Gelingt der sozial gerechte Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas?
14. Juni 2024Die letzte Klimakonferenz in Dubai markierte den "Anfang vom Ende" des Zeitalters der fossilen Brennstoffe. 200 Länder verpflichteten sich, von Kohle, Öl und Gas abzurücken und erneuerbare Energien auszubauen, um die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen.
Aber wie kann die Welt den Übergang zu einer dekarbonisierten Wirtschaft auf faire und integrative Weise vollziehen, ohne schutzbedürftige Menschen und Länder mit niedrigem Einkommen zurückzulassen?
Die Frage des sogenannten "gerechten Übergangs" war das bestimmende Thema der bei den Klimaverhandlungen vom 3. bis 13. Juni mit 5000 Delegierten in Bonn. Die Unterhändler bereiteten den nächsten großen Klimagipfel vom 11. bis 22. November in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku vor und diskutierten über die Frage, wer für die steigenden Kosten des Klimawandels aufkommen soll.
"Es geht darum, durch Klimaschutzmaßnahmen soziale Gerechtigkeit zu erreichen", sagt Adriana Chavarría Flores von der Nichtregierungsorganisation Climate Strategies in London, die die Gespräche als Beobachterin begleitete, der DW. "Wir dürfen also die soziale Komponente nicht vergessen und müssen diese in den Mittelpunkt der Entscheidungen zum Klimaschutz stellen."
Worum geht es bei einem "gerechten Übergang"?
Bei einem "gerechten Übergang" geht es darum, die Vorteile einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung möglichst allen gesellschaftlichen Gruppen zugänglich zu machen. Gleichzeitig sollen Länder, Regionen, Kommunen, Industrien und Arbeitnehmer unterstützt werden, die bei dem Umbau der Wirtschaft verlieren könnten.
Bei den Klimaverhandlungen in Bonn mit Regierungsvertretern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft ging es darum, wie solch ein sozial "gerechter Übergang" in der Praxis aussehen könnte.
"Wir dürfen niemanden zurücklassen", sagt Simon Stiell, Chef des UN-Klimasekretariats. "Aber um das tatsächlich umzusetzen, müssen wir anfangen, konkrete Pläne zu schmieden. Wir müssen politische Maßnahmen entwickeln, die auf Dialog und Engagement mit allen Teilen der Gesellschaft basieren."
38 Prozent der Länder verweisen mittlerweile auf die Prinzipien eines "gerechten Übergangs". Einige Pläne seien detailliert, andere nur Lippenbekenntnisse, erläutern Konferenzbeobachter. Doch die Ausarbeitung von detaillierten Plänen sei unerlässlich, um Menschen, Länder und Industrien bei der Abkehr von fossilen Energien zu unterstützen.
"Die Frage ist nicht, ob wir einen gerechten oder ungerechten Übergang haben können. Das sollte nicht zur Debatte stehen", so Jodi-Ann Wang vom Grantham Research Institute an der London School of Economics (LSE). "Es geht darum, wie man es in den Planungsprozess einbaut."
Länder wie Chile haben bereits mit der praktischen Umsetzung begonnen. Die chilenische Regierung hat beispielsweise Einwohner, Unternehmen und Gewerkschaften in Regionen konsultiert, in denen Kraftwerke abgeschaltet werden. Kürzlich hat sie einen Aktionsplan für Tocopilla im Norden des Landes fertiggestellt, der Maßnahmen zur Ausweitung der Elektromobilität in der Stadt sowie zur Ausbildung von Menschen für die Arbeit in diesem Bereich umfasst.
Umschulungen für grüne Wirtschaft
Zum "gerechten Übergang" gehöre "Bildung, Ausbildung, Umschulung und Weiterbildung. "Dies schützt marginalisierte Gruppen und eigentlich alle, macht sie resilient, während sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern", erklärt Wang gegenüber der DW.
"Manchmal bedeutet das auch, das Bildungssystem selbst zu reformieren und bestehende soziale und digitale Infrastrukturlücken anzugehen, die den Zugang für verschiedene Gruppen bereits unterschiedlich gestalten", fügt die Politikanalystin für nachhaltige Finanzierung hinzu.
Derzeit verfügt nur eine Minderheit der Arbeitnehmer über die erforderlichen Fähigkeiten für eine Tätigkeit im Bereich der "grünen Wirtschaft". Ein Bericht der Business-Networking-Plattform LinkedIn ergab, dass 12,5 Prozent der Plattformnutzer über mindestens eine solche Fähigkeit verfügen. Bei Frauen liegt der Anteil bei zehn Prozent.
Zu diesen Fähigkeiten gehören unter anderem die Reparatur von Elektrofahrzeugen, die Wissen rund um das Thema Klimawandel, der Bau von Solaranlagen oder Kenntnisse in der klimaneutralen Landwirtschaft.
Der Anteil der Menschen mit diesen Fähigkeiten wächst und die Nachfrage nach ihnen steigt rasant. Mehr als die Hälfte des Beschäftigungswachstums im Energiesektor im Jahr 2022 entfiel laut der Internationalen Energieagentur auf Branchen wie erneuerbare Energien.
Doch um die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Menschen bei einem gerechten Übergang zu unterstützen, müssen die politischen Entscheidungsträger die Kommunen konsultieren und Daten sammeln. Das ist besonders wichtig in Ländern wie Kolumbien, Bangladesch oder Uganda, wo nur wenige Daten verfügbar sind, weil viele Menschen schwarz arbeiten.
"Wenn wir nicht wissen, wer betroffen sein wird, wie groß das Ausmaß ist, wie hoch die Kosten alternativer Lösungen sind, oder was alternative Lösungen überhaupt sind, wie sollen wir dann politische Maßnahmen ergreifen?", fragt Wang.
Der "gerechte Übergang" muss finanziert werden
Die Klimafinanzierung, einschließlich der Bezahlung von Klimaschäden, ist seit langem ein umstrittenes Thema, auch bei den diesjährigen Bonner Gesprächen. Die Unterhändler sind sich uneinig über die Größe des Klimafinanzierungstopfs, der Entwicklungsländern beim Umgang mit den Folgen des Klimawandels helfen soll.
Unklarheit herrscht auch darüber, wie die Mittel aufgeteilt werden sollen. Das Thema wird die Klimakonferenz in Aserbaidschan dominieren.
Das neue Ziel würde die vereinbarten 100 Milliarden Dollar pro Jahr ersetzen, die Länder mit hohem Einkommen von 2022 an - zwei Jahre nach der vereinbarten Frist - zu zahlen begonnen haben. Modelle deuten darauf hin, dass das neue Finanzziel, das bei der Klimakonferenz im November beschlossen werden soll, im Billionenbereich liegen könnte.
Für viele Länder mit niedrigem Einkommen ist eine gerechte und faire Umstellung auf erneuerbare Energien ohne ausländische Finanzierung nicht möglich. Die Finanzierung kann in Form von Zuschüssen oder zinsgünstigen Darlehen erfolgen.
In einigen Fällen verdienen wohlhabende Länder jedoch tatsächlich Geld, indem sie Klimagelder zu marktüblichen Zinsen verleihen, wie eine Analyse der Nachrichtenagentur Reuters ergab.
"Viele Entwicklungsländer geben heute mehr Geld für die Bedienung ihrer bestehenden Schulden aus als für die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung für ihre Bevölkerung", sagt Wang von der LSE. "Das wirft die Frage auf, ob Kredite, die zu marktüblichen Zinsen angeboten werden, die Art von Finanzierung sind, die unter eine gerechte Übergangsfinanzierung fallen kann."
Wang hofft, dass bei der Finanzierungsfrage in Aserbaidschan der "gerechte Übergang" zumindest in einigen dieser Verhandlungen Erwähnung finden wird.
Redaktion: Jennifer Collins. Der Beitrag erschien zuerst in Englisch. Adaption: Gero Rueter
Quellen:
COP28 Agreement Signals "Beginning of the End" of the Fossil Fuel Era, December 2023