Am 8. und 9. Mai feierten wir den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und Sieges der Alliierten über den Hitler-Faschismus. Mehr als 60 Millionen Menschen verloren in diesem Krieg ihr Leben, Zig tausende wurden in Konzentrationslagern ermordet. "Die Erinnerung an den Krieg und seine Schrecken müssen für alle Zeit wachgehalten werden", hieß es in der Erklärung der Bundesregierung zum Gedenktag.
Gerade in diesen Tagen traf - inmitten der Corona-Pandemie - die Nachricht ein, dass am 16. Mai eine Totenmesse für gefallene kroatische Unterstützer Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, die sogenannte "Ustaša" (eine mit Nazi-Deutschland kooperierende nationalistische Bewegung) in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo abgehalten werden soll.
Kollaborateure des Nazi-Regimes
Zur Erinnerung: Von der Besetzung Jugoslawiens 1941 bis Kriegsende 1945 herrschte im unter Hitlers Patronat neu gegründeten "Unabhängigen Staat Kroatien" (NDH) Kollaborateure des Nazi-Regimes. Sie deportierten und ermordeten in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und kroatisch besetzen Teilen Serbiens die jüdische Bevölkerung, Muslime, Serben, Roma und kroatische Oppositionelle. Allein in Sarajevo wurden über 10.000 Menschen Opfer des Ustaša-Regimes.
Acht Tage nach Kriegsende wurden an der jugoslawisch-österreichischen Grenze nahe der Stadt Bleiburg Ustaša-Angehörige, NDH-Soldaten, montenegrinische, serbische und slowenische Nazi-Kollaborateure sowie Zivilisten, die sich britischen Truppen ergeben wollten, von diesen an die mit den Alliierten verbündete jugoslawische Armee ausgeliefert. Diese ließ innerhalb kurzer Zeit und ohne Gerichtsverhandlungen viele Gefangene exekutieren; andere schickte sie auf Todesmärsche. Im kommunistischen Jugoslawien (1945-91) wurden diese Taten nicht aufgearbeitet.
Ein Ort für Gedenkfeiern Ewiggestriger
Bleiburg wurde inzwischen ein Ort für Gedenkfeiern Ewiggestriger. Jedes Jahr am 16. Mai findet hier eines der größten Faschistentreffen Europas statt. Als "religiöse Veranstaltung" getarnt, avancierte es zur Pilgerstätte nicht nur für rechtsextreme katholische Geistliche, ehemalige Ustaša-Kämpfer und Neonazis - sondern immer wieder auch für hochrangige kroatische Politiker. Selbst eine offizielle Distanzierung der Kärntner Diözese Gurk-Klagenfurt konnte das Treiben nicht stoppen.
Durch Corona ist in diesem Jahr eine andere Situation entstanden: Das Treffen bei Bleiburg kann nicht stattfinden. Dafür will der bosnische Kardinal Vinko Puljić, der wie in den vergangenen Jahren die Totenmesse in Bleiburg halten sollte, nun am 16. Mai in die Kathedrale von Sarajevo eine Messe für die Opfer von Bleiburg lesen.
Bosnisches Staatspräsidium ausnahmsweise einig
Das Recht auf Glaubensfreiheit ist in der Demokratie in Bosnien-Herzegowina verankert. Gegen die Messe für Bleiburg gibt es aber viel Protest. Soll wirklich in einer multiethnischen Stadt, die gerade im jüngsten Krieg vor 25 Jahren so unsagbar unter Nationalismus gelitten hat, eine Veranstaltung für Nazis stattfinden? Selbst die dreiköpfige Präsidentschaft des Landes ist sich ausnahmsweise einmal einig: Alle drei Mitglieder empfehlen dem Kardinal, seine Entscheidung zu überdenken.
Die Bosnier sind aufgebracht - und das kann auch ein Grund zur Besorgnis sein. Die Bürger haben nämlich auch Angst, dass es wegen "Bleiburg" zu Ausschreitungen kommen könnte. Politiker rufen die Bosnier zur Besonnenheit auf, etwa die größte bosniakische Partei SDA: "Wir fordern die Bürger auf, ihre Uneinigkeit mit der Abhaltung der Messe durch die katholische Kirche nicht so auszudrücken, dass dies zu Zwischenfällen führen könnte."
Ende der Zusammenarbeit der christlichen Kirchen
Auch das Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Bosnien verurteilte Kardinal Puljićs Entscheidung - und kündigte mit scharfen Worten das Ende jeglicher Zusammenarbeit beider Kirchen an: "Sie haben mit dieser Entscheidung für uns die Tür der Kathedrale für immer geschlossen." In einem multiethnischen Staat, in dem Toleranz und Respekt für das Zusammenleben das Wichtigste ist, vertieft diese Krise nur noch mehr vorhandene Gräben.
Die israelische Botschaft im albanischen Tirana, zuständig für Bosnien-Herzegowina, und führende jüdische Repräsentanten in Bosnien wandten sich ebenfalls an den Kardinal, wie auch viele demokratische Organisationen und Parteien sowie bekannte Persönlichkeiten. Der Präsident der jüdischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Jakob Finci, schrieb in einem offenem Brief, diese Messe "erinnert an die Henker unserer Mütter, Väter, Großväter, Landsleute und aller anderen unschuldigen Menschen, die von den Faschisten des Para-Staates NDH (Unabhängiger Staat Kroatien) getötet wurden", was eine Neubelebung und Stärkung von Faschismus bedeute. Sogar die US-Botschaft in Sarajevo ruft die Organisatoren auf, "von historischem Revisionismus und rückwärtsgewandter Rhetorik" Abstand zu nehmen.
Kroatiens Regierungspartei driftet nach rechts
Die Dachorganisation von 13 kroatischen politischen Parteien, die sich "Kroatische Nationalversammlung von Bosnien und Herzegowina" nennt, unterstützt den Kardinal Puljić dagegen. Genauso wie das Parlament des EU-Mitgliedsstaates Kroatien - der Patron der Gedenkfeier.
Man beobachtet in den zurückliegenden Jahren, dass die Zagreber Regierungspartei "Kroatische Demokratische Gemeinschaft" HDZ immer mehr nach rechts abdriftet. Das gleiche gilt auch für ihre Schwesterpartei in Bosnien. Man muss sich fragen, warum die EU hier wegsieht. Kroatien ist EU-Mitglied und entsprechende Maßnahmen in diesem Fall wären angebracht; aber die EU und die Europäische Volkspartei EVP - deren Mitglied die HDZ ist - beobachten nur die Geschehnisse ohne irgendeine Konsequenz.
Sagen Sie diese Messe ab!
Es ist besorgniserregend, wenn rechte und antisemitische Kräfte ungehindert ihre menschenverachtenden Ideologien verbreiten können. Wir dürfen nie vergessen, wovon wir vor 75 Jahren befreit worden sind. Wir dürfen nie aufhören, unermüdlich gegen Faschismus anzukämpfen. Ich rufe die EVP, Brüssel und auch die höchsten Stellen der katholischen Kirche auf, Stellung gegen Faschismus und rechtsnationale Kräfte zu beziehen, und diese Messe abzusagen, bevor es zu spät ist!
Ich kann nur hoffen, dass auch der bosnische Kardinal Vinko Puljić noch vor dem 16. Mai erkennt, dass man mit einer Messe für Faschisten keine Versöhnung schafft - ganz im Gegenteil.
Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling war von 1982 bis 1992 CDU-Bundesminister für Post und Telekommunikation. Er trat aus Protest gegen die Haltung der Bundesregierung im Bosnien-Krieg zurück. 2006/07 amtierte er als Hoher Repräsentant und EU-Sonderbeauftragter in Bosnien-Herzegowina.