G7: Keine Verlängerung der Luftbrücke
24. August 2021Die G7-Staaten (USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Deutschland) und die Europäische Union versprechen in ihrer Erklärung nach einem virtuellen Gipfel, "so viele Menschen wie möglich weiterhin aus Afghanistan zu evakuieren". Das Versprechen gilt aber nur noch bis nächsten Dienstag, denn die USA wollen die Luftbrücke aus Kabul nicht über den 31. August hinaus fortsetzen. "Wir konnten keine Verlängerung der Frist erreichen", räumte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der G7-Schaltkonferenz in Berlin ein.
US-Präsident Joe Biden hält es angesichts der wachsenden Gefahren in Kabul für zu gefährlich, die 6000 Soldaten, die den Flughafen sichern und betreiben, weiter dort zu lassen. Sein oberstes Ziel sei es, keine weitere Soldaten zu verlieren, heißt es aus dem Weißen Haus laut amerikanischer Medienberichte. Allerdings hatte Präsident Biden noch am vergangenen Sonntag gesagt, die US-Truppen sollten so lange weiter arbeiten bis alle US-Bürgerinnen und US-Bürger außer Landes seien.
Wie viele Amerikaner sich noch in Afghanistan aufhalten, konnte ein Sprecher des Pentagon, des US-Verteidigungsministeriums, nicht sagen. Bislang sind von den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und vielen anderen Nationen etwa 70.000 Menschen aus Kabul ausgeflogen worden.
"Moralische Pflicht"
Die Vertreter der EU, der Ratsvorsitzende Charles Michel und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, appellierten in Brüssel noch einmal an die USA, die Luftbrücke so lange zu betreiben wie nötig. Es sei eine "moralische Pflicht" die eigenen Bürgerinnen und Bürger, aber auch Afghanen, die für den Westen gearbeitet hätten, Frauen, Aktivistinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aus dem Land heraus zu holen, das jetzt von den Taliban beherrscht wird. "Diejenigen, die unsere Hilfe brauchen, sind die Frauen und Kinder in der Region", sagte Ursula von der Leyen. "Wir wissen wer diese Frauen sind, wo sie sind und welchen Gefahren sie ausgesetzt sind", sagte von der Leyen eindringlich. Sie dürften nicht in die Hände von Menschenschmugglern und kriminellen Banden fallen.
Die Gruppe der 7 sprach sich dafür aus, den Nachbarstaaten Pakistan und Iran bei der Versorgung von afghanischen Flüchtlingen zu helfen. Insgesamt, so die EU-Kommission, sind innerhalb Afghanistans 3,7 Millionen Menschen auf der Flucht, die Mehrzahl davon Frauen. Viele von ihnen würden in die Nachbarstaaten fliehen wollen. Kanada, die USA und Großbritannien sagten den Vereinten Nationen zu, im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms jeweils bis zu 20.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Entsprechende Zusagen der Europäischen Union für ein freiwilliges "Resettlement"-Programm fehlten noch, sagte die EU-Kommissionspräsidentin. Die Mitgliedsstaaten seien dabei sich abzustimmen.
Österreich hatte bereits erklärt, auf keinen Fall irgendeinen Flüchtling aus Afghanistan aufnehmen zu wollen. Die Krise in Afghanistan zeige noch einmal, dass die EU nun endlich einen gemeinsamen Migrationspakt verabschieden müsse, mahnte Ursula von der Leyen. Die EU kann sich seit 2015 nicht auf eine einheitliche Asylpolitik oder gar einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge einigen.
Forderungen an die Taliban
Die G7-Staaten riefen die Taliban-Machthaber auf, auch nach dem Ende der militärischen Luftbrücke aus Kabul, Ausländern und Afghanen, die das Land verlassen wollten, freies Geleit zu gewähren. Wie dieser Forderung Nachdruck verliehen werden soll, blieb allerdings offen. Es gibt die Drohung mit finanziellen Sanktionen. Die Entwicklungshilfe der EU wurde bereits eingefroren, etwa eine Milliarde Euro in den nächsten sieben Jahren.
Die humanitäre Hilfe, die die notleidenden Menschen direkt erreichen soll, gehe allerdings weiter, kündigte die EU an. Nahrungsmittelhilfe solle von 50 Millionen auf 200 Millionen Euro in diesem Jahr aufgestockt werden, kündigte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Zuvor hatte der der Chef des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, David Beasly, dringend appelliert, sein Budget aufzustocken, damit es nicht zu einer Hungersnot in Afghanistan komme.
Rund 40 Prozent der Bevölkerung bezogen bislang Nahrungsmittel durch Hilfsorganisationen. "Natürlich wird es jetzt schwieriger, die Hilfe vor Ort fortzusetzen, weil man nur noch ganz wenig Personal am Boden hat", warnte ein EU-Beamter bei vertraulichen Gesprächen in Brüssel. '"Wir werden nicht mehr alle erreichen können."
Wie geht es weiter?
Die G7 einigte sich darauf, eine eventuelle Regierung der islamistischen Taliban-Extremisten nur anzuerkennen, wenn diese die Menschenrechte achte und die Rechte von Frauen nicht beschneide. Andernfalls würde das Land von finanziellen Hilfen der Außenwelt abgeschnitten. Der italienische Außenminister Luigi Di Maio warnte seine europäischen Partner davor, die USA für die Beendigung ihrer Luftbrücke zu kritisieren. Das transatlantische Band dürfe nicht beschädigt werden. Der Leiter der "Münchner Sicherheitskonferenz", der ehemalige Botschafter Wolfgang Ischinger, sagte der DW, es sei "schrecklich zu sehen, wie der Westen irgendwie auseinanderfällt in dieser Situation. Das ist nur für die Gegner des Westens gut."
Auch der russische Präsident Wladimir Putin meldete sich zu Wort und kreidete den USA an, in Afghanistan Chaos zu hinterlassen. Damit gefährde man auch die Nachbarstaaten und nicht zuletzt Russland, weil von Afghanistan wieder Terror ausgehen könne. Die G7 setzte dem einen weiteren Appell entgegen. Die Taliban sollten Terrorgruppen keinen Unterschlupf gewähren, heißt es in der schriftlichen Erklärung nach dem virtuellen Gipfel. Das habe höchste Priorität.
Was nächste Woche am Flughafen von Kabul geschehen wird, ist unklar. Bundeskanzlerin Merkel meinte in Berlin, man wisse nicht, ob es überhaupt noch Flugbetrieb geben könne. Ein Sprecher des Pentagon erklärte in Washington, die Flugraumüberwachung werde in Afghanistan fast ausschließlich von amerikanischen Militär-Fluglotsen geleistet. Die würden nächsten Dienstag natürlich auch Kabul verlassen. Die Türkei hatte ursprünglich geplant, den Flughafen mit 600 Soldaten weiter zu betreiben. Nach der schnellen Machtübernahme durch die Taliban hat die Türkei dieses Angebot aber zurückgezogen.