Im Kino: "Beuys" von Andres Veiel
18. Mai 2017"Vieles lasse ich weg, Vollständigkeit hat mich nicht interessiert", sagt Regisseur Andres Veiel über seinen Film, der nach der Uraufführung bei den Berliner Filmfestspielen und einigen internationalen Festivaleinladungen jetzt in die deutschen Kinos kommt. Joseph Beuys ist eine legendäre Figur der jüngeren Kunstgeschichte, einer der bekanntesten deutschen Künstler überhaupt. Andres Veiel gilt als herausragender Regisseur im Bereich Dokumentation, hat Filme über den Links-Terrorismus in der Bundesrepublik gemacht, über den Selbstmord ehemaliger Jugendfreunde oder über die Sehnsüchte und Hoffnungen junger Schauspieler. Es waren Langzeitdokumentationen darunter, Analysen über politische und gesellschaftliche Umbrüche, aber auch sehr persönliche Einlassungen über Freundschaft und Familie.
Veiel bietet kein umfassendes, ausgewogenes Beuys-Bild
"Beuys" nun ist ein Film über einen weltberühmten Künstler. Doch es ist kein Werk geworden, von dem der Zuschauer erwarten sollte, dass er ein umfassendes Bild über den gebürtigen Krefelder serviert bekommt, kein Künstler-Porträt im klassischen Sinne. Veiels Hinweis, dass er eben keine "Vollständigkeit" habe erreichen wollen, deutet an, worum es ihm ging. Der Dokumentarfilmer hat sich für den Menschen Joseph Beuys interessiert, für dessen überraschenden Humor und seine öffentlichen Auslassungen. Weniger für den Künstler und dessen Oeuvre.
Das gefällt nicht jedem. Beuys ist ein Mythos, an dem sich noch heute viele abarbeiten. So fielen auch die Reaktionen bei der Uraufführung während der Berlinale höchst unterschiedlich aus. "Es ist für einen solch streitbaren Künstler ein erstaunlich friedfertiger Film geworden, was Veiel hoch anzurechnen ist", urteilte beispielsweise die "Neue Zürcher Zeitung" und fuhr fort: "'Beuys hält sich aus den ideologischen Kämpfen der sechziger und siebziger Jahre heraus." Das aber habe "dem Film in Berlin prompt gehässige Kritik von der linken 'TAZ' eingebracht, die sich daran stört, dass Veiel den charismatischen Beuys-Geist auch ein wenig als Kontrast zu einer humorlosen Linken stilisiert."
Beuys erregt noch heute die Gemüter
An solchen Urteilen wird deutlich, dass der Künstler und Mensch Joseph Beuys immer noch im Mittelpunkt künstlerischer und politisch-gesellschaftlicher Debatten steht. Gerade dieser Aspekt hat den Regisseur aber auch fasziniert.
Im Film lässt Andres Veiel die Bilder für sich sprechen. Aus über 400 Stunden Bild- und 300 Stunden Audiomaterial sowie 20.000 Fotos haben Veiel und sein Team die knapp zweistündige Dokumentation montiert. Zu 90 Prozent besteht "Beuys" so aus Archivmaterial. Lediglich ein paar wenige, kurze Interviews mit Beuys-Begleitern von damals ergänzen das historische Filmmaterial.
Sein Ziel sei es nicht gewesen, eine Dokumentation über einen Künstler zu drehen, der in den 1960er- und 1970er Jahren mit seiner Arbeit heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft und der Kunstwelt provoziert habe, erzählte Andres Veiel in Berlin: "Was ich viel wichtiger und interessanter fand, ist das Heutige, die politischen Ideen-Räume, die Beuys ausgelotet hat."
Idealist und Vordenker: Joseph Beuys
Beuys sei damals ja nicht verstanden worden, auch von den Grünen nicht (zu deren Gründervätern er gehörte, Anmerk. der Red.). Er sei jemand gewesen, der "sich Ende der 1970er Jahre über ökonomische Fragen Gedanken gemacht hat". Er habe damals gesagt: "Wenn Geld sich aus sich heraus vermehrt, losgelöst von der Produktion, dann führt das zu Blasen, die nicht mehr kontrollierbar sind, dann kriegen wir eine Krise der Demokratie. Er ist damals ausgelacht worden."
"Beuys" besticht durch diese Fokussierung auf aktuelle politische, aber auch philosophische Fragestellungen. Der Film zeigt einen Menschen, der vor allem eines war: ein Freigeist, dessen Denken keine Grenzen kannte. Das hat damals viele verstört und wohl auch überfordert. Nicht nur den braven Bürger und die Politiker. Auch Künstler und Kritiker. Das macht der Film nachdrücklich deutlich.
Andres Veiel: Beuys wollte Politik nicht delegieren
Andres Veiel: "Es ging ihm mit dem Satz 'Jeder Mensch ist ein Künstler' ja nicht darum zu sagen: 'Jeder Mensch ist ein Bildhauer', sondern darum, mitzugestalten." Beuys habe die Menschen aufgefordert, Politik nicht zu delegieren an "eine Kaste, die dann alle vier Jahre wiedergewählt wird." Das sei für ihn gerade heute ganz wichtig und aktuell, zeigte sich Veiel überzeugt: "Es ist sozusagen eine Wiedervorlage, die gerade jetzt, 2017, zum absolut richtigen Zeitpunkt kommt."
"Andres Veiels faszinierender Film zieht seine stilistischen Mittel aus der rastlosen Kreativität seines Protagonisten. Vielleicht war das Leben von Beuys selbst sein größtes Kunstwerk - das ist es, was Veiels fein gesponnenen, klugen Film zu einem solchen Vergnügen macht", urteilte die britische "Screen Daily" nach der Aufführung in Berlin.
Kritiker kommen in der Dokumentation nicht zu Wort
Dem kann man sich anschließen, man muss es aber nicht. Für die einen wird die überraschende Erkenntnis, mit wieviel Humor sich Beuys seiner Umwelt zuwandte, für Verblüffung sorgen. Andere werden sich sicherlich daran stören, dass Veiel keine Beuys-Kritiker zu Wort kommen lässt. Andres Veiels Dokumentation "Beuys" ist ein Film geworden, an der man sich reiben und mit dem man sich auseinandersetzten kann. Joseph Beuys, der vor 31 Jahren starb, hätte das vermutlich gefallen.