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Gespaltene Stimmung in Mittel- und Südosteuropa

S. Sokollu / R. Romaniec / J. Papadimitriou / das14. September 2013

Kritisch, ablehnend und wohlwollend - so sind die Reaktionen aus der Türkei, Griechenland und Polen auf Kanzlerin Angela Merkel und den deutschen Bundestagswahlkampf - aus unterschiedlichen Motiven.

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Angela Merkel und der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan in Ankara beim Staatsbesuch der Bundeskanzlerin (Foto: Reuters)
Angela Merkel zu Besuch in der TürkeiBild: Reuters

In der Türkei drückt kaum jemand Bundeskanzlerin Angela Merkel und der aktuellen Regierung aus CDU/CSU und FDP die Daumen für den Wahlkampf. "Die deutsche Regierung nimmt in der EU die Führungsposition ein, wenn es um die Ablehnung einer türkischen EU-Mitgliedschaft geht", so die Begründung von Emre Gönen, Politikwissenschaftler am Europäischen Institut der Bilgi-Universität in Istanbul, im DW-Interview. Angela Merkel sei für viele Türken und die türkische Regierung eine Symbolfigur für diese ablehnende Haltung der EU zu einem Beitritt der Türkei und deshalb unpopulär.

Vor allem während der Proteste rund um den Istanbuler Gezi-Park kam es zu einem Schlagabtausch zwischen Berlin und Ankara: Merkel hatte das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten als "viel zu hart" kritisiert, worauf der türkische EU-Minister Egemen Bagis antwortete: "Wenn Frau Merkel ein Thema sucht, das sie innenpolitisch ausschlachten möchte, dann sollte das nicht die Türkei sein."

Türkei: Streitpunkt EU-Beitrittsverhandlungen

Neben dem EU-Beitritt sieht der Politikwissenschaftler Emre Gönen nur noch einen weiteren Grund, warum sich die türkische Öffentlichkeit überhaupt für die Bundestagswahl interessiert: die hohe Zahl der türkischen Migranten in Deutschland. "Die Türkei hat momentan mit anderen innenpolitischen und außenpolitischen Konflikten zu kämpfen: die Gezi-Park-Demonstrationen und der Syrien-Konflikt. Etwa eine halbe Million Syrer haben im Nachbarland Türkei Zuflucht gesucht."

Porträt von Emre Gönen, Politikwissenschaftler am Europäischen Institut der Bilgi Universität in Istanbul (Foto: Sokollu/DW)
Gönen: Türken interessieren sich für die Wahlen wegen der Debatte um einen EU-BeitrittBild: Senada Sokollu

Türkische Experten erwarten zudem keine deutlichen Veränderungen in Deutschland - selbst dann nicht, wenn sich die Machtverhältnisse im Bundestag verschieben würden. Lediglich die in Deutschland lebenden Türken könnten davon profitieren, wenn es beispielsweise zu einer Koalition mit Beteiligung der Grünen kommen würde, so Fatma Yilmaz-Elmas, Politikwissenschaftlerin am Zentrum für Europäische Studien: "Immerhin sprechen sich die Grünen für die doppelte Staatsbürgerschaft der Deutsch-Türken aus. Das wäre eine positive Entwicklung".

"Griechisches Wahlfieber in Deutschland"

In Griechenland produziert die Bundestagswahl so manche Schlagzeile: "Griechisches Wahlfieber in Deutschland" in der Tageszeitung "Ta Nea" oder "Tobender deutscher Wahlkampf mit griechischem Hintergrund" im Wochenblatt "To Vima". Die Autoren der Artikel sind der Meinung, dass mit der Diskussion um ein drittes Hilfspaket für Griechenland im deutschen Wahlkampf versucht werde, auf Stimmenfang zu gehen.

Die Stimmung in Griechenland vor der Bundestagswahl sei gespalten, erklärt Tassos Tsakiroglou, Politik-Experte der Athener "Zeitung der Redakteure", im Gespräch mit der DW: "Die einen meinen, es könnte - unabhängig vom Wahlausgang - zu einer grundlegenden Wende in Deutschland kommen, so dass auch ein Schuldenschnitt für Griechenland kein Tabu mehr sei", so Tsakiroglou. Ein solcher Kurs könne aber erst nach den Wahlen bekanntgegeben werden, weil er für viele deutsche Wähler unpopulär sei. "Die anderen befürchten eine Wende in die entgegengesetzte Richtung: deutsche Forderungen nach neuen, noch drastischeren Sparmaßnahmen." Er selbst glaube dagegen, die Griechen sollten - unabhängig davon, wer die Wahl in Deutschland gewinnt - keine weltbewegenden Veränderungen erwarten.

Polen: "Keine Themen und Debatten im deutschen Wahlkampf"

In der polnischen Öffentlichkeit wird die deutsche Bundeskanzlerin meist als verlässliche Partnerin in Europa dargestellt. Die Sympathie für Merkel ist besonders groß, seit bekannt wurde, dass ihr Großvater Pole war: "Als sie früher sagte, dass sie ein Polen-Fan ist, dachten wir, dass das aus ihren Reisen durch das Land in der kommunistischen Zeit hervorgeht. Heute stehen diese Worte in einem anderen Kontext", schreibt die größte polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".

Porträt von Adam Krzeminski, einem polnischen Publizisten und Journalisten (Foto: Wikipedia)
Krzeminski: "Nichts, worüber man vor Wahlen richtig streiten kann"Bild: Creative Commons/Mariusz Kubik

Insgesamt hält sich das Interesse der polnischen Medien an der Bundestagswahl aber in Grenzen. Man geht davon aus, dass Angela Merkel ihre dritte Amtszeit antreten wird. Der polnische Publizist Adam Krzeminski kritisiert aber auch den unspannenden Wahlkampf: "Keine Themen, keine Debatten, nichts, worüber man vor einer Wahl richtig streiten könnte." Er fragt sich, ob "die strukturelle Schwäche der Sozialdemokraten" verantwortlich sein könne, dass sie als Opposition im Wahlkampf nicht stärker auftritt.

In einem Punkt gibt Krzeminski dem Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten, Peer Steinbrück, in Bezug auf Angela Merkel recht: Der SPD-Politiker sieht in ihrer DDR-Vergangenheit einen Grund dafür, dass sie wenig Leidenschaft für Europa zeige. "Den Bürgern der DDR war der europäische Gemeinschaftsgedanke nicht sehr vertraut", meint auch der Publizist. In Steinbrücks umstrittener Aussage sieht er daher "ein Körnchen Wahrheit".