Norwegen: Aufruf zum WM-Boykott
5. März 2021Nun also auch Rosenborg! Nachdem sich zuvor bereits drei andere norwegische Fußballvereine für einen Boykott der WM in Katar ausgesprochen hatten, schloss sich auch Norwegens erfolgreichster und bekanntester Klub dem Protest an. Allerdings nicht ganz freiwillig: Auf der Jahreshauptversammlung, die am Donnerstagabend per Videokonferenz stattfand, war der Antrag, sich dem Boykott anzuschließen, von drei Vertretern der Fanszene eingebracht worden. In der Abstimmung gab es dann ein deutlich positives Votum der Mitglieder.
Rosenborg-Chef Koteng: "Direkter Einfluss"
Die Vereinsführung von Rosenborg hätte dagegen lieber weiterhin den Weg beschritten, den auch Norwegens Fußballverband NFF bislang geht: den der Diplomatie und des offenen Dialogs mit den Veranstaltern in Katar. "Es ist eine knifflige Sache. Man kann nicht sagen, ob das eine oder das andere besser ist", sagte Rosenborgs Vorstandschef Ivar Koteng der Tageszeitung "Verdens Gang (VG)".
"Prinzipiell steht Rosenborg für Offenheit. Wir sind dafür, direkten Einfluss zu nehmen und glauben auch, dass man auf diese Art und Weise, die Welt zu einem besseren Ort machen kann." Nun aber habe die Jahreshauptversammlung anders entschieden. "Es fällt auch nicht schwer, die Argumente der anderen Seite nachzuvollziehen", gab Koteng zu.
Ein möglicher Boykott der WM in Katar wird nicht nur bei Rosenborg BK, sondern in ganz Norwegen kontrovers diskutiert. Er wird wohl auch bei der NFF-Vollversammlung, die am 14. März stattfindet, eines der Hauptthemen sein.
Anstoß zur Bewegung aus Tromsø
Den Anstoß zur "Katar-Bewegung" hatte mit Tom Høgli ein ehemaliger norwegischer Nationalspieler und dessen letzter Verein Tromsø IL gegeben. Der Klub aus der nordnorwegischen Hafenstadt hatte mit seinem Boykott-Aufruf am 26. Februar auf die Meldung der birtischen Zeiung "Guardian" reagiert, die deutlich höhere Todeszahlen unter den Gastarbeitern auf den katarischen WM-Baustellen veröffentlicht hatte.
Nachdem nun auch die Rosenborg-Mitglieder sich dem Protest anschließen wollen, sagte Høgli: "Dass Rosenborg, ein so großer Verein, diese Entscheidung trifft, muss international für Aufsehen sorgen."
Tatsächlich ist der Rosenborg Ballklub aus Trondheim (in Deutschland fälschlicherweise meist Rosenborg Trondheim genannt) der bedeutendste Fußballverein in Norwegen. Rosenborg, kurz RBK, ist mit 26 Titeln Norwegens Rekordmeister. Von 1992 bis 2004 holte der Verein 13 Meisterschaften in Folge und erreichte von 1995 bis 2003 durchgehend die Gruppenphase der Champions League. Damals war Werder Bremens ehemaliger Bundesligaprofi Rune Bratseth Manager der Trondheimer.
Wie schwer wiegt Norwegens Stimme?
Doch die großen Zeiten des Vereins sind lange her, und generell muss die Frage gestellt werden, wie groß der Einfluss Norwegens im Weltfußball ist. Die Nationalmannschaft belegt in der FIFA-Weltrangliste derzeit nur Platz 44. Seit ihren Auftritten bei der Weltmeisterschaft 1998 und der EM im Jahr 2000 waren die Norweger nicht mehr bei großen Turnieren vertreten. In der Qualifikation zur Winter-WM in Katar bekommen es Erling Haaland, Alexander Sörloth und Co. neben Gibraltar, Lettland und Montenegro mit der Türkei und den Niederlanden zu tun. Nur große Optimisten rechnen wohl damit, dass die Norweger am Ende auf Platz eins oder zwei der Gruppe landen könnten.
Beim NFF hat man grob überschlagen, was bereits eine Nichtteilnahme an der WM-Qualifikation finanziell bedeuten könnte: "Eine vorsichtige Schätzung geht davon aus, dass uns durch einen Boykott im Jahr 2021 wahrscheinlich Einnahmen von 100 Millionen Kronen [rund 9,8 Millionen Euro, d. Red.] entgehen würden. Das würde Spitzenklubs genauso treffen wie den Breitensport", sagte NFF-Generalsekretär Pål Bjerketvedt.
Mehr als nur Norwegen
"Es gibt niemanden, der aus moralischen und prinzipiellen Gründen etwas anderes sagen kann, als dass ein Boykott eine gute Sache ist", sagte Norwegens Nationaltrainer Ståle Solbakken, ehemals auch Bundesliga-Trainer beim 1. FC Köln, gegenüber "VG". Die Frage sei aber, was man gemeinsam erreichen könne: "Sorgt ein Boykott tatsächlich dafür, dass es den Arbeitern in Katar in absehbarer Zeit besser geht?"
RBK-Vorstandschef Ivar Koteng mag daran nicht so recht glauben - trotz aller sportlichen Erfolge und dem guten Ruf, den sein Verein auch außerhalb Norwegens genießt. Es brauche mehr als nur den Boykott des norwegischen Verbands. "Man muss darauf hoffen, dass sich viele große Vereine und Nationen anschließen", sagte Koteng, der befürchtet, dass der Aufruf aus Norwegen ansonsten ungehört verhallen könnte: "Wir sind ganz gut im Skifahren, aber eben leider nicht im Fußball."