Für Brüssel soll Kernkraft "grün" werden
1. Januar 2022Dass Gas- und Atomkraft unter Auflagen als grün eingestuft werden sollen, geht aus einem Verordnungsentwurf der Brüsseler Behörde hervor, der am Neujahrstag kurz nach dem Versand an die EU-Mitgliedstaaten öffentlich wurde. "Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können", heißt es in dem Entwurfspapier der Kommission.
Investitionen in neue Kernkraftwerke sollen demnach dann als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neusten technischen Standards entsprechen. Zudem ist als eine weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen Atom-Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.
Neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise unter strengen Voraussetzungen ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm sogenannte CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt - gerechnet auf den Lebenszyklus der Anlage.
Gas und Atom als Brückentechnologie
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen die beiden Energieformen neben emissionsfreien Technologien wie Wind und Solar in die sogenannte Taxonomie aufgenommen werden, die den Finanzmärkten eine Orientierung geben soll, welche Investitionen klima- und umweltfreundlich sind. Anleger sollen so in die Lage versetzt werden, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen.
Ob Gas und Atomkraft als Teil der "Taxonomie" als klimafreundlich gelten sollten, ist unter den EU-Staaten jedoch stark umstritten. So ist zum Beispiel Deutschland gegen eine Aufnahme von Kernkraft, sieht allerdings die Stromerzeugung aus Gas als notwendige Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität. Für Länder wie Frankreich ist hingegen die Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft.
Kontroverse Diskussionen sind zu erwarten
Der mit dem Versand des Entwurfs begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, der noch vom nun bekannt gewordenen Vorschlag abweichen kann. Eine Umsetzung kann nur verhindert werden, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten dagegen ausspricht. Demnach müssten sich mindestens 15 EU-Länder zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten.
Im EU-Parlament regt sich bereits Widerstand. Vor allem die Grünen wehren sich dagegen, Kernkraft und Erdgas als grün zu bezeichnen. "Der Vorschlag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist ein Schritt zurück", kritisiert der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen. "Atom und fossiles Gas sind nicht zukunftsfähig."
Auch der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) wendet sich gegen das Vorhaben der EU-Kommission: "Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, ist bei dieser Hochrisikotechnologie falsch." Dadurch werde der Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt verstellt. "Der hochradioaktive Atommüll wird uns über Jahrhunderte belasten. Und es mangelt auch an harten Sicherheitskriterien", fügte Habeck hinzu.
Deutsche Umwelthilfe spricht von deutsch-französischem Deal
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) attackiert wegen des Entwurfs Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Dieser habe sich offenbar "für die Aufnahme von fossilem Gas in die Taxonomie eingesetzt und dafür im Gegenzug den französischen Wunsch nach Aufnahme der gefährlichen Atomkraft unterstützt". Die EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament müssten sich klar gegen dieses Vorhaben positionieren.
qu/uh (dpa, afp)