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Abgeschoben und vergessen

Sven Pöhle27. September 2013

Wenn Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben werden, dann laut Gesetz nur in "sichere" Staaten. Doch die Wirklichkeit sieht in einigen Fällen anders aus - etwa bei Familie Naso.

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Afghanische Flüchtlinge stehen am 22.12.2012 in München bei einer Kundgebung zusammen während im Vordergrund ein Schild zu sehen ist, das als Piktogramm einen Polizisten, einen Mann mit Handschellen und ein Flugzeug zeigt (Foto: Tobias Hase/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

In den frühen Morgenstunden kamen die Polizisten. Sie holten Anuar Naso und seine Familie aus ihrer Wohnung im norddeutschen Ort Giesen bei Hannover. Der damals 15-Jährige wurde gemeinsam mit seinem Vater nach Syrien abgeschoben. In Damaskus wurden die beiden jesidischen Kurden inhaftiert. Einen Monat und drei Tage blieb Anuar im Gefängnis. "Ich wurde eingesperrt und ich wurde gefoltert", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Anuar Naso und sein Vater wurden am 1. Februar 2011 abgeschoben – obwohl Berichte des Auswärtigen Amtes seit vielen Jahren auf die problematische Menschenrechtslage in Syrien hinwiesen. Bereits im Herbst 2009 waren mehrere Fälle bekannt, in denen nach Syrien abgeschobene Menschen sofort eingesperrt wurden.

Aus den Augen, aus dem Sinn?

Mehrere tausend Menschen werden jährlich aus Deutschland abgeschoben. 2013 waren es nach Angaben des Bundesinnenministeriums bislang 6632 Menschen. Manche werden wie Anuar und sein Vater nachts von der Polizei abgeholt und zum Flughafen gebracht.

Die Mehrzahl der Abschiebungen verlaufe relativ unspektakulär, sagt Bernd Mesovic von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Es gebe aber dennoch zu viele, die in einer menschlichen Katastrophe endeten. Dies liege daran, dass sich die zuständigen deutschen Behörden die Lage in den einzelnen Staaten nicht näher anschauten, so Mesovic.

Mit einer Sitzblockade demonstrieren im Juni 2009 in Schönefeld Abschiebungsgegner direkt vor dem Terminal (Foto: Bernd Settnik/dpa)
2009 protestierten Menschen am Berliner Flughafen Schönefeld gegen die Abschiebung von VietnamesenBild: picture alliance/dpa

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums widerspricht: "Die Lage in den Zielstaaten wird genau beobachtet. Dies geschieht unter anderem durch Analysen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und durch die Erstellung von Lagebildern durch das Auswärtige Amt."

Bernd Mesovic von Pro Asyl kritisiert aber, dass man sich um das Schicksal der Menschen nach deren Abschiebung normalerweise nicht mehr kümmert. Von deutscher Seite sehe man keine menschenrechtliche Verpflichtung, dies zu tun. "Die Idee ist ja: Wir schaffen Bürger eines bestimmten Landes in ihren Herkunftsstaat zurück und dieser Staat kümmert sich dann um sie."

Eine nachträgliche Prüfung nach erfolgter Abschiebung habe es in der Vergangenheit nur in wenigen Einzelfällen gegeben, heißt es dazu aus dem Bundesinnenministerium. Dies sei auch insofern nicht nötig, da eine Abschiebung erst erfolgen könne, wenn im Zielstaat keine Abschiebungshindernisse wie zum Beispiel Folter oder unmenschliche Behandlung vorlägen, sagt die Sprecherin.

Nach deutschem Recht dürfen Menschen nur in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen weder Tod noch Folter, unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung drohen. Dementsprechend wurden 2012 bei 8376 Personen (13,5 Prozent aller Asylantragssteller) Abschiebungsverbote festgestellt, weil in ihren Herkunftsländern beispielsweise Gefahr für Leib und Leben drohen. Vor allem gab es diese Abschiebeverbote für Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Abgeschoben wurde aus Deutschland seit Januar 2013 vor allem nach Serbien, Mazedonien und in den Kosovo. Den Betroffenen, hauptsächlich Roma, gehe es in ihrer Heimat schlecht, sagt Volker Maria Hügel vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen, einem Netzwerk, das sich für die Stärkung der Rechte von Flüchtlingen einsetzt. "Das sind fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten. Und deren Situation wird schön geredet hier in Deutschland. Da werden jeden Tag Menschenrechte verletzt."

Die 2010 aus Deutschland abgeschobene Familie Kovaqi mit ihren sechs Kindern in ihrer Einraumwohnung in einem von Roma bewohnten Wohngebiet in Plementina bei Pristina im Kosovo, fotografiert am 17.12.2011. (Foto: Jens Kalaene)
Eine 2010 aus Deutschland abgeschobene Familie lebt mit sechs Kindern in ihrer Einzimmerwohnung im KosovoBild: picture-alliance/ZB

Die Entscheidung über viele fällt an den EU-Außengrenzen

Über das Schicksal vieler Flüchtlinge, die sich inzwischen in Deutschland befinden, wird nicht in Deutschland entschieden: Nach der europäischen "Dublin-II-Verordnung" ist grundsätzlich nur das EU-Land für das Asylverfahren zuständig, das der oder die Asylsuchende zuerst betreten hat. Ist dieser Staat bekannt und gilt als dieser als sicher, werden Flüchtlinge in der Regel ohne weitere Prüfung dorthin abgeschoben. 2012 wurden 3037 Menschen aus Deutschland in andere EU-Länder überstellt.

Laut deutschem Asylverfahrensgesetz gelten alle EU-Mitgliedsstaaten sowie gegenwärtig Norwegen und die Schweiz als sogenannte sichere Drittstaaten. Die Lage in den Drittstaaten ist aber nicht immer gleich: Aufgrund extrem schwieriger Bedingungen für Flüchtlinge hat das Bundesverfassungsgericht 2009 entschieden, dass Griechenland kein sicheres Drittland ist. Die deutschen Behörden haben die Ausweisung von Asylbewerbern dorthin gestoppt. Mehrere Landesgerichte untersagten zudem Abschiebungen nach Italien oder Ungarn – eine grundsätzliche Regelung für diese Länder gibt es aber noch nicht.

Nach 28 Monaten wieder in Deutschland

Abschiebungen nach Syrien sind aus Deutschland inzwischen faktisch ausgesetzt. Im März 2013 hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Abschiebestopp nach Syrien um weitere sechs Monate verlängert. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums fand die letzte Abschiebung nach Syrien im April 2011 statt.

Wenige Wochen vorher mussten Anuar Naso und sein Vater Deutschland in Richtung Syrien verlassen. Nach einer Odyssee über die Türkei und Bulgarien sind beide inzwischen wieder in Deutschland und offiziell als Flüchtlinge anerkannt.