Georgien hofft weiter auf NATO-Mitgliedschaft
24. Mai 2006Die Kaukasus-Republik Georgien möchte in die NATO, und zwar so schnell wie möglich. Eine Voraussetzung dafür sind Reformen im Bereich der Sicherheitspolitik. Das georgische Militär war bis vor kurzem in katastrophalem Zustand. Soldaten und Offiziere haben monatelang kein Gehalt bekommen. Die Armee war schlecht ausgerüstet und ausgebildet. Dem jungen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili ist es gelungen, die Streitkräfte mit amerikanischer und europäischer Hilfe zu modernisieren. Eine Gelegenheit, dies zu zeigen, war die Feier zum 15-jährigen Bestehen der georgischen Streitkräfte in Senaki, rund 300 km von Tiflis entfernt. Hier weihte Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili einen neuen Kasernenkomplex ein. Okruaschwili sagte: "Es ist sehr wichtig, dass wir dieses Ereignis hier begehen können. Der Bau dieser Kaserne wurde erst vor einem Jahr begonnen. Und Sie sehen, dass das eine absolut moderne und neue Anlage ist. Wir haben hier viele Möglichkeiten, unsere Soldaten und Offiziere auszubilden. Georgien beginnt allmählich, zur internationalen Sicherheit beizutragen."
Umstrittener Beitrag
Mittlerweile unterstützen georgische Soldaten Deutschland im Kosovo und die Amerikaner im Irak. Darüber, wie gut der Ausbildungs- und Ausrüstungsstand tatsächlich sind, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Während die Amerikaner vor allem auf die guten Erfahrungen mit den georgischen Soldaten im Einsatz verweisen, erwähnen die europäischen Kollegen, dass in anderen Bereichen nach wie vor noch Defizite vorhanden sind. Oberst Bernhard Becking, der bei der Deutschen Bundeswehr für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Georgien und Deutschland zuständig ist, sagt: "Man muss berücksichtigen, dass Georgien bei Null angefangen hat, was die Kompatibilität zu NATO-Streitkräften angeht. Hier sind erhebliche Fortschritte gemacht worden, nicht zuletzt durch die Soldaten, die bei uns in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern waren, um dort ausgebildet zu werden, und nach Georgien zurückgekommen sind, um hier als Multiplikatoren im georgischen System arbeiten zu können. Aber es gibt auf georgischer Seite natürlich noch einiges zu tun."
Nicht ob, sondern wann
Im Bereich Personalmanagement und Koordination zum Beispiel. Um eine militärische Einheit zu führen, braucht man eine straffe Planung und Organisation. Das liegt den Georgiern nicht im Blut, und mit dem notwendigen Wandel tut sich das System schwer. Schuld daran sind auch traditionelle Clan-Strukturen. So schickt Georgien zwar regelmäßig Offiziere zur Ausbildung nach Europa, doch wenn die potentiellen Multiplikatoren gut geschult zurückkommen, werden sie nicht immer dorthin versetzt, wo sie ihr Wissen weitergeben können. Darüber, welche Position jemand in Georgien bekommt, entscheidet der Clan und nicht die Qualifikation. In Bezug auf den Beitritt Georgiens zur NATO sind die Europäer daher noch vorsichtig. Bernhard Becking betont: "Ich denke, dass es auf keinen Fall angebracht ist, momentan davon zu sprechen, dass Georgien nicht integriert wird. Ich denke, dass diese Perspektive realistisch existiert. Das heißt auch, dass man mit diesem realistischen Anreiz weiterhin den Reformprozess unterstützen will. Wenn diese Perspektive verloren gehen würde, kämen alle Reformanstrengungen zum Erliegen. Aber was den Zeithorizont angeht, glaube ich, dass es noch unterschiedliche Bewertungen gibt - seitens Georgien aber auch von Partnern in der NATO und auch der NATO als solches."
Ungelöste Konflikte
Die georgische Regierung möchte beim NATO-Gipfel im Herbst diesen Jahres einen "Membership Action Plan" vorgelegt bekommen und wird dabei von den USA unterstützt. Andere europäische Verbündete sprechen dagegen eher von einem so genannten "intensiven Dialog", einer Vorstufe des verbindlichen Kriterien-Kataloges. Sorge machen der NATO derzeit vor allem die Menschenrechtssituation in Georgien, die fehlende Rechtsstaatlichkeit und die noch ungelösten Konflikte mit den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien. Beide Gebiete wollen sich von Georgien abspalten.
Präsident Saakaschwili hat der georgischen Bevölkerung versprochen, die Regionen wieder unter die Kontrolle von Tiflis zu bringen. Vor rund einem Jahr schien er dazu sogar zu militärischen Mitteln greifen zu wollen. Doch selbst die USA, die den jungen georgischen Präsidenten bis dahin in seinem Reformeifer stark unterstützt hatten, warnten eindringlich vor Waffengewalt. Sie hätte die Region erneut in Bürgerkrieg stürzen können. Mittlerweile beteuert Saakaschwili: "Ich glaube nicht an Gewalt. Wenn man ein Problem nicht direkt von vorne angehen kann, dann muss man von hinten kommen und die Bedingungen rund herum verändern. Wir müssen die Region wirtschaftlich entwickeln, und wir müssen Anreize schaffen."
Konkrete Erwartungen
Die georgische Regierung hat beschlossen, die unter russischem Kommando stehende Friedenstruppe in Südossetien durch eine international geführte Truppe zu ersetzen. Seither herrscht endgültig Eiszeit zwischen Georgien und Russland. Schon seit Jahren ist das Verhältnis der beiden Nachbarländer äußerst gespannt, und Kritiker betonen, dass Saakaschwili durch ständige Polemik und Provokationen viel dazu beigetragen hat. Doch ohne Russland ist die Lösung der territorialen Konflikte kaum möglich. Was spricht also dafür, Georgien beim nächsten NATO-Gipfel einen festen Beitrittsplan vorzulegen? Der georgische Präsident Micheil Saakaschwili drängt: "Wenn Georgien den ,Membership Action Plan' nicht dieses Jahr bekommt, dann heißt das: ehrlich gesagt, ihr gehört da sowieso nicht rein, egal was ihr tut."
Barbara Minderjahn, Tiflis
DW-RADIO, 19.5.2006, Fokus Ost-Südost