Champion Gerwyn Price: "Ganz netter Typ"
4. Januar 2021Als er vor dem Siegerpokal stand, dieser gewaltigen "Sid Waddell Trophy", und dabei möglicherweise an die 500.000 britischen Pfund Preisgeld dachte, da wurde der neue Weltmeister dann doch für einen Moment demütig. Gerwyn Price aus Wales, ehemals Rugby-Spieler, hatte in seinem ersten WM-Finale die Partie gegen Gary Anderson dominiert - vorläufiges Ende eines eher lautstarken Weges in die Dart-Szene. Vor gut sieben Jahren war Price in den Sport mit den Pfeilen eingestiegen. Nun ist der Sportler mit dem Spitznamen "The Iceman" am Ziel.
"Ich kann die Doppel-Acht"
Ein Anruf am Tag danach in Saarwellingen bei dem Mann, der für die deutsche Darts-Szene bei der WM in London ein neues Kapitel aufgeschlagen hatte. "Na klar, ich habe das Finale im Fernsehen geguckt, da bin ich dann auch ein Fan wie jeder andere", sagt Gabriel Clemens, der es als erster deutscher Spieler überhaupt ins WM-Achtelfinale geschafft hatte. Ein großer Erfolg. Am Morgen nach dem TV-Finale hat der 37-jährige Clemens schon wieder zwei Stunden trainiert, nach dem Interview wird es weitergehen. Der erste Ärger über das Ausscheiden in London ist inzwischen verraucht. "Verlieren tut keiner gern", sagt Clemens dennoch. "Aber wenn mir vorher jemand gesagt hätte, du kommst ins Achtelfinale, das hätte ich sofort unterschrieben." Beim Training legt er aber kein besonderes Augenmerk auf die Fertigkeit, die ihn in London in entscheidenden Momenten im Stich ließ: "Ich weiß, dass ich die Doppel-Acht [Treffer auf den äußersten Ring der Dartscheibe über der Ziffer Acht - Anm. d. Red] kann."
Der Provokateur
Der neue Weltmeister Gerwyn Price wirkt wie für den Sport geschaffen, ein Prototyp: als Showman, der Buhrufe auch mal anzieht, wenn er sich nach guten Würfen feiern lässt, die Konzentration seines Gegners stört und mit den Emotionen des Publikums spielt. Dem ruhigen Saarländer Clemens, den manche schon liebevoll "Gaga" gerufen haben, als er noch kein Darts-Profi war, würden solche Spielchen nicht in den Sinn kommen. "Es muss beide Typen in unserem Sport geben", findet Clemens. Und abseits der Scheibe sei Price, gegen den er auch schon gespielt hat, ja ein ganz netter Typ.
Die Geschichte, dass Gabriel Clemens' Eltern nicht so begeistert waren, als ihr Sohn den Beruf für den Darts-Sport aufgab, stimmt nur so halb. Denn als Industriemechaniker ist er nur freigestellt und hängt somit nicht ganz in der Luft. Die 35.000 Euro Preisgeld, die er in London verdiente, waren ein warmer Regen - "Wir zahlen aber ja auch alles selbst". Als Profi kann Clemens vom Darts-Sport leben. Auch das haben viele andere nicht geschafft.
2,2 Millionen Zuschauer
Der eine ruhig, der andere extrovertiert. "Gaga" hier, "The Iceman" dort. Auch wenn Clemens nicht so auf die Tube drückt wie Gerwyn Price, ist sein Erfolg für die Wahrnehmung des Darts-Sport wichtig. "Das Achtelfinale haben 2,2 Millionen Zuschauer im Fernsehen verfolgt", sagt Clemens.
Wie es jetzt weitergeht? "The Iceman" Prize will sich Häuser kaufen, vielleicht nach der Rugby- und Darts-Liga noch die Snooker-Szene aufmischen, wie er der Tageszeitung "Die Welt" verriet. Und sich dann zeitnah zur Ruhe setzen. Wer weiß?
Der andere ist froh, dass er nach wiederholtem Corona-Test über Luxemburg aus dem Vereinigten Königreich ausfliegen konnte. Nun wartet Clemens im Saarland auf den neuen Turnierkalender. In der Weltrangliste ist er auf Position 29 geklettert. "Da guck' ich gar nicht so drauf", sagt Clemens. Dem neuen Champion würde so etwas nicht passieren.