Staatsgeheimnisse
10. Juni 2013Bereits an seinem ersten Arbeitstag im Weißen Haus unterzeichnete Barack Obama Vermerke für alle Ministerien und Regierungsstellen, in denen er verkündete, seine Regierung "verpflichte sich zu einem noch nie dagewesenen Level an Offenheit." Man werde "gemeinsam daran arbeiten, das Vertrauen der Öffentlichkeit sicherzustellen und ein System der Transparenz, der öffentlichen Beteiligung und der Zusammenarbeit zu etablieren."
"Auf Geheimhaltung fixiert"
Fünf Jahre später bescheinigen die Medien der Regierung Obama "klägliches Scheitern" beim Thema Transparenz - während der Präsident Anfang des Jahres seine Überzeugung wiederholte: Die Obama Regierung sei die transparenteste der US-Geschichte. Wer hat nun Recht?
Das kommt ganz darauf an, wie man Transparenz definiert. Wenn es darum gehe, Initiative zu ergreifen, Daten und Informationen zu veröffentlichen, habe es "eine beispiellose Flut von Informationen auf Websites gegeben", erklärt Angela Canterbury, Direktorin für Public Policy der Nichtregierungsorganisation "Project on Government Oversight."
Wem aber Angaben zu Regierungspolitik und -abläufen nicht als Maß für Offenheit reichen, dem erscheint die Regierung Obama eher als verschlossene Auster denn als durchlässiges Sieb.
Kein Wort über nationale Sicherheit
"Vor allem wenn es um nationale Sicherheit geht, eine der Hauptsorgen in den USA, ist man verschwiegen und, sollte etwas durchsickern, aggressiv kontrollierend", meint Yochai Benkler, Juraprofessor und Ko-Direktor des "Berkman Center for Internet and Society" an der Harvard University.
Medien und Befürworter von Offenheit in der Regierung kritisieren das heimliche Kampfdrohnenprogramm der Regierung, aber noch besorgniserregender finden sie die Haltung der Regierung Obama zu Transparenz bezüglich nationaler Sicherheit. Dort wucherten Geheimnisse, meint Canterbury. "Es gibt ein Amerika, das wie eine Demokratie aussieht: Dort gibt es große Offenheit in der Regierung. Dann haben wir diesen Staat der nationalen Sicherheit - und der droht sich den Rest der Regierung einzuverleiben."
Whistleblower zur Rechenschaft ziehen
In sechs Fällen wurden Regierungsangestellte nach dem Spionagegesetz beschuldigt, Informationen weitergegeben zu haben - doppelt so viel wie bei allen bisherigen Administrationen zusammengenommen.
Jetzt könnte ein weiterer hinzukommen. Die jüngsten Enthüllungen zu den massiven US-Überwachungsprogrammen gehen angeblich auf das Konto von Edward Snowden, ein ehemaliger CIA Mitarbeiter. Snowden erklärte, er wolle mit seinem Vorgehen das Ausmaß der Überwachung öffentlich machen. Snowden ist zur Zeit in Hongkong und hofft jetzt auf politisches Asyl.
Der prominenteste Fall ist wohl der des Soldaten und mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning, dem die Weitergabe geheimer militärischer Informationen vorgeworfen wird. Aber auch die anderen Fälle zeigen, wie hart die Regierung gegen "undichte Stellen" vorgeht: 2010 wurde der damalige FBI-Dolmetscher Shamai Leibowitz wegen Spionage angeklagt und zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er einem Blogger geheime Informationen weitergeleitet hatte. Selbst der vorsitzende Richter wusste jedoch nicht , welche Informationen genau den Dolmetscher hinter Gitter gebracht haben.
Abschreckung so drastisch wie möglich
Im Ermittlungsverfahren gegen Thomas Drake ging es um Interna über ein umstrittenes Abhörprogramm, die der Angestellte der National Security Agency (NSA) einer Journalistin weitergegeben haben soll. Drake empfand das Programm als massive Verschwendung von Regierungsgeldern - und behielt letztlich recht. 2011, vier Jahre nach Beginn der Untersuchungen, wurden die 10 ursprünglichen Anklagepunkte gegen Drake fallengelassen und der Angestellte bekannte sich lediglich eines Amtsvergehens schuldig.
Mindestens zwei weitere Fälle sind noch anhängig: Der Lauschangriff des Justizministeriums auf Journalisten der Nachrichtenagentur AP und der Fall des "Fox News" Reporters James Rosen, der angeblich geheime Informationen über Nordkorea veröffentlicht hatte.
Bei Geheimnisverrat handele die Regierung nach einem bestimmten Muster, so Harvard-Professor Benkler. Das Internet habe es nicht nur einfacher gemacht, geheime Informationen zu verbreiten , es sei auch schwerer Geheimnisse zu wahren. "Man kann heute nicht mehr die New York Times anrufen, ins Oval Office einladen und überreden, den Artikel über die NSA-Abhöraktion um ein Jahr zu verschieben - alles ist schon im Netz", erklärt Benkler. Also müsse man die Geheimnisverräter so drastisch wie möglich abschrecken.
Die Regierung Obama werde schlechter gemacht als sie ist, meint dagegen Rahul Sagar, Dozent für Politische Wissenschaften an der Princeton University. Man dürfe den historischen Kontext nicht außer Acht lassen, und müsse erkennen, dass Geheimdienst-Aktionen heute eine viel größere Rolle spielten als in den vergangenen drei Jahrzehnten, so der Autor des demnächst erscheinenden Buches "Secrets and Leaks: The Dilemma of State Secrecy." Die Regierung Obama müsse mit einer neuen Welt zu Recht kommen, in der viel mehr geheim gehalten werden müsse. "Ihr Eifer und ihre Sorgen im Fall von AP und Wikileaks sind nicht unbegründet", meint Sagar.
Politischer Preis wird immer höher
In Anbetracht der unnachgiebigen Haltung der Regierung, der verhältnismäßig hohen Zahl der Untersuchungen und dem breiten Medieninteresse könnte man fast meinen, Geheimnisverrat sei die Lieblingsbeschäftigung von Regierungsangestellten im Internetzeitalter. Das sei natürlich nicht so, meint David Pozen, Juradozent an der Columbia University. "Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Frequenz schon immer hoch war."
Dennoch werden Gesetze gegen Geheimnisverrat fast nie durchgesetzt, erklärt Pozen in seiner demnächst erscheinenden Studie "The Leaky Leviathan: Why the Government Condemns and Condones Unlawful Disclosures of Information". "In der Geschichte der USA hat es weniger als ein Dutzend Strafprozesse gegen mutmaßliche Geheimnisverräter gegeben", erklärt der Jurist. "Es gibt eine dramatische Diskrepanz zwischen der Art, wie unsere Gesetze und unsere Führung Geheimnisverrat theoretisch verurteilen, und wie das in der Praxis gehandhabt wird."
Pozen bezweifelt, dass die Regierung Obama ihre Jagd nach Geheimnisverrätern so fortführen wird wie bisher. Der politische Preis dafür sei einfach zu hoch. Das hofft auch sein Kollege Benkler. Strafprozesse gegen Whistleblower seien, wie man zu einem Hammer greife, um eine Filigranarbeit zu machen: "Im Grunde genommen will man sicher gehen, dass Geheimnisverräter fürchten müssen weit mehr als nur ihren Job zu verlieren."