Geplantes Auslieferungsgesetz empört Hongkonger
29. April 2019Die Sozialarbeiterin Wong Wai-fan ist unzufrieden mit der Regierung in Hongkong, und sie macht sich Sorgen um die Zukunft ihrer Heimatstadt. Deswegen nahm sie am Sonntag mit einem gelben Regenschirm in Anknüpfung an die pro-demokratische "Regenschirmbewegung" von 2014 an einer Großdemonstration im Hongkonger Regierungsviertel Central teil. "Unsere Freiheiten und Demokratie sind in Gefahr", sagt sie der DW. Wong war nach Angaben der Veranstalter eine von 130.000 Demonstranten, die Polizei sprach von 22.000 Teilnehmern. Wie auch immer - es war in jedem Fall die größte chinakritische Demonstration in der Stadt seit den großen Aufmärschen 2014.
Stein des Anstoßes
Wong und die anderen demonstrierten diesmal gegen eine geplante Gesetzesänderung, nach der Tatverdächtige, die in Hongkong festgenommen wurden, auch an das Festland sowie an Macau und Taiwan ausgeliefert werden dürfen. Einem solchen Auslieferungsantrag braucht den Plänen zufolge nur der Verwaltungschef zuzustimmen, allerdings muss als "Sicherheitsmaßnahme" auch noch ein Gericht zustimmen, wie die Regierung betont.
Bisher unterhält die ehemalige britische Kolonie, die 1997 an China zurückfiel, mit 20 Ländern Auslieferungsabkommen. Erlaubt ist bislang, dass im Einzelfall auch die Auslieferung in ein anderes Land als eines der 20 möglich ist, sofern das Parlament Hongkongs (Legislativrat) dem Auslieferungsantrag zustimmt. Allerdings sind bis jetzt das chinesische Festland, Macau und Taiwan von dieser Einzelfallregelung ausgeschlossen. Wörtlich heißt es im Gesetz: Auslieferungen in chinesische Gebiete außerhalb Hongkongs finden nicht statt.
Gründe für Änderung des geltenden Gesetzes stichhaltig?
Dieser Ausschluss des Festlandes sei 1997 von der damaligen Hongkonger Übergangslegislative wegen schwerwiegender Bedenken in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte beschlossen worden, sagt die Hongkonger Anwaltsvereinigung in ihrer Kritik an der geplanten Änderung des Auslieferungsgesetzes. "Die Hongkonger Regierung hat nicht erläutert, was sich seit 1997 geändert hat, um diesen bewussten Ausschluss des Festlandes zu rechtfertigen", so die Erklärung, aus der die "South China Morning Post" (SCMP) zitiert.
Die Regierung Hongkongs argumentiert, sie müsse eine rechtliche Lücke schließen, um Fälle wie die des Mörders Chan Tong-kai auf gerechte Weise behandeln zu können. Der 20-jährige Einwohner Hongkongs hatte im vergangenen Jahr seine schwangere Freundin aus Eifersucht während eines Urlaubs in Taiwan erwürgt. Er hatte die Tat nach seiner Rückkehr nach Hongkong im vergangenen Frühjahr gestanden, wird aber dort nur wegen Geldwäsche angeklagt, weil er sich des Mobiltelefons und Bankkontos seiner ermordeten Freundin bedient hatte. Am Montag wurde Chan deswegen zu 29 Monaten Gefängnis verurteilt.
Die von Taiwan beantragte Auslieferung zur Aburteilung wegen Mordes ist aufgrund der bestehenden Gesetzeslage nicht möglich. Dies will die Regierung nun ändern. Dass dies nur über den Weg der geplanten Änderung der Auslieferungsgesetzes möglich sei, bezweifeln manche Juristen.
Drohung gegen Peking-Kritiker
Kritiker des Vorhabens wie die Sozialarbeiterin Wong befürchten, dass ein Auslieferungsabkommen mit Peking die in Hongkong durch das "Grundgesetz" Basic Law garantierten Freiheiten weiterhin aushöhlen und den Zugriff der Zentralregierung auf die inneren Angelegenheiten Hongkongs weiter verstärken könnte. Angefacht wurden solche Befürchtungen am vergangenen Mittwoch: Da ging in Hongkong der Prozess gegen neun Aktivisten der Demokratiebewegung zu Ende, die 2014 wochenlang das Regierungs- und Finanzzentrum Hongkongs lahmgelegt hatte. Wegen "Verschwörung zur Störung der öffentlichen Ordnung" wurden die beiden Anführer Benny Tai und Chan Kin-man zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt, übrigens aufgrund eines Gesetzes aus der britischen Kolonialzeit. Was wäre, wenn solchen Aktivisten demnächst auf dem Festland der Prozess gemacht würde? Das fragt sich nicht nur die Sozialarbeiterin Wong.
Buchhändler Lam Wing-kee warnt
Die Führung Hongkongs versichert zwar, dass ein neues Auslieferungsgesetz, das auch das Festland einbezieht, keine Anwendung in Fällen finden werde, bei denen die Todesstrafe oder Folter drohe oder bei denen es um politische Kritik oder Menschenrechte gehe. Auf solche Zusicherungen wollen Kritiker des Gesetzentwurfs nicht viel geben, wie zum Beispiel der Verleger und Buchhändler Lam Wing-kee, prominentestes Opfer der vor einigen Jahren "verschwundenen" Buchhändler. Er hatte sich auf populäre Enthüllungsgeschichten über Pekinger Funktionäre spezialisiert. Bei der Einreise nach China im Oktober 2015 wurde er von chinesischen Sicherheitskräften festgenommen und mit verbundenen Augen per Zug in die 1400 Kilometer entfernte ostchinesische Stadt Ningbo gebracht. Im chinesischen Fernsehen gab er ein erzwungenes Geständnis über illegalen Bücherverkauf ab. Erst acht Monate später durfte er gegen eine Kaution nach Hongkong zurückkehren.
Politisch Andersdenkende und Unterstützer der Demokratiebewegung in Hongkong sollten mit der geplanten Änderung des Auslieferungsgesetzes mundtot gemacht werden, sagt Lam im Interview mit der DW. "Das kann jeden treffen." Die Stadtverwaltung habe zwar versprochen, Beschuldigte, die nach Hongkonger Gesetz keine Straftat begangen haben, nicht auszuliefern. Aber China werde trotzdem Auslieferungsgesuche stellen, "mit anderen Straftatbeständen". Die Hongkonger Gerichte würden die Beweislage nicht unabhängig verifizieren können. "Das ist eine Tragödie!"
"Ein Land, ein System"
Auch Lew Mon-hung macht sich Sorgen um Zukunft von Hongkong. Der ehemalige Delegierte der kommunistischen Nationalen Konsultativkonferenz sieht die geplante Gesetzesänderung als einen weiteren Schritt in Richtung "Ein Land, ein System". Lew, der auf dem Festland geboren wurde und mit 25 Jahren illegal in die damalige britische Kolonie Hongkong einreiste, machte dort später Karriere mit Wertpapierhandel. "Die Justiz ist das politische Instrument der Kommunistischen Partei. Eine Straftat lässt sich einem Unbeliebten leicht in die Schuhe schieben ", sagt Lew im Gespräch mit der DW.
"Und was ist mit den Leuten, nach denen die KPCh fahndet, die demnächst in Hongkong einen Zwischenstopp einlegen?", fragt sich Wong Wai-fan. Auch sie ist besorgt, dass sich die demokratische Grundordnung verändern könnte, falls der Legislativrat, in dem die pro-chinesische Fraktion die Mehrheit hat, wie geplant noch im Sommer der Gesetzesänderung zustimmen sollte.
Rücksicht auf Geschäftsinteressen
Da auch die Geschäftswelt starke Bedenken gegen das Regierungsvorhaben äußerte, hat die Regierung neun Tatbestände der Wirtschaftskriminalität aus der Geltung des geplanten Gesetzes ausgenommen. Dabei geht es um Vergehen im Zusammenhang mit Steuern, Börsengeschäften und Einsatz von Computern. Allerdings verlangen Unternehmer aus dem Textilsektor weitere Ausnahmen: Auch Vorwürfe der Bestechung und Benutzung gefälschter Dokumente sollen nicht zur Auslieferung führen dürfen. "Ansonsten würden Hongkonger, die vor über 20 Jahren geschäftlich auf dem Festland tätig waren, ihre Festnahme riskieren", sagte ein Abgeordneter und Vertreter der Branche im Parlament.