Gegen Korruption und für Glaubwürdigkeit
12. November 2002In der Türkei und in Europa führt der Wahlsieg der AKP zu vielen Fragen. Die AKP behauptet zwar, keine Partei zu sein, die sich um die Achse der Religion drehe. Doch sie stützt sich auf islamische Traditionen – und sowohl die Menschen in der Türkei als auch das Ausland sind gespannt: Welche Rolle werden diese Traditionen im politischen Leben spielen?
Oberstes Ziel: Glaubwürdigkeit
In den kommenden Wochen wird die Partei ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen müssen. Der erste Prüfstein: Die Immunität der Abgeordneten. Denn in der Türkei kommt es immer wieder zu Fällen, die auf korrupte Verbindungen zwischen dem Staatsapparat, dem Geheimdienst, der Polizei und der Mafia hinweisen. Die Staatsanwälte gehen den Vermutungen nach. Doch die Kette dunkler Beziehungen endet oft bei den Volksvertretern. Und die sind durch ihre Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt.
In der vergangenen Legislaturperiode beantragten die Behörden die Aufhebung der Immunität von 122 der 550 Abgeordneten. Sie alle sind nach der Wahl nicht mehr im Parlament vertreten, die Justiz kann endlich handeln. Im neuen Parlament sitzen aber insgesamt 17 neue Volksvertreter, gegen die Ermittlungen bzw. Verfahren laufen.
Zum Beispiel der Fall Akgündüz
Für sie bedeutet das Abgeordnetenamt sozusagen die Rettung vor der Strafverfolgung. Zu ihnen zählt auch der "unabhängige" Fadil Akgündüz. Er gilt als Betrüger, nachdem er sowohl in der Türkei als auch in Deutschland riesige Geldsummen mit dem Versprechen kassiert hatte, er werde eine Autofabrik in der Türkei bauen. Akgündüz führte seinen Wahlkampf vom Ausland per Telefon und schaffte es, in seiner Heimatprovinz Siirt im Südosten Anatoliens genug Stimmen zu sammeln, um einen Sitz im Parlament zu ergattern. Wenn die AKP ihre Wahlversprechen einlöst, dann könnte das Parlament künftig die Immunität von Abgeordneten wie Akgündüz aufheben.
In der Türkei warten viele darauf, dass AKP-Führer Recep Tayyip Erdogan und der Chef der einzigen Oppositionspartei im Plenum, der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei, Deniz Baykal, ihre Ankündigungen erfüllen. Schon im Jahr 1997 kam es zu einer Reihe ziviler Proteste in der Türkei. Millionen Bürger protestierten: Um 21 Uhr machten sie ihre Lichter aus und und schlugen Krach auf den Straßen. Sie klapperten mit Kochtopf-Deckeln, pfiffen mit Trillerpfeifen und forderten die Aufklärung von Mordserien und Korruption. Nun könnten sich die Forderungen endlich erfüllen. Die etablierten Parteien sind schließlich auch deshalb gescheitert und in die außerparlamentarische Existenz verbannt worden, weil sie die Hoffnungen auf eine saubere Politik nicht erfüllt haben.