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Politik

Nazis in Köthen: Grenzfall Meinungsfreiheit

Daniel Heinrich
10. September 2018

Nach dem Tod eines 22-jährigen Deutschen schwingen in einer ostdeutschen Kleinstadt rechte Demonstranten fremdenfeindliche Reden, gespickt mit Ressentiments gegen Behörden und Presse. Und bleiben trotzdem unbehelligt.

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Deutschland Tödlicher Streit in Köthen - Trauerzug
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Köthen in Sachsen-Anhalt wirkt auf den ersten Blick wie eine idyllische Kleinstadt. Zwischen Halle und Magdeburg gelegen, knapp 30.000 Einwohner, im Stadtzentrum prägen frisch renovierte Gründerzeithäuser das Bild, und auf der offiziellen Homepage preist Stadtmaskottchen "Halli" die Sehenswürdigkeiten der Umgebung an. Doch seit diesem Wochenende ist es mit der Idylle erst einmal vorbei.

In der Nacht zum Sonntag war ein 22-Jähriger Deutscher wegen Herzversagens zu Tode gekommen. Vorausgegangen war ein Streit zwischen mehreren Personen, die Polizei hatte zwei Männer aus Afghanistan in Gewahrsam genommen. Die genauen Hintergründe des Falles liegen bis jetzt im Dunkeln, dennoch nutzten rechte Parteien und Gruppierungen einen zunächst friedlichen  "Trauermarsch" am Sonntag für Hass und Hetze. Rund 2.500 Menschen hatten sich an dem Marsch beteiligt.

Grenzfall Köckert-Rede

Insbesondere David Köckert, bekannter Neonazi aus Thüringen und ehemaliges NPD-Mitglied, fiel mit hasserfüllten Ausfällen auf. In einer von Ressentiments und Ausländerfeindlichkeit gespickten Rede fabulierte er unter anderem von einem "Rassenkrieg" gegen das "deutsche Volk", über angebliche "Vermehrungsraten von Ausländern" und die "Islamisierung" des Landes bis hin zu dem Vorwurf, dass "diese undeutsche Schweinepresse schweigt". Die Videos seiner Rede werden in den sozialen Medien hundertfach geklickt, geteilt und kommentiert. 

Gemäß des Grundgesetzes gilt in Deutschland die Meinungsfreiheit. Artikel 5 hält eindeutig fest: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten." Der Verfassungsrechtler Michael Meyer-Resende ist der Geschäftsführer von Democracy Reporting International, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die für die Verteidigung demokratischer Grundwerte eintritt. Für ihn sind Reden wie die von Köckerts ein Grenzfall: "Der Ausgangspunkt ist die Meinungsfreiheit. Das bedeutet, dass jeder erst einmal sagen darf, was er will."

Zu erwarten, so Meyer-Resende im Gespräch mit der DW, dass Polizisten ganz schnell einordnen könnten, dass es sich um eine Volksverhetzung handele und "sie dann die Versammlung stürmen, dem Redner das Mikrofon aus der Hand reißen und die Veranstaltung auflösen, ist zuviel verlangt". Zudem, so der Experte weiter, könne das Strafrecht auch im Nachhinein angewendet werden. 

Polizei "im Spannungsfeld"

Die Rolle der Polizei wirft indes Fragen auf: Zwar waren die Beamten in Köthen in großer Zahl vor Ort - im Gegensatz zum Beginn der rechten Ausschreitungen in Chemnitz vor zwei Wochen. Die Einsatzkräfte, die auch von Einheiten aus anderen Bundesländern verstärkt wurden, schritten allerdings auch dann nicht ein, als einige Demonstranten im weiteren Verlauf des Abends durch die Kleinstadt zogen und Parolen wie "Nationalsozialismus jetzt" oder "Frei, sozial und national" skandierten. Die Tatsache, dass solche Parolen zunächst folgenlos blieben, tue "natürlich weh", so Meyer-Resende.

Deutschland 2016 Demonstration der Thügida in Erfurt
David Köckert ist ein bekannter Rechtsextremer aus ThüringenBild: Imago/pictureteam

Dennoch nimmt er die Polizisten in Schutz: In solchen Fällen stelle sich auch die Frage, "ob die Polizei genügend Ressourcen zur Verfügung hat, um Personalien aufzunehmen, ein Verfahren einzuleiten und die Personen gegebenenfalls direkt festzunehmen." Sofern die Polizei wisse, um welche Personen es sich handelt, könne sie diese auch im Nachhinein festnehmen. "Die Polizei befindet sich in einem Spannungsfeld, da die Beamten auch vor Ort sind, um die gesamte Veranstaltung im Blick zu behalten und nicht nur, um konkrete Straftaten direkt zu verhindern", so Meyer-Resende.  

Medien bei Berichterstattung behindert

Ähnlich wie in Chemnitz sind in diesen Tagen auch in Köthen Journalisten vor Ort, die über die Ereignisse berichten. Und genauso wie in Chemnitz ist die Situation für sie teilweise gefährlich. Marcus Engert war für das Online-Nachrichtenportal "Buzzfeed" am Wochenende in Köthen. In einer Videobotschaft an seine Follower hat er festgehalten, wie Teilnehmer der Kundgebung ihn erkannt und geschubst hätten. Sein T-Shirt sei dabei zerrissen worden. Engert war offenbar nicht der einzige Journalist, der sowohl verbal wie körperlich angegangen wurde. Auch Martin Kaul von der "taz" berichtete von ähnlichen Drangsalierungen.

Dass Journalisten am Rande einer Demonstration ihrer Arbeit nicht frei nachgehen können, ist für den Juristen Meyer-Resende höchst problematisch. Von einem "Versagen" der Behörden möchte er trotzdem nicht sprechen: "Ich bin bei solchen großen Slogans vorsichtig, weil ich auch finde, dass wir unsere Demokratie in Grund und Boden reden, wenn wir schon jetzt davon sprechen, dass der Staat dort versagt hat. Polizisten werden durch das ganze Land geschickt, es kümmern sich übers Wochenende massenhaft Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes darum, dass Demonstrationen abgehalten werden können." Solchen Menschen nun vorzuwerfen, dass "alles nicht mehr klappt, ist mir ehrlich gesagt zu hoch gehängt".

An dem Grundprinzip, dass jeder überall in Deutschland hinreisen und darüber berichten könne, müsse allerdings unbedingt festgehalten, die Pressefreiheit "verteidigt werden". Wie wichtig eine freie Berichterstattung auch für die Behörden ist, wird auch im Nachgang der Tat immer deutlicher. In Teilen machen die Behörden die Presseberichte vor Ort zur Basis ihrer Ermittlungsarbeit: So hat der Staatsschutz inzwischen angekündigt, die Redebeiträge auf strafbare Inhalte überprüfen zu wollen. Es gehe unter anderem um den Vorwurf der Volksverhetzung.