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Gabriel Clemens: der ruhige Shooting Star

28. Dezember 2020

Bei der Darts-WM in London gelingt Gabriel Clemens ein Paukenschlag: Er wirft den Weltmeister aus dem Rennen. Dass der deutsche Profi nun die Bodenhaftung verliert, ist nicht zu befürchten.

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Großbritannien | Darts-WM in London | Gabriel Clemens aus Deutschland
Bild: John Walton/PA Wire/dpa/picture alliance

Der Mann der Pfeile ist kein Mann der Worte. "Im Moment ziemlich leer", antwortete Gabriel Clemens kurz und knapp auf die Frage der überdrehten "Sport1"-Moderatorin, wie er sich denn nach dem "granatösen" Spiel fühle. Eigentlich, so Clemens, wolle er nur schnell ins Bett. Als erster Deutscher überhaupt in der Geschichte der Darts-WM in London war der 37-Jährige gerade ins Achtelfinale der WM eingezogen und hatte dabei keinen Geringeren als den Weltmeister aus dem Rennen geworfen. Mit 4:3 gewann "Gaga", wie ihn seine Freunde rufen, am Sonntagabend sensationell gegen Peter Wright, den exzentrischen Schotten mit dem Irokesen-Haarschnitt. "Ich habe meine Chancen genutzt", analysierte der deutsche Profi nüchtern seinen Auftritt in dem dramatischen Duell. "Im Endeffekt hat es gereicht."

Gelernter Schlosser 

Schon der Einzug in die dritte WM-Runde war der größte Erfolg in Clemens' Darts-Karriere. 2001 begann er, Pfeile zu werfen, damals noch hobbymäßig, mit Freunden in der Kneipe. Irgendwann startete er dann bei Turnieren, 2014 und 2017 wurde er mit dem Dartverein Kaiserslautern deutscher Meister. Auch international trat Clemens nun auf. 2017 erreichte er im britischen Seebad Bridlington als erster deutscher Spieler das Halbfinale der "World Masters", des ältesten noch ausgetragenen Major-Turniers.

Großbritannien | Darts-WM in London | Gabriel Clemens aus Deutschland
Der besiegte Titelverteidiger Peter Wright (l.) gratuliert Gabriel Clemens Bild: Nigel Keene/Pro Sports Images/imago images

Bis Februar 2019 verdiente Clemens sein Geld als Industriemechaniker im heimischen Saarland. Dann ließ sich der gelernte Schlosser von seinem Arbeitgeber für zunächst ein Jahr und schließlich ein weiteres beurlauben, um sich ganz dem Sport mit den kleinen Pfeilen zu widmen. Seine Karriere nahm noch mehr Fahrt auf. Und nach seinem Coup bei der WM erscheint es eher unwahrscheinlich, dass der 1,95 Meter große "German Giant", wie Clemens in der Darts-Szene gerufen wird, in absehbarer Zukunft wieder in den Blaumann schlüpft.

Mehr als 20 Kilogramm abgespeckt

Sollte er es doch tun, hätte er wahrscheinlich kein Problem damit. Clemens ist kein Entertainer, der das Scheinwerferlicht sucht. "Darts ist nicht das Wichtigste in meinem Leben", sagt "Gaga": "Da gibt es wichtigere Dinge: Gesundheit, Familie, die Menschen, die um mich herum sind." Wie Lisa Heuser, seine Freundin, die inzwischen auch seine Managerin ist.

Clemens hat seine Ernährung umgestellt, verzichtet weitgehend auf kohlenhydrathaltige Speisen. Mehr als 20 Kilogramm hat er schon abgenommen. Mehrere Stunden am Tag trainiert er. Wie fast alle Top-Dartsspieler hat auch Clemens einen Mentaltrainer. "80 Prozent spielt sich im Kopf ab", sagt "Gaga" über den Sport mit den Pfeilen: Cool und konzentriert bleiben, den Puls runterfahren, ruhig atmen - und sich nicht von dem Trubel um die Wettkampfbühne herum irritieren lassen.

Geisterspiel-Atmosphäre liegt ihm

Normalerweise verwandeln während der Darts-WM in London rund 3000 Zuschauer den Alexandra Palace - im Volksmund "Ally Pally" genannt - in ein Tollhaus. Der Alkohol fließt in Strömen, die häufig kostümierten Fans pfeifen und grölen. Doch wegen der Corona-Pandemie fiel auch die Darts-Party flach. Zunächst hatte es noch geheißen, 1000 Zuschauer dürften die WM live im Saal verfolgen, mit Singverbot und Sicherheitsabstand an den Tischen. Doch Mitte Dezember war auch diese "Ally Pally Light"-Variante Geschichte: Keine Zuschauer während des gesamten WM-Turniers, die Fangesänge werden vom Band eingespielt.

Großbritannien | Darts-WM in London | Gabriel Clemens aus Deutschland
Stilles Glück: Gabriel Clemens nach seinem Sieg gegen WrightBild: Nigel Keene/Pro Sports Images/imago images

Dem introvertierten Clemens kommt die Geisterspiel-Atmosphäre entgegen. Er habe im Corona-Jahr bei Turnieren komplett ohne Zuschauer "immer etwas besser abgeschnitten", sagt der deutsche Profi, der mit dem Einzug ins WM-Achtelfinale bereits ein Preisgeld von 35.000 britischen Pfund (rund 38.650 Euro) sicher hat.

Nächster Gegner ist der Pole Krzysztof Ratajski, der in der Weltrangliste auf Platz 15 geführt wird. Clemens, aktuell noch auf Position 31 notiert, geht als Außenseiter in das Duell. Dass ihm diese Rolle liegt, hat "Gaga" gegen Titelverteidiger Wright bewiesen. Wie weit er bei der WM noch kommen könne, fragte ihn die aufgedrehte TV-Moderatorin nach seinem Coup. Clemens antwortete gewohnt nüchtern: "Keine Ahnung."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter