Leihgabe von Gerhard Richter kommt nach Berlin
17. März 2021Gerhard Richter malte sein vierteiliges Monumentalwerk nach Fotografien eines jüdischen Häftlings im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im August 1944. Die Aufnahmen zeigten Aufseher, entkleidete Gefangene, auf dem Boden liegende Leichname. Auf Richters Bildern lässt sich das Grauen nur noch erahnen, denn der Künstler überzog die Fotos mit düsteren Farbschichten. Er machte die Motive unkenntlich und konservierte so ihren Erinnerungsgehalt. Richters Zyklus von 2014, mit der er die Kunstwelt zunächst spaltete, zieht nun dauerhaft in die Alte Nationalgalerie in Berlin ein. Mehr als 100 weitere Arbeiten aus der Stiftung des 89-Jährigen sollen folgen.
Längst gilt Gerhard Richter als einer der wichtigsten Gegenwartskünstler überhaupt. Im Ranking des "Kunstkompass" rangiert der in Köln lebende Dresdner seit 17 Jahren unangefochten an der Spitze. Auf Auktionen erzielen seine Arbeiten regelmäßig Höchstpreise. Entsprechend groß ist der Jubel jetzt in Berlin, wo neben den "Birkenau"-Arbeiten auch die aus dem Jahr 2019 stammende vierteilige Arbeit "Grauer Spiegel" zunächst bis September in der Alten Nationalgalerie hängen wird. Anschließend geht der "Birkenau"-Zyklus mit einer Richter-Schau auf Japan-Reise.
Einzug ins Museum der Moderne
Von 2023 an sollen die Arbeiten dann in der gerade frisch sanierten Neuen Nationalgalerie präsentiert werden, die im kommenden August wiedereröffnen soll. Schließlich soll der Richter-Zyklus eine dauerhafte Heimat im künftigen Museum der Moderne finden, das derzeit - geplant von dem Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron - zwischen der Berliner Philharmonie und der Neuen Nationalgalerie entsteht. Darin gehört Richter dann neben Rebecca Horn oder Joseph Beuys zu den wenigen Künstlerinnen und Künstlern, für die man eigene Präsentationsflächen und -räume einrichten will.
Die von Bund und Ländern getragene Stiftung Preußischer Kulturbesitz feiert Richters Leihgabe als Erfolg: Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) nennt sie einen "Signalgeber für das Museum des 20. Jahrhunderts". Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der die Alte Nationalgalerie als Teil von Berlins Staatlichen Museen gehört, spicht von einem "ganz besonderen Highlight", das den Auftakt einer engen Zusammenarbeit mit der Gerhard-Richter-Kunststiftung bilde. Der Künstler selbst ließ erklären: "Das ist für mich ein wunderbares Ereignis und großartiger Beginn der Zusammenarbeit mit Berlin."
Die Hauptstadt zieht damit einen Publikumsmagneten an Land. Schon die Retrospektive zu Richters 80. Geburtstag erwies sich als erfolgreichste Einzelausstellung eines lebenden Künstlers in Deutschland - 380.000 Besucherinnen und Besucher strömten 2012 in den Schinkelsaal der Alten Nationalgalerie. In dem Raum mit den markanten Oberlichtern hingen zuvor bereits Arbeiten aus dem berühmten - inzwischen dem MoMA in New York gehörenden - RAF-Zyklus Richters von 1988, in dem er auf Fotos zur Geschichte der terroristischen Rote Armee Fraktion malerisch Bezug nahm.
Kontroverse um "Birkenau"-Zyklus
Auch sein "Birkenau"-Zyklus zeigt, wie sehr Richter sich jahrzehntelang mit deutscher Geschichte auseinandergesetzt hat. Umso mehr überraschte ihn die Kontroverse, die der Zyklus zu Beginn auslöste. Der Vorwurf: Er würde den Holocaust illustrieren und dem Grauen damit eine künstlerische Form verleihen. Doch stimmt das?
Die riesigen Farbtafeln sind durchzogen von tiefgrauen Schlieren, die er durch grüne und rote Farbinseln unterbricht. Richter hat sie - in der für ihn typischen Weise - grob verwischt. Die Fotodokumente des ehemaligen KZ-Häftlings, die der Bildfolge ihren Namen gaben, hängen nun auch - stark vergrößert - im Schinkelsaal. Sie bildeten lediglich den Ausgangspunkt, die erste Schicht seiner Malerei. Ihr folgten viele weitere Malvorgänge. Richter verwehrt somit den Blick auf die Gräuel. Mehr noch: Er verweigert die Deutung.