Mehr als nur Militär
3. Juli 2017Im Norden von Mali liegt das Epizentrum einer regionalen Sicherheitskrise. 2012 hatten islamistische Extremisten hier für zehn Monate die Kontrolle übernommen. Mit Hilfe französischer und afrikanischer Truppen wurden die Gebiete zurückerobert. Seitdem sichert die UN-Friedensmission MINUSMA mit derzeit rund 11.000 Militär- und 1500 Polizeikräften die Lage. Die Europäische Union unterstützt das malische Militär mit einer Ausbildungsmission. Seit drei Jahren läuft außerdem die französisch geführte Operation "Barkhane", die mit einer 3000 Personen starken Truppe Aufständische in den Ländern der "G5-Sahel" bekämpfen soll - also in Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad.
Dennoch wird die Region nicht sicherer, im Gegenteil: Laut dem jüngsten Lagebericht des UN-Generalsekretärs breitet sich die Gewalt im Norden von Mali weiter aus, immer öfter auch in die Nachbarländer. Zwar sind in Nordmali fünf regionale Übergangsregierungen eingesetzt worden. Doch der "Fortschritt auf der politischen Ebene hat sich noch nicht in einer verbesserten Sicherheitslage niedergeschlagen", heißt es in dem Bericht. Gewalttätige Extremisten hätten das Gebiet ihrer Einsätze erweitert und das Tempo erhöht: Bis Juni 2016 gab es mehr als 200 Angriffe auf internationale und malische Truppen - eine Steigerung um mehr als 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Grenzübergreifender Einsatz
Eine neue, afrikanische Eingreiftruppe von 5000 Mann soll Abhilfe schaffen. Auf einem Gipfeltreffen in Bamako haben die G5-Länder beschlossen, sie bis September einsatzbereit zu machen. Die Einheit soll vor allem in den Grenzgebieten operieren. "Die Dschihadisten begehen oft Überfälle über Staatsgrenzen hinweg", sagt Mali-Experte Paul Melly von der britischen Denkfabrik Chatham House, "deshalb ist eine regionale Streitmacht mit einem grenzübergreifenden Mandat eine Schlüsselkomponente zur Lösung des Sicherheitsproblems".
Die Europäische Union hat 50 Millionen Euro für die Truppe zugesagt, die G5-Staaten tragen jeweils zehn Millionen Euro bei. Zusätzlich hat Frankreichs Präsident Macron, der ebenfalls am Gipfeltreffen teilnahm, acht Millionen Euro versprochen. Damit ist jedoch nur rund ein Viertel des Bedarfs gedeckt - Malis Staatschef Ibrahim Boubacar Keita beziffert diesen auf 423 Millionen Euro. Frankreich war mit seinem Vorhaben, die Finanzierung über die Vereinten Nationen zu sichern gescheitert. Der UN-Sicherheitsrat begrüßte im Juni zwar die Gründung der gemeinsamen Einsatztruppe, machte aber keine finanziellen Zusagen. Es heißt, die Amerikaner unter Präsident Trump, dem teure, US-finanzierte Friedensmissionen ein Dorn im Auge sind, hätten eine stärkere Resolution abgelehnt.
Die Ursachen der anhaltenden Unsicherheit in der Region sind komplex. Wichtige Faktoren sind Armut und die Schwäche der Staaten. Laut dem UN-Bericht ist nur jeder dritte Staatsbedienstete im Norden von Mali an seinem Dienstort - viele andere fürchten um ihre Sicherheit. Lehrer, Ärzte, Krankenpfleger und Regierungsbeamte haben in den vergangenen Monaten gestreikt. Wegen Dürre und der Ausbreitung der Sahara sind 3,8 Millionen Menschen - etwa ein Fünftel der Bevölkerung von Mali - vom Hunger bedroht. Radikaler Islamismus sowie organisierter Schmuggel von Waffen, Drogen und Menschen belasten die Situation zusätzlich.
Bekämpfung der Ursachen
Paul Melly beschreibt eine äußerst komplexe Situation mit "sieben, acht oder zehn Ursachen, die miteinander zusammenhängen". So klinge etwa die Ausstellung amtlicher Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden nach einer trivialen Aufgabe. Doch wenn es für diese Aufgaben keine lokalen Beamten gebe, habe das gravierende Folgen für das Land-, Erbschafts- und Eigentumsrecht - und das wiederum könne bewaffnete Konflikte befeuern.
Der Gipfel in Bamako sei vor allem deshalb ein Erfolg, weil neben der militärischen Komponente auch eine Ausweitung der französischen Entwicklungshilfe und ein intensiverer Austausch zwischen den Gebern in der Region vereinbart worden sei, sagt Melly. "Wenn es keine Entwicklung gibt, untergräbt das die Aussicht auf politische Stabilität, und das Risiko, dass Menschen sich terroristischen und anderen bewaffneten Gruppen anschließen, bleibt bestehen".
Notwendig sei eine Strategie zur Bekämpfung der Konfliktursachen, sagt auch Wolf-Christian Paes vom Bonn International Center for Conversion. Häufig seien die so genannten "Terroristen" dieselben Leute, die vor einigen Jahren Zigaretten geschmuggelt hätten und nun Flüchtlinge schmuggelten. Unter dem Deckmantel des Anti-Terror-Kampfes sei es relativ einfach, in Europa Geld zu mobilisieren. Doch man müsse sich fragen: "Verstehen wir überhaupt, was in diesen Ländern wirklich los ist? Und wenn wir es nicht verstehen, wie können wir es dann effektiv bekämpfen?"
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagt, es sei vor allem wichtig, dass die gemeinsame Truppe im Herbst voll einsatzbereit ist. Demnächst soll eine Geberkonferenz stattfinden. Wolf-Christian Paes kann sich ein Modell nach Vorbild der Mission vorstellen, die seit zehn Jahren in Somalia läuft: eine afrikanische Truppe, durch ein UN-Mandat legitimiert und finanziert von der EU. Möglicherweise hat Präsident Macron die Hoffnung auf amerikanische Unterstützung noch nicht aufgegeben, sagt Paul Melly. Man könnte spekulieren, dass er Präsident Trump auch deshalb zu den Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli eingeladen habe, um ihn von der Mission im Sahel zu überzeugen.