Gaza-Konflikt im Zeichen der Wahlen in Israel
15. November 2012
Warum der Konflikt gerade jetzt so eskaliert, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Direktor des Al-Quds-Zentrums für politische Studien im jordanischen Amman, Oraib al-Rantawi, macht Israels Premier Benjamin Netanjahu dafür verantwortlich. Der Regierungschef wolle sich vor den Parlamentswahlen im kommenden Januar als entschlossener Verteidiger Israels zeigen. Netanjahu habe sich immer als derjenige inszeniert, der den Iran in Schach halte, sagte Al-Rantawi im Gespräch mit der Deutschen Welle. Nun heize er einen anderen Konflikt an, um sich zu profilieren.
Netanjahu im Wahlkampf
Das sieht der deutsch-israelische Nahost-Experte Gil Yaron anders. Für ihn ist Netanjahu weniger die treibende Kraft als vielmehr der Getriebene. Netanjahu habe auf die andauernden Angriffe aus dem Gaza-Streifen reagieren müssen. "Viele Israelis haben sich von ihrer eigenen Regierung verlassen gefühlt und gesagt: Wie kann es sein, dass ihr nichts unternehmt dagegen?", sagt der Publizist und Journalist. Zwei Monate vor den Wahlen wolle sich Netanjahu nicht vorwerfen lassen, er habe die Sicherheit im Süden des Landes vernachlässigt.
In einer innenpolitischen Auseinandersetzung steckt auch die Hamas. Seit die Islamisten 2006 im Gaza-Streifen an die Regierung gewählt worden sind, ringen sie mit der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas um die Macht. Die im Westjordanland herrschende Fatah setzt auf Diplomatie. Dagegen hat die Hamas im Gaza-Streifen den militärischen Kampf nie aufgegeben. Beide Seiten müssen zeigen, was sie mit ihren Methoden für die Palästinenser erreicht haben. Dabei wird die Hamas zusätzlich von noch extremeren Gruppen wie den Salafisten herausgefordert. Die versuchen auf eigene Faust, so Yaron, die Hamas in einen Krieg mit Israel hineinzuziehen. Das funktioniere, solange Israel nicht unterscheide, wer da eigentlich seine selbstgebastelten Raketen aus dem Gaza-Streifen nach Israel abfeuere.
Mehrere Hamas-Führer liquidiert
Dass die israelische Luftwaffe am Mittwoch (14.11.2012) gezielt Hamas-Militärchef Ahmed al-Dschabari getötet hat, verschärft den Konflikt. Der Tod al-Dschabaris habe die Islamisten nur zeitweise geschwächt, davon ist Yaron überzeugt. Auch früher schon hat das israelische Militär immer wieder Hamas-Führer getötet, ohne dass die Organisation dadurch führungslos geworden ist.
Politikwissenschaftler al-Rantawi glaubt, die Hamas sei heute politisch und militärisch stärker als während des offenen Krieges 2008 und 2009. Damals war die israelische Armee in den schmalen Küstenstreifen einmarschiert.
Die jetzigen Angriffe überschatten auch die Bemühungen von Palästinenserpräsident Abbas, einen Palästinenserstaat durch die UN diplomatisch anerkennen zu lassen. Die Fatah-Regierung fühlt sich dabei zwischen Hammer und Amboss: Sie wirft Israel vor, den Gang vor die UN durch die Angriffe verhindern zu wollen, erklärt Gil Yaron. Und der Hamas unterstellt sie, mit dem Raketenbeschuss eine friedliche Lösung torpedieren zu wollen. Die Hamas lehne den Vorstoß der Fatah bei den Vereinten Nationen ab.
Islamisten regieren in Ägypten und Gaza
Die jüngste Drehung der Gewaltspirale rückt auch die Rolle der neuen ägyptischen Regierung in den Mittelpunkt. Seit die Muslimbrüder die Wahlen gewonnen haben, tritt das Land wieder als selbstbewusster Akteur im Nahen Osten auf. Die Regierungen in Kairo und Gaza-Stadt sind sich nicht in allem einig, aber sie stehen sich politisch sehr nahe.
Die Hamas erwartet Rückendeckung aus Kairo, so Yaron. "Sie sagt sich: Die Israelis werden es nicht wagen, gegen uns mit einer großen Militäraktion vorzugegehen, weil wir den Schutz Ägyptens genießen. Und diese Beziehung wollen die Israelis nicht aufs Spiel setzen." Dabei ist fraglich, ob Ägypten tatsächlich bereit wäre, sich in den Konflikt einzumischen.
Bodenkrieg nicht auszuschließen
Israel zieht derweil Truppenverbände zusammen und beruft Reservisten ein. Netanjahu droht, die Angriffe notfalls auszuweiten. Yaron ist überzeugt, dass die Regierung in Jerusalem keinen blutigen Bodenkrieg will. Eine Eskalation will er aber auch nicht ausschließen. "Sollte - Gotte behüte - ein Kindergarten oder eine Schule von einer Rakete getroffen werden, dann würde sich Premier Netanjahu gezwungen sehen, tatsächlich den Gaza-Streifen anzugreifen", glaubt der Journalist - erst recht, wenn Raketen die Metropole Tel Aviv träfen.
Auch Politikwissenschaftler al-Rantawi warnt vor der Eigendynamik von bewaffneten Konflikten: "Man kann den ersten Schuss in so einem Krieg abfeuern, aber man kann nicht sicher sein, dass man auch den letzten abfeuert." Sollte Israel einen Bodenkrieg beginnen, dann hätte das ernste Folgen für die ganze Region.