Genua, das war einmal
5. Juli 2005In den nächsten Tagen werden ein paar Leute der Leidenschaft fürs Golfen frönen, die dieses exklusiven Hobbys sonst eigentlich eher unverdächtig sind: Auf den saftig-grünen Golfplatz-Wiesen rund um das schottische Luxus-Resort Gleneagles will die anarchistische Politgruppierung Dissent in Ruhe ein paar gepflegte Partien spielen. Doch wahrscheinlich wird nichts daraus: Am Mittwoch beginnt dort der G8-Gipfel, und spätestens ab dann wird Gleneagles für jeden, der nicht zum Tross der acht Regierungschefs gehört, tabu sein.
Der Gipfel als Landpartie
Dass sich die internationalen Protesttouristen mittlerweile auf etwas abseitigere Ideen verlegen müssen, um in Sicht- oder wenigstens Hörweite der Regierungschefs zu kommen, ist kein Zufall. "Das soll ein harmonischer, ein sauberer Gipfel werden. Solche Bilder wie 2001 wollen die sich nicht noch einmal im Fernsehen ansehen müssen", meint Philipp Hersel vom Anti-Globalisierungsnetzwerk attac. Beim damaligen G8-Gipfel in Genua war die italienische Polizei so rabiat gegen Demonstranten vorgegangen, dass die Menschenrechtsorganisation amnesty international den Vorfällen in ihrem darauf folgenden Jahresbericht ein eigenes Kapitel widmete. Seitdem haben sich die jeweiligen Gastgeber konsequent Tagungsorte gesucht, die ohne Probleme abgesperrt und kontrolliert werden können: 2003 Evian in den französischen Alpen, 2004 die Atlantikinsel Sea Island vor der US-Küste - und nun Gleneagles in den schottischen Highlands.
Attac, Dissent, Oxfam und all die anderen Gruppen, die auch dieses Jahr wieder protestieren wollen, sind deshalb ganz froh, dass mit Bob Geldofs "Live 8"-Spektakel die wichtigsten Demos bereits gelaufen sind und auch für genügend Aufmerksamkeit gesorgt haben - etwa die weitgehend friedliche Kundgebung in Edinburgh, zu der am Samstag 200.000 Menschen kamen. Während der drei Gipfeltage rechnet attac-Koordinator Hersel nur noch mit vereinzelten Aktionen: Am Mittwoch werden er und seine Mitstreiter an der winzigen Bahnstation von Gleneagles zu demonstrieren versuchen, wobei sie eher mit privaten PKWs und angemieteten Bussen als mit dem Zug anreisen wollen - für den Fall, dass die Polizei die Bahnlinie sperrt; das Tagungshotel selbst wollen sie mit einer Menschenkette einkreisen, und außerdem sollen in nahegelegenen Camps Diskussionsrunden und Infoveranstaltungen stattfinden.
Kinderwägen statt Transparente
"Viel wird die Öffentlichkeit davon allerdings nicht mitbekommen", befürchtet Philipp Hersel von attac. Denn spätestens seit Genua sei der offiziellen Politik die Medien- und Bildregie des Ereignisses mindestens ebenso wichtig wie die inhaltlichen Ergebnisse. "Blair will sich auf dem Gipfel als der große Wohltäter präsentieren, der für mehr Entwicklungshilfe eintritt. Wütende Demonstranten mit gepfefferten Spruchbändern passen da nicht ins Bild." Das gehe sogar so weit, dass man - wie am Samstag in Edinburgh - Teile eines Demonstrationszuges noch eine Weile an einem Ort festhalte, bis die Fernsehkameras wieder verschwunden seien, und andere Demonstranten bewusst vorlasse, behauptet Hersel. "An den Kameras lässt die Polizei lieber die Familien mit Kinderwägen vorbeidefilieren. Das soll dann so rüberkommen, dass da ein paar nette Demonstranten bei der Politik um ein bisschen Einsicht bitten, und die Regierungschefs erfüllen das dann später." Die Argumentation der Polizei, auf diese Weise für Sicherheit sorgen zu wollen - schließlich sei ja auch der gewaltbereite "schwarze Block" vor Ort -, hält Hersel für vorgeschoben.
Am Montag unterlief den G8-Medienstrategen allerdings ein kleines Missgeschick: Bei einem Straßenfest in Edinburgh kreisten sie ein paar hundert Demonstranten ein, nahmen neunzig fest und ließen den Rest für einige Zeit nicht passieren. Zufällig befanden sich darunter auch einige Journalisten, und die haben sich nun prompt bei der G8-Tagungsleitung über den Vorfall beschwert. Für attac-Aktivist Hersel Anlass zur Hoffnung: "Vielleicht wird ja doch nicht alles so glatt ablaufen, wie sich die Politiker das wünschen."