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PolitikTaiwan

Görlach Global: Wer ist Taiwans neuer Präsident?

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
21. Mai 2024

Am Montag wurde Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te vereidigt. Damit besetzt die Demokratische Fortschrittspartei das höchste Amt im Staate zum dritten Mal. In China ist man darüber alles andere als erquickt.

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Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te und seine Amtsvorgängerin Tsai Ing-wen winken Menschen zu (20.05.2024)
Taiwans neuer Präsident Lai mit Amtsvorgängerin Tsai am Tag seiner Amtseinführung (am Montag)Bild: Sam Yeh/AFP/Getty Images

Bisher Vize-Präsident der Inselrepublik ist Lai Ching-te seit gestern nun neuer Präsident Taiwans. Lai war im Januar gewählt worden - sehr zum Ärger der Führung in Peking. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums nannte Lai damals "Zerstörer des Friedens” und brandmarkte ihn auch an diesem Montag in der regulär stattfindenden Pressekonferenz seines Hauses erneut: Jeder Wunsch nach "Unabhängigkeit” Taiwans, hieß es, lande "in einer Sackgasse".

Die Regierung in Peking betrachtet die kleine Inseldemokratie als abtrünnige Provinz. Dabei hat die Kommunistische Partei Chinas niemals über das Eiland geherrscht. Auch während der chinesischen Kaiserzeit hielt China nur einen Teil der Westküste besetzt. Erst die japanische Kolonialmacht (1895-1945) schaffte es, die Insel zu unterwerfen - samt der 16 indigenen Stämme, die seit fast 6000 Jahren auf Taiwan leben. Wenn jemand die Insel gehört, dann diesen ursprünglichen Bewohnern.

Die Sprache der Ureinwohner Taiwans war lange verboten

Die Demokratische Fortschrittspartei unter Lai und seiner Vorgängerin Tsai Ing-wen unterstreichen den Anspruch der Stämme dahingehend, dass ihre Sprachen in der Schule gelehrt werden und ihr Sonderstatus geschützt ist.

Das war nicht immer so: Unter der Militärdiktatur von Chiang kei-Chek, der die Insel Jahrzehnte lang mit harter Hand regierte, nachdem der den chinesischen Bürgerkrieg 1949 gegen Mao Zedong verloren hatte, wurde die Insel "hanisiert". Chiang kam mit rund zwei Millionen Gefolgsleuten seiner Kuomintang-Partei (KMT) auf die Insel, die er als letzte Bastion der legitimen Republik China (Taiwans offizieller Name) sah. Die Sprachen der Ureinwohner und ihre Kultur wurden verboten, die Kinder der Einheimischen in der Schule mit chinesischer Geschichte geplagt.

Lais Wahl als klare Absage an China

Es wundert nicht, dass Chinas Machthaber Xi Jinping diese Kuomintang-Partei favorisiert, denn auch Xi "hanisiert” nicht ethnische Han-Chinesen in der Volksrepublik auf brutale Weise: Die Menschen in Xinjiang und Tibet werden aller Freiheiten und ihrer Kultur beraubt, ähnliches geschieht in Hongkong und der Inneren Mongolei.

Die Taiwaner sehen das mit Schrecken und erteilen Xis Ansage, notfalls die Insel auch mit Gewalt einzunehmen, eine klare Absage. Das hat die Wahl Lais deutlich gemacht.

China |  Ying-jeou Ma und Xi Jinping (20.04.2024)
Taiwans Ex-Präsident Ying-jeou und Chinas Machthaber Xi (im April): Harmonischer BesuchBild: Ju Peng/Xinhua/picture alliance

Der ehemalige Kuomintang-Präsident Ying-jeou Ma besuchte im Wahlkampf die Volksrepublik und warb so für seine Partei und ihren Kandidaten für das Präsidentenamt. Der harmonische Besuch in China sollte zeigen, dass es die Menschen auf der Insel unter einer KMT-Regierung besser haben würden als unter Lai.

Dabei hat die Kuomintang die Präsidentschaft verloren, nachdem sie im Jahr 2014 mit einem Hinterzimmerdeal sensible taiwanesische Industrien für die Volksrepublik öffnen und so die Eigenständigkeit der Insel gefährden wollte. Die Wählerinnen und Wähler auf Taiwan haben das nicht vergessen.

Eine Republik China neben der Volksrepublik China

Lai Ching-te neigte 2014 in der Tat einer politischen Linie zu, die das vermeintlich chinesische Erbe der Chiang-Diktatur tilgen und einen neuen Staat ausrufen wollte. Dies hätte allerdings ein Ende des rechtlichen Schutzes bedeutet, den diese Republik China als Verlierer des chinesischen Bürgerkriegs in der internationalen Arena immer noch genießt. Deshalb hat Lais Demokratische Fortschrittspartei diesem Ziel abgeschworen.

Taiwans neuer Regierungschef steht inmitten seines neuen Kabinetts (25.04.2024)
Wahlsieger Lai bei der Vorstellung seines Kabinetts (Ende April): Anders als die Diktatur nebenanBild: Carlos Garcia Rawlins/REUTERS

Der Regierung in Taipei geht es nun darum, klarzustellen, dass Taiwan eine verlässliche Demokratie im Konzert aller freiheitlichen Nationen ist. Zum Beispiel durch den Einbezug der indigenen Völker, aber auch durch Schritte wie der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Alles Signale, mit denen die Republik China deutlich machen will, dass Taiwan anders als die chinesische Diktatur nebenan.

Lai und Tsai haben daher in den vergangenen Jahren die Position etabliert, dass Taiwan keine Unabhängigkeit erklären muss, da die Republik China in der Tat weiterhin als unabhängiger Staat auf Taiwan fort existiere. Das außenpolitische Gremium des britischen Parlaments bestätigte diese Sicht im vergangenen Jahr: Die Republik China verfüge über Territorium, Staatsvolk, eine funktionierende Regierung und die Fähigkeit, außenpolitische Kontakte zu unterhalten, hieß es in einem Bericht. 

Taiwan sollte Washingtons Hilfe nur im Notfall fordern

Taiwans Verbündete, allen voran die Vereinigten Staaten, haben klargestellt, dass Lai den bestehenden Status, quasi das Patt, zwischen Republik China und Volksrepublik China nicht verändern dürfe. Von daher dürften die kommenden vier Jahre der Lai-Präsidentschaft nur dann die Verteidigungsbereitschaft der USA testen, sollte Xi Jinping wirklich zum Angriff blasen.

In Pekings Fadenkreuz: Taiwans bedrohte Inseln

Seit der Wahl Lai Ching-tes haben die täglichen Provokationen der chinesischen Marine und Luftwaffe gegenüber dem kleinen Inselland zwar nicht aufgehört, sie sind aber auch nicht eskaliert, wie einige nach der Wahl Lais befürchteten.

Der neue Präsident wird vor allem damit beschäftigt sein, Taiwans nationale Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Lai wird gleichzeitig innenpolitische Themen angehen, die nichts mit China zu tun haben, aber für die Bevölkerung wichtig sind. Dazu gehören bezahlbarer Wohnraum und ein robustes soziales Sicherungssystem.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.