Geheimpolizist beim IS? Nils D. vor Gericht
19. Januar 2016Nils D. kennt den Hochsicherheitsbunker des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Im Dezember hat er dort als Zeuge ausgesagt, im Prozess gegen einen anderen Rückkehrer aus den Reihen des "Islamischen Staates". Auch vor dem Oberlandesgericht Celle ist Nils D. schon als Zeuge aufgetreten. Ab diesem Mittwoch ist der 25-jährige Dinslakener nun wieder im Gerichtssaal in Düsseldorf - diesmal auf der Anklagebank. Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft: Nils D. war "Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung Islamischer Staat" und habe in Syrien eine "schwere staatsgefährdende Gewalttat" vorbereitet.
Es gibt zur Zeit etliche solcher Prozesse gegen IS-Rückkehrer in Deutschland. Kein Wunder: Der sogenannte "Islamische Staat" hat als Utopie, Inspiration und Zentrum einer totalitären Religionsauslegung eine gefährliche Anziehungskraft entwickelt. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes sind knapp 800 Deutsche dem Ruf dschihadistischer Rekrutierer ins syrische Kriegsgebiet gefolgt. Etwa hundert Kämpfer sind wieder zurück. Wer von ihnen vor Gericht gestellt wird, schweigt in der Regel. Das ist bei Nils D. anders: Er redet.
Der Alltag ausländischer Kämpfer
D.s Aussagen geben Einblick in die Strukturen des IS und in den Alltag und die Aufgaben ausländischer Kämpfer. Und sie zeigen, wie sich auf dem Herrschaftsgebiet des IS eine Art terroristischer Internationale mit weit verzweigten Netzwerken herausbildet.
Deutsche und belgische Dschihadisten bewohnten demnach gemeinsam ein Haus. Deutsche kämpften unter dem Kommando von Belgiern. Auch Abdelhamid Abaaoud identifizierte Nils D. schon vergangenen August auf einem Foto - drei Monate, bevor das Bild von Abaaoud, einem der Attentäter der blutigen Anschläge von Paris, um die Welt ging. Für die Ermittler ist D.s Redefreudigkeit ein Glücksfall. Oder wie es der Essener Polizeisprecher Ulrich Faßbender gegenüber der ARD ausdrückte: "Wir können da Querverbindungen noch mal neu herstellen."
Im Zentrum des Terrors
Gut dreizehn Monate war Nils D. beim "Islamischen Staat". Der große, kräftige Mann mit den rötlichen Haaren - Spitzname: "der Dicke" - nannte sich dort Abu Ibrahim und soll Teil einer Spezialeinheit des IS gewesen sein. Aufgabe des Teams: Dissidenten und Deserteure verhaften - eine Art Geheimpolizei der Terrortruppe. Der Rechercheverbund von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" hatte Einblick in die Protokolle der rund 40 Vernehmungen von D. - und fand ein grausiges Bild von Folterungen, Hinrichtungen und Willkür.
D.s Einheit war in der Kleinstadt Manbidsch untergebracht, etwa 40 Kilometer von Aleppo entfernt. 300 Insassen habe das Gefängnis der Einheit gehabt. Die Schreie der Gefangenen seien bis auf die andere Straßenseite zu hören gewesen. Fast täglich habe es öffentliche Erschießungen oder Enthauptungen gegeben, auch eine Kreuzigung habe D. gesehen. Nach eigener Aussage will D. bei "zehn bis fünfzehn" Verhaftungen dabei gewesen sein. Mit seiner Kalaschnikow und seiner vergoldeten Browning-Pistole sei er dabei aber immer im Auto sitzen geblieben - bei den Denunzianten.
Auch habe er sich selbst nie an Folterungen und Hinrichtungen beteiligt, beteuert D. Allerdings fanden die Ermittler auf seinem Smartphone unter anderem ein Bild, bei dem er seine Waffe einem Gefangenen an den Kopf hält. Medienberichten zufolge begann D. erst zu reden, als die Ermittler ihn mit diesem Bild konfrontierten.
Dschihad-Zentrum Lohberg
D.s Heimatort Dinslaken-Lohberg hat zwar nur knapp 6000 Einwohner. Aber die ehemalige Bergbausiedlung am nordöstlichen Rand von Dinslaken ist ein Brennpunkt des deutschen Dschihadismus: Zwischen 2011 und 2013 wuchs ausgerechnet neben dem Büro des Integrationsbeauftragten eine als Bildungsverein getarnte Islamistengruppe heran. Von den rund 25 Mitgliedern ist die Hälfte nach Syrien gegangen. Fünf von ihnen sind zurückgekehrt. Fünf sind tot.
Zu den Toten gehört auch ein Cousin von Nils D.: Philip Bergner hat sich im Sommer 2014 als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und dabei vermutlich rund 20 kurdische Kämpfer mit in den Tod gerissen. Philip Bergner war es wohl auch, der D. in die Salafistenszene eingeführt und später die Ausreise nach Syrien nahegelegt hatte.
D. war in der Hauptschule gehänselt worden, war bereits im Jugendalter Vater geworden, hatte Drogenprobleme, hatte seine Ausbildung verloren. Der Terrorismusexperte Marwan Abou Taam betont zwar, es gebe unter den deutschen Dschihadisten die unterschiedlichsten Biographien, Hochschulabsolventen wie Schulabbrecher. Dennoch erklärt der Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamtes im DW-Gespräch, manche Menschen seien empfänglicher als andere für die Botschaften islamistischer Seelenfänger: "Diejenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, beziehungsweise sich in einer Krise befinden und dort abgeholt werden", präzisiert Abou Taam.
Jetzt könnte Nils D. umgekehrt bei der Prävention eine Rolle spielen, glaubt der Experte: D.s Aussagen über die Realität im "Islamischen Staat" könnten ein Gegenentwurf zur Hochglanzpropaganda des IS sein. Das wäre auch ein Glücksfall. Denn die meisten Rückkehrer schweigen ja.