Wie viel Europa steckt in Istanbul?
Trotz Beziehungskrise: Europa und die Türkei haben viel gemeinsam. Istanbul zum Beispiel. Die 15-Millionen-Metropole ist nicht nur rein geografisch ein Teil Europas. Ein Streifzug durch die Stadt der Gegensätze.
Istanbul passt in keine Schublade
Istanbul ist die einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt: Europa und Asien. In der Bosporus-Metropole prallen Tradition und Moderne, Religion und säkularer Lifestyle aufeinander wie an kaum einem anderen Ort. Viele sagen: Genau das macht den Zauber der Stadt aus.
Zweitausendjährige Weltstadt
Istanbul blickt auf eine mehr als 2600 Jahre alte Geschichte zurück und das prägt das Stadtbild bis heute. Wechselnde Herrscher stritten sich um die Kontrolle: Perser, Griechen, Römer, Osmanen. "Konstantinopel" war das Zentrum des Byzantinischen und später des Osmanischen Reiches. Erst 1930 wurde die Stadt in Istanbul umbenannt.
Zwischen den Welten
Der Bosporus ist die blaue Seele Istanbuls. Die Meerenge trennt den europäischen vom asiatischen Teil der Stadt. Jeden Tag bringen Fähren Zehntausende Menschen von der einen auf die andere Seite. Möwen kreischen im Wind. An Bord gibt es Tee und "Simit" - Sesamkringel. Etwa 20 Minuten dauert die Fahrt von Karaköy in Europa nach Kadiköy in Asien.
Brücken verbinden
Von der Galata-Brücke aus lassen sich die Schiffe gut beobachten - und auch sonst so einiges. Dicht an dicht stehen hier die Angler - in der Hoffnung auf einen guten Fang. Dazwischen: Händler, Touristen, Schuhputzer, Mais-Verkäufer. Die erste Brücke entstand hier 1845 - da hieß Istanbul noch Konstantinopel.
"Europa ist ein Gefühl"
"Ich heiße Vefki", sagt einer der Angler und winkt uns heran. "Ich fühle mich als Europäer. Wir wünschen uns mehr Freiheit, deshalb sollten die Türkei und die EU wieder enger zusammenrücken", sagt er. Vefki ist Rentner und Angeln ist sein Hobby - aber auch ein Zusatzeinkommen. Für zwei Kilo Fisch, sagt er, bekommt er auf dem Markt umgerechnet etwa acht Euro.
Minarette im Herzen der Stadt
Auf dem Taksim-Platz im Herzen der Stadt brummen die Baumaschinen. In Windeseile wird hier eine neue Moschee hochgezogen - mit einer 30 Meter hohen Hauptkuppel und zwei Minaretten. Bis zu den Wahlen 2019 soll alles fertig sein. Kritiker sagen: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drängt dem Platz eine neue Identität auf: islamisch-konservativ und neo-osmanisch statt säkular und europäisch.
Europäisch und fromm
Eher konservativ geht es im Istanbuler Viertel Fatih zu - und das obwohl Fatih im europäischen Teil der Stadt liegt. Viele Menschen, die hier leben, sind aus Anatolien eingewandert, auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Manche nennen Fatih auch den "Stadtteil der Frommen" - viele hier sind treue Anhänger des türkischen Präsidenten und seiner islamischen AKP.
Shopping im Schatten der Moschee
Mittwochs ist Markt rund um die Fatih-Moschee. Es wird geschubst und gefeilscht - um Haushaltsgeräte, Kleidung, Bettwäsche, Obst und Gemüse. Die Preise sind niedriger als anderswo. Auch die Mieten. Inzwischen leben in Fatih viele Familien aus Syrien. Mehr als drei Millionen Geflüchtete hat die Türkei seit Beginn des Syrien-Kriegs 2011 aufgenommen - so viele wie kein anderes Land.
"Klein Syrien" mitten in Istanbul
Fatih ist inzwischen bekannt für seine syrischen Restaurants: Der Döner hier etwa kommt mit extra viel Knoblauch. "Misafir" ("Gäste") werden die Flüchtlinge in der Türkei offiziell genannt. Asylstatus wie in der EU gibt es hier nicht. Aber die Regierung hat Zehntausenden Syrern die türkische Staatsbürgerschaft versprochen. Kritiker sehen darin den Versuch, zusätzliche Wählerstimmen zu gewinnen.
Nightlife in "Hipstanbul"
Wer ausgehen, feiern, Alkohol trinken will, muss in andere Stadtteile Istanbuls: nach Kadiköy auf der asiatischen Seite etwa oder wie hier nach Karaköy, eines der ältesten Viertel - heute aber durch und durch gentrifiziert. In den Cafés, Concept Stores und Galerien treffen sich Einheimische und Touristen. Mit der islamisch-konservativen Politik der Regierung kann hier kaum jemand etwas anfangen.
Hoffen auf die Touristen
"Istanbul hat sich sehr verändert", sagt Ayşegül Saraçoğlu. Sie arbeitet in einem Designer-Laden im bei Touristen beliebten Galata-Viertel. "Vor ein paar Jahren noch kamen so viele Europäer hierher zum Urlaub machen", jetzt sind es vor allem arabische Touristen. "Für unser Geschäft ist das schlecht", sagt sie. "Ich hoffe, das ändert sich bald wieder".