Geteiltes Zypern: Reger Handel trotz Verbot
11. September 2017In den frühen Morgenstunden fährt der griechisch-zyprische Gemüsehändler Andreas Andreou mit seinem Lieferwagen unter griechischem Kennzeichen in die zyprische Ortschaft Pyla ein. Pyla ist das einzige Dorf auf Zypern, das noch von griechischen und türkischen Zyprern bewohnt wird. Es befindet sich im Südosten der Insel, inmitten der Pufferzone der Vereinten Nationen, nahe der britischen Basis "Dhekelia".
Der Gemüsegroßhändler Andreou stellt seinen Lieferwagen auf einem Parkplatz ab und steigt in einen Lastwagen um, der unter türkischem Kennzeichen angemeldet ist. Anschließend macht er sich auf den Weg in den türkischen Teil Zyperns, kauft Kartoffeln, Tomaten und anderes Gemüse ein und fährt damit wieder zu seinem griechischen Lastwagen zurück. Nachdem er seine Waren in den griechischen Transporter geladen hat, geht es wieder zurück in die griechisch-zyprischen Ortschaften, wo er seine Produkte zum Verkauf anbietet.
Diese Praxis hat in den letzten Jahren auf Zypern immer mehr zugenommen und dient dem Handel auf beiden Seiten der Insel. "Wir kaufen im Nordteil Zyperns Gemüse zu viel günstigeren Preisen ein. Dafür kommen unsere türkischen Kollegen in den Südteil und kaufen billiges Schweinefleisch, denn die türkischen Zyprer sind im Gegensatz zu den Festlandtürken keine streng gläubigen Muslime", erklärt Andreou. Er ist längst keine Ausnahme mehr, viele seiner Kollegen nutzen den Umstand der geteilten Insel, um lukrative Geschäfte zu machen.
Bedürfnis nach Wiedervereinigung
Auch Ahmet Mehmet kauft gerne ein. Er reist regelmässig von der türkisch-zyprischen Ortschaft Morfou im Norden, wo er heute lebt, in die Touristenhochburg Paphos im Südwesten, um mit der Familie essen zu gehen und Dinge einzukaufen, die es in Nordzypern nicht oder nur teuer gibt: elektrische Geräte, Fleisch und alkoholische Getränke. "Meine Familie liebt es, Produkte aus der alten Heimat einzukaufen, von der Erde, die wir als Kinder verlassen mussten. Das sind nostalgische Reisen in die Vergangenheit", erklärt er.
Für das Kilo Schweinefleisch muss er im türkischen Teil bis zu 30 Euro bezahlen, je nach Qualität, in Paphos nicht einmal fünf Euro. "Die griechischen Zyprer kaufen bei uns dafür gerne Halloumi-Käse und Zigaretten ein. Beide Regierungen wissen von diesem grenzübergreifenden Handel, die Zollbeamten ebenso. Aber wir fühlen doch alle dasselbe. Du kannst keine Grenzen für Menschen bauen, wenn sie es nicht wollen."
In seiner traditionellen Taverne in der Touristenhochburg Paphos sitzt der griechische Geschäftsmann Dimitris Dimitriadis fast jeden Abend mit türkisch-zyprischen Gästen zusammen. "Wir fahren zum türkischen Teil unserer Insel, um zu fischen. Und die türkischen Zyprer kommen in den griechischen Teil, um dasselbe zu tun." Der gemeinsame Handel der Zyprer, so glaubt der Fünfzigjährige, zeuge von dem tiefen Bedürfnis der Menschen nach Wiedervereinigung.
"Wir unterstützen uns, wo wir nur können, denn wir wollten niemals getrennt sein. Wir möchten eigentlich nicht, dass unsere türkischen Landsleute von den Vorzügen der EU ausgeschlossen werden." Der Südteil der Insel, die Republik Zypern, gehört seit 2004 zur Europäischen Union und seit 2008 auch zur Eurozone.
"Wir fühlen, dass wir auch heute noch zusammengehören", sagt Dimitriadis. "Was wir alle gemeinsam aber nicht gutheißen, ist die enorme Zuwanderung der Festlandtürken."
Nach der militärischen Intervention der Türkei und der Einnahme von einem Drittel der Fläche Zyperns im Jahr 1974 haben alle türkischen Regierungen die Zuwanderung von Festlandtürken gefördert. Inzwischen leben mehrere Hunderttausend im nordöstlichen Teil der Insel.
Große Preisunterschiede
Eine ungeteilte Insel, das wünscht sich auch der Künstler Ergenc Korkmazel. 1974, als Zypern geteilt wurde, war er im Ausland, wo er insgesamt 35 Jahre verbrachte. Als er seinen Heimatort nahe der Stadt Paphos im Südwesten dann wieder aufsuchte, spürte er eine tiefe Verbundenheit. Heute lebt er als einziger türkischer Zyprer in einem rein griechisch-zyprischen Dorf. Seine Familie im türkischen Norden besucht er als Gast.
"Die Steuern im Norden sind viel niedriger. Bei uns im Süden gibt es ein ausgeprägtes Steuersystem. Wir zahlen auf manche Produkte fünf Prozent Steuern, für Lebensmittel acht und im Restaurant 19 Prozent", erläutert er. "Die Selbständigen versteuern ihr Einkommen mit zehn Prozent, aber bis zu 20.000 Euro Einkommen sind ganz von der Steuer befreit."
Dennoch blüht der Schwarzmarkt zwischen den beiden Inselteilen. Offiziell ist es verboten, doch inoffiziell gibt es alles: von Geldwäsche über Drogen bis hin zu Medikamenten. Und alle aus dem Süden kaufen im Norden Medikamente, sagt Korkmazel. "Warum das so ist, verstand ich erst, als mich meine Tante eines Tages besuchte", sagt er. "Sie hatte ihre Herzpillen im Nordteil vergessen und fragte in einer Apotheke im Süden nach dem Medikament. Die wollten 25 Euro für genau dasselbe Präparat haben. Im Norden zahlt sie dafür nur einen Euro."
"Vertrauen lernen"
Mit seiner Entscheidung, im Südteil der Insel zu wohnen, lebt der türkische Zyprer Korkmazel allen vor, dass es doch eine gemeinsame Zukunft geben kann. "Wir müssen wieder Vertrauen lernen und unsere Insel zu schützen", sagt er.
Sorgen macht sich Korkmazel um die Naturlandschaften Zypern. In den vergangenen Jahren entstanden in seiner unmittelbaren Umgebung unzählige Offshore-Firmen. Jetzt blüht die Bauindustrie im Süden auf, weil viele Russen, Libanesen, Israelis und Chinesen beim Erstkauf keine Steuern zahlen müssen. Und beim Erwerb einer Immobilie im Wert von mindestens 200.000 Euro erhalten sie sofort die zyprische Staatsbürgerschaft.
Gleichzeitig hetzen orthodoxe Kleriker die Menschen mit Parolen auf wie "Ohne Tod der Türken keine Freiheit". Dabei halten viele griechische und türkische Zyprer längst wie Pech und Schwefel zusammen. Einer der schönsten Momente sei für ihn, wenn er seine Neffen im Norden fragt, was er ihnen aus dem Südteil der Insel mitbringen soll, sagt Ergenc Korkmazel. "Fast immer wünschen sie sich Gyros!"