnehmen könnten, ist der DW-Journalist Jaafar Abdul Karim. Der gebürtige Liberier ist in den vergangenen Jahren mehrfach von Versammlungsteilnehmern sowohl körperlich als auch verbal angegangen worden. "Wenn ich in Krisenregionen unterwegs bin, brauche ich keine Security, in Berlin schon. Die Kombination aus Migrant und Journalist, das ist für einige zu viel", sagt Abdul Karim. Zudem bestehe inzwischen die Gefahr, dass er von gewaltbereiten Demonstranten erkannt würde. Seine Berichterstattung in Chemnitz musste er abbrechen, weil er alleine unterwegs war. "Ich hatte das Gefühl, ich muss mich ständig umschauen. Wenn du einen Aufsager für das Fernsehen machst, siehst du ja nicht, was hinter deinem Rücken passiert."

Auch die DW-Reporterin Linda Vierecke war in Chemnitz an einem Tag mit Sicherheitspersonal vor Ort. Obwohl man mit vielen Leuten gut habe reden können, sei sie froh um die Begleitung gewesen: "Sonst wäre ich nicht so nah herangekommen. Da hab ich mich schon sehr sicher gefühlt." Allerdings sei die Bereitstellung von Sicherheitspersonal auch eine Geldfrage - und damit eine Ressource, auf die nicht jeder Journalist zurückgreifen könne: "Welcher Sender kann sich das leisten, will sich das leisten?", so Vierecke. 

Polizei und Medien schieben sich den schwarzen Peter zu

Sowohl ROG als auch der DJV sehen die Polizei in der Pflicht, auf die steigende Gewalt zu reagieren. Sie sei nun "umso mehr gefordert, Journalisten zu schützen und ihnen ein störungsfreies Arbeiten zu ermöglichen", so Rediske. So müsse etwa in der Polizeiausbildung künftig "ein Schwerpunkt in Medienrecht und Umgang mit Journalisten gesetzt und in der Praxis darauf geachtet werden, dass Polizisten dies auch umsetzen." Ähnlich sieht es Zörner. "Wir sehen große Defizite in der Kenntnis der Polizeibeamten, was die Grundlagen des Presserechts angeht." Polizisten müssten darüber informiert sein, welche Aufgaben und Rechte Journalisten hätten. "Das scheint zumindest in Sachsen nicht überall der Fall zu sein." 

Deutschland Trauerzug in Köthen
Polizisten und Teilnehmer eines sogenannten Trauerzugs in der Köthener Innenstadt am 9. SeptemberBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

"Ich glaube eher, dass viele Journalisten nicht wissen, wo die Grenze ist", sagt dagegen Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Die Erwartungshaltung, mich als Reporter so dicht wie möglich ans Geschehen zu lassen und dann den Schutz der Polizei einzufordern, aber auch alles machen zu dürfen, weil ich ja meine, im Bereich von Pressefreiheit grenzenlos recherchieren zu dürfen, das ist glaube ich das Problem." Entscheidend sei die Frage: "Ab welchem Zeitpunkt muss sich ein Journalist zurückziehen, wenn es brenzlig wird?" 

Schutz kann "nicht in jeder Situation" gewährleistet werden

Zwar würde die Polizei "in dem Moment, wo einer zusammengetreten wird", nicht tatenlos zusehen, aber es sei aufgrund der Gemengelage und der Eskalationsgefahr bei großen Versammlungen "nicht in jeder Situation möglich, den notwendigen Schutz zu gewährleisten" oder direkt einzuschreiten - zumal es vorkomme, "dass die Gruppe der Versammlungsteilnehmer aggressive und auch Straftaten begehende Menschen auch noch schützt".

Immerhin: Journalisten könnten sich bei vielen Veranstaltungen bei einer Anlaufstelle der Polizei über die Sicherheitslage informieren und anhand dieser Informationen einschätzen, wo es gefährlich werden könnte. Malchow ermutigt Journalisten, die Opfer einer Straftat werden, "mit Beweismitteln zur Polizei zu kommen und das Verhalten auch zur Anzeige zu bringen". Eine rasche Kontaktaufnahme mit der Polizei nach einem Angriff fordert auch Zörner: "Da hat dann wirklich das persönliche Interesse des Journalisten Vorrang vor der Aktualität der Berichterstattung."

In Köthen hatte die AfD für Montagabend einen weiteren sogenannten Trauermarsch angekündigt. Auch ein DW-Reporterteam war vor Ort. Aufgrund der mutmaßlichen Übergriffe von Sonntag und der Ereignisse in Chemnitz wurden die Journalisten von einem Personenschutz begleitet. Sie waren angehalten worden, nicht auf ihren privaten Twitteraccounts zu berichten - aus Sicherheitsgründen.