Zwei Hits hat er als Amateurkomponist geschrieben - doch das erfuhr Russland über Michail Mischustin erst, als er vergangene Woche unverhofft zu politischem Ruhm kam. Wladimir Putin ernannte ihn anstelle seiner getreuen Nummer zwei, Dmitri Medwedew, zum Ministerpräsidenten. Als Chef der russischen Steuerbehörde war der 53-Jährige kaum jemandem ein Begriff.
Die neue Ministerriege, die Mischustin Anfang der Woche präsentierte, besteht überwiegend aus Personen, die genauso unbekannt sind - abgesehen von Außenminister Sergej Lawrow, Verteidigungsminister Sergej Schoigu und dem mutmaßlichen Finanzminister Anton Siluanow. Die 27 Männer und Frauen sind farblose Karrierebürokraten. In den vergangenen 20 Jahren rotierten sie durch Ministerien, Regierungsbehörden und staatliche Unternehmen.
Putin mag es, wenn seine Regierung aus Personen ohne Rang und Namen besteht.
Doch dieses Kabinett ist besonders: Es ist das Erste, das nach der angekündigten Verfassungsänderung im April im Amt sein wird. Die Änderungen sollen von einem Sonderkomitee entworfen werden, das Putin ernannt hat. Unter ihnen befinden sich eine dreifache Eiskunstlauf-Olympiasiegerin, ein nationalistischer Romanautor, drei Gewerkschaftschefs und einige Abgeordnete, die für ihre absolute Loyalität zu Putin bekannt sind. Selbst nach modernen russischen Standards für Speichelleckerei sticht deren Haltung heraus.
Die geplanten Verfassungsänderungen entheben den Präsidenten der Verantwortung für wirtschaftliche und soziale Themen. Künftig wird die Duma, das Unterhaus des Parlaments, Kabinettsmitglieder und den Ministerpräsidenten bestätigen - letzterer wird aber weiterhin vom Präsidenten vorgeschlagen. Die Duma wird weiter aus den Ja-Sagern der Partei "Einiges Russland" und der vom Kreml kontrollierten Schein-Opposition bestehen, wie den Kommunisten oder den Ultra-Nationalisten unter dem irreführenden Namen "Liberal-Demokratische Partei ".
Der Kreml wird seine Haltung beibehalten
Der Präsident behält die volle Macht über die Außenpolitik, das Militär, die Polizei und diverse Sicherheitsdienste. Dass Lawrow und Schoigu im Amt bleiben, genauso wie Innenminister und Polizeichef Wladimir Kolokolzew, ist ein klares Signal an die Welt: Weder die russische Außen- und Sicherheitspolitik wird sich ändern, noch die Unterdrückung von Putin-Kritikern im Land.
Schon das fünfte Jahr in Folge sinkt das Realeinkommen, das Wirtschaftswachstum ist winzig und soziale Proteste gewinnen an Fahrt. Die gesichtslosen Bürokraten in Mischustins Regierung haben eine wichtige Aufgabe vor sich: die wachsende soziale Unzufriedenheit zu unterdrücken.
Jetzt müssen die finanziellen Mittel gefunden werden, um Putins Versprechen einlösen zu können: die Bildung und Gesundheitsdienste drastisch zu verbessern, Familien mit Kindern stärker zu bezuschussen und die stagnierende Wirtschaft neu aufzustellen.
Das soll dann garantieren, dass die Verfassungsänderungen durch eine Volksabstimmung ohne Hindernis abgesegnet wird und die Parlamentswahl 2021 - wahrscheinlich sogar schon 2020 - störungsfrei abläuft. Und das wiederum bereitet den Weg für den wichtigsten Teil, nämlich Putins Übergang von seiner gegenwärtigen Präsidentschaft in eine neue Machtposition, in der er weiter die Hebel der Regierungsmaschine in der Hand halten wird.
Eine Rolle wird dabei wahrscheinlich der Staatsrat spielen, der bisher nur ein beratendes Gremium ist, das aus Führungskräften der russischen Regionen besteht. Der Staatsrat wird in Putins Verfassungsänderungen explizit erwähnt. Er bekommt bewusst vage gehaltene, aber breite Machtbefugnisse über die Grundlinien der Innen- und Außenpolitik.
Putin beeilt sich - aber warum?
Die meisten Beobachter in Moskau sind sich einig, dass Putin die Verfassungsänderung im Eiltempo durchdrückt, damit er die Präsidentschaft schon vor 2024 abgeben kann. Aber niemand weiß, warum. Bis sie vor vollendete Tatsachen gestellt wird, wird die Öffentlichkeit nicht erfahren, was Putin im Sinn hat, wen er als seinen Nachfolger sieht oder ob es überhaupt einen Nachfolger geben wird.
Mischustin und seine Minister sind dazu da, die Wählerschaft ruhig zu halten, während Putin über die Zukunft nachdenkt.
Unter den neuen Kabinettsmitgliedern sticht eine heraus: Kulturministerin Olga Ljubimowa stellt ihren russisch-orthodoxen Glauben in den Vordergrund und schreckt niemals vor Kontroversen zurück. Sie war unter dem vorigen Minister für Filmkunst und Kino verantwortlich. Da machte sie sich einen Namen, indem sie die politische Tragikomödie "The Death of Stalin" als anti-russisch brandmarkte und dem Film die Vorführerlaubnis verweigerte.
Es ist schon eine Ironie, dass diese neue Kultur-Oberchefin bei der Machtverschiebung im realen Leben eine Rolle spielen wird - in einer Ära, die mit ihrer Undurchsichtigkeit immer mehr sowjetischen Zeiten ähnelt.