Gemischte Gefühle und eindeutige Botschaften
27. März 2018Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte im Vorfeld des Treffens mit den EU-Vertretern im bulgarischen Varna noch einmal kräftig die Werbetrommel gerührt: Die Türkei beanspruche weiterhin, ein respektiertes Vollmitglied der EU zu werden. Die EU solle endlich ihre Jahrzehnte alten Versprechen einlösen und die Beitrittsgespräche vorantreiben. Warum dann aber gleichzeitig eine regierungsnahe Zeitung Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal mehr mit dem Hitler-Vergleich beleidigte und Deutschland als Nazi-Staat denunzierte, ist unerfindlich. Wenn aber diese Doppelstrategie Erdogans Anliegen befördern soll, so ist sie ein Fehlschlag.
Gemischte Gefühle, eindeutige Botschaften
Man hatte sich im verregneten Schwarzmeerort Varna zum Abendessen getroffen. Und es fragt sich, welche Art von Verständigung überhaupt zwischen Salat und Hauptgang über den Tisch hinweg stattgefunden haben kann. Sogar Gastgeber Boiko Borissow räumte hinterher vor der Presse ein, es sei ein spannungsgeladenes Treffen gewesen. Aber man solle sich doch auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren, nicht nur über das Trennende zwischen EU und der türkischen Regierung reden.
Der bulgarische Ministerpräsident lobte denn auch Ankara dafür, dass inzwischen keine Flüchtlinge mehr an der bulgarischen Grenze eintreffen würden. So gut würde die Türkei ihre Aufgaben aus dem Flüchtlingsabkommen erfüllen. Und was die bestehenden Probleme angehe, so müsse man sie Schritt für Schritt abarbeiten.
Damit ist man aber an diesem Abend keinen Zentimeter weitergekommen, wenn man EU-Ratspräsident Donald Tusk zugehört hat. Er vertritt hier die europäischen Mitgliedsstaaten und beschreibt seine Stimmung bei dem Treffen mit den Worten "gemischte Gefühle, eindeutige Botschaften". Als EU-Kandidatenland müsse die Türkei demokratische Standards einhalten, und daran fehle es. "Wir sind besorgt, weil die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit gefährdet sind", sagt Tusk.
Und er führt aus der langen Liste der europäischen Klagen die Krise um Probebohrungen für Erdgas vor Zypern an, gegen die Ankara mit Kriegsschiffen gedroht hat. Er nennt den Fall der zwei griechischen Soldaten, die von der Türkei festgehalten werden und erinnert an weiter in Haft sitzende EU-Bürger aber auch an die verhafteten türkischen Journalisten, und er spricht von Sorge wegen der türkischen Militäraktion in Afrin. Dort würden noch mehr Menschen in die Flucht getrieben und eine angespannte Situation noch verschärft. "Unsere Beziehung geht durch schwere Zeiten", fasst Tusk die Lage zusammen.
Erdogans Parallel-Universum
Der türkische Präsident beklagt sich über die Kritik an der Türkei: Sein militärisches Eingreifen im syrischen Afrin gegen die dortigen Kurden nennt er einen "Kampf gegen den Terrorismus". Wobei Erdogan unentwegt den "Islamischen Staat", die kurdische PKK und die syrisch-kurdische YPG, die unter anderem vom Westen als Verbündete bewaffnet wurde, gleichermaßen als Terrororganisationen bezeichnet. "Die EU sollte aufhören, so übermäßig kritisch zu sein, es wäre ein Fehler die Türkei von der Partnerschaft zu isolieren", erklärte der Präsident. Klang das wie eine Drohung?
"Wir respektieren die Menschenrechte", behauptete Recep Erdogan dann weiter, und man werde die Aktionen gegen Terroristen fortführen. Und was die Flüchtlinge im syrischen Afrin angehe, so würden sie jetzt bereits nach Hause zurückkehren, nachdem Tausende "Terroristen" von dort vertrieben worden seien.
Die Wunschliste der türkischen Regierung enthält vor allem die bekannten Forderungen. Es geht um die Visa-Liberalisierung, die im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsankommen in Aussicht genommen worden war, die aber aus Protest gegen den Verlust von Rechtsstaatlichkeit in der Türkei blockiert ist. Und es geht um die Fortschreibung der Zollunion. Erdogan möchte das Thema "entpolitisieren" und die technischen Probleme beseitigen. Aber auch hier sperren sich EU-Mitgliedsländer dagegen, dem inzwischen total autokratisch regierenden türkischen Präsidenten zu weiteren Wirtschaftserfolgen zu verhelfen.
Das Flüchtlingsabkommen lebt
Der einzige funktionierende Teil der Zusammenarbeit ist das Flüchtlingsabkommen von 2015. Zwei Jahre nach der Unterschrift wurden 2017 nur noch 200.000 Asylbewerber in Europa verzeichnet, die fast ausschließlich über Libyen in die EU kamen. Die Türkei hat den Zustrom über Griechenland weitgehend gestoppt.
Dabei scheint es irgendwo eine doppelte Buchführung zu geben: Der türkische Präsident behauptet beharrlich, die EU habe noch nicht das gesamte Geld aus den damals zugesagten drei Milliarden Euro gezahlt. Die Europäer hingegen erklären, die ganze Summe sei ausgezahlt oder für Hilfsprojekte verplant, die syrische Flüchtlinge in der Türkei direkt unterstützen. Nur ein kleinerer Teil des Geldes ging dabei an die türkische Regierung selbst, und dabei bemängelt die EU bürokratische Verzögerungen und undurchsichtige Ausgaben.
Dennoch hat die EU-Kommission inzwischen zugesagt, es werde die zweite Tranche von weiteren drei Milliarden für die Flüchtlinge in der Türkei in Gang gesetzt. Derzeit streiten sich die Mitgliedsländer allerdings noch darüber, wie das Geld aufgebracht werden soll.
Das Flüchtlingsabkommen gibt Präsident Erdogan einen Hebel, die EU immer wieder unter Druck zu setzen und ihre Werte und Moral in Zweifel zu ziehen. Trotzdem hat er sich bislang trotz gelegentlicher Drohungen an seine Seite des Deals gehalten.
Neben diplomatischer Schmierseife auch Ehrlichkeit
Für die diplomatische Seife war in Varna neben Gastgeber Borissow vor allem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuständig. Er bedankte sich überschwänglich bei Präsident Erdogan für die Erfolge des Flüchtlingsabkommens, die Zahlen seien um 75 Prozent gesunken. Juncker sagte, er sei "traurig" über das angespannte Verhältnis, denn er habe den Beitrittswunsch der Türkei immer unterstützt. "Ich war nie dafür, die Verhandlungen abzubrechen." Zwischen "großen Demokratien" müsse es möglich sein offen über Probleme zu reden - und schließlich nannte der EU-Kommissionspräsident Recep Erdogan auch noch seinen "Freund". Kritiker werfen Juncker schon länger politische Distanzlosigkeit vor, zuletzt wegen seines allzu herzlichen Gratulationsschreibens an den russischen Präsidenten Putin zu seiner Wiederwahl. Auch gegenüber dem türkischen Präsidenten erscheint sein Ton nahezu anbiedernd.
Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, hingegen sagte am Ende des Treffens ungeschminkt die Wahrheit über den Stand des europäisch-türkischen Verhältnisses: "Wir haben keine Lösungen oder Kompromisse erzielt." Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, das bilaterale Verhältnis etwa mit Zypern oder Griechenland und das Eingreifen in Syrien blieben objektive Probleme. Man wolle weiter miteinander reden, aber "nur Fortschritt in diesen Fragen wird das Verhältnis verbessern". Und so gesehen gab es am verregneten Himmel von Varna überhaupt keinen Lichtstreif.