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Friedliche Kämpfer

Klaus Jansen4. Dezember 2012

Eine afghanische Ärztin, ein türkischer Umweltschützer, ein US-Politikwissenschaftler und britische Waffengegner erhalten den "Alternativen Nobelpreis" 2012. Wer sind die Preisträger und was treibt sie an?

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Türkischer Umweltschützer Hayrettin Karaca(Foto: TEMA)
Türkische Umweltschützer Hayrettin KaracaBild: TEMA

Hayrettin Karaca wollte nur ein paar Fotos von Bäumen und anderen Pflanzen schießen. In Kozak im Westen der Türkei - so hieß es - plante ein Goldminen-Betreiber, tausende Bäume zu fällen. Das wollte Karaca genau wissen. Plötzlich kamen Männer in Autos angefahren, die ihn beleidigten und einschüchterten. Er habe sich unerlaubt Zutritt zu einem Gelände verschafft. Damals - im Jahr 2010 - war Karaca 88 Jahre alt. Der Fall landete vor Gericht, und erst vor wenigen Wochen wurden die Vorwürfe gegen ihn fallen gelassen.

In der Türkei ist es nach wie vor nicht ungefährlich, ein Umwelt-Aktivist zu sein. Zumindest dann, wenn man sich mit mächtigen Konzernen anlegt. Dabei war Hayrettin Karaca selbst mal ein Industrieller. In seinem ersten Leben baute er ein erfolgreiches Textilunternehmen auf. In den 1970er Jahren reiste er dann quer durch die Türkei und stellte Erschreckendes fest: Die Umwelt litt darunter, dass die Landwirte die Böden falsch nutzten. Alte Wälder wurden gerodet, seltene Pflanzen drohten auszusterben und die Bodenerosion schritt weiter voran.

Großvater der türkischen Umweltbewegung

Karaca entschied sich zu handeln. Er dokumentierte die Umweltschäden und informierte Politik und Gesellschaft darüber. Der Unternehmer sammelte seltene Bäume und Pflanzen und legte bei Istanbul einen großen Garten an. Heute sind dort mehr als 14.000 Pflanzenarten zu finden, von denen viele nur in der Türkei beheimatet sind. Der Garten ist öffentlich zugänglich, denn das ist Hayrettin Karacas eigentliche Idee: Die Aufklärung der Bevölkerung.

Hayrettin Karaca (Foto: TEMA)
Umweltschützer Hayrettin KaracaBild: TEMA

Deshalb gründete er Anfang der 1990er Jahre zusammen mit einem weiteren Geschäftsmann die TEMA-Stiftung, die auch starken Einfluss auf die Politik ausübt. 450.000 freiwillige Helfer unterstützen die Stiftung mittlerweile, viele davon Jugendliche. Sie tragen die Botschaft Karacas in die Welt und das mit Erfolg: Zwei Drittel der türkischen Bevölkerung gaben in einer aktuellen Umfrage an, dass Bodenerosion ein akutes Problem sei. Hayrettin Karaca - jetzt 90 Jahre alt - tritt weiter öffentlich auf, in eigenen TV-Sendungen, aber auch auf Bühnen, am liebsten vor Kindern. Dann diskutiert er mit ihnen über die Umwelt und wünscht sich, dass sie sich dieselben Fragen stellen wie er in den 1970er Jahren. Er erhält den Ehrenpreis der Right Livelihood Awards 2012.

Ärztin der Armen

Sima Samar war 22 Jahre alt, als ihr Ehemann verschwand. Auch seine drei Brüder und 60 weitere Familienmitglieder waren plötzlich weg. Sie tauchten nie wieder auf, verschollen in den Wirren des Afghanistan-Krieges der späten 1970er Jahre. Die junge Schiitin verzweifelte nicht, sondern blickte nach vorn. An der Universität in Kabul ließ sie sich zur Ärztin ausbilden, doch nur wenige Monate nach ihrem Abschluss musste sie fliehen und landete schließlich in Pakistan.

Insgesamt 17 Jahre verbrachte Sima Samar im Exil. Als junge Ärztin arbeitete sie lange Zeit in einem afghanischen Flüchtlingslager. In der pakistanischen Grenzstadt Quetta errichtete sie 1987 das erste Krankenhaus für afghanische Frauen und Kinder. Zwei Jahre später gründete sie die Organisation Schuhada, die mittlerweile mehr als hundert Schulen sowie 15 Krankenhäuser und Ambulanzen in Afghanistan und Pakistan betreibt.

Sima Samar (Foto: AP)
Sima Samar will weiter für Afghanistan kämpfenBild: dapd

Nach dem Einmarsch der US-Truppen 2001 kehrte sie nach Afghanistan zurück und wurde Ministerin für Frauenangelegenheiten in der afghanischen Übergangsregierung. 2002 trat sie jedoch zurück und übernahm stattdessen den Vorsitz der unabhängigen Menschenrechtskommission von Afghanistan. Ihre unbequemen Aussagen und Berichte brachten sie mehrfach mit der Regierung in Konflikt. Privat erhielt sie immer wieder Morddrohungen, doch sie hält unbeirrt an ihrer Vision eines besseren Afghanistan - vor allem für Frauen und Kinder - fest. "Alleine die Einrichtung einer Menschenrechtskommission in einem Krisenstaat wie Afghanistan ist schon eine große Errungenschaft", sagte sie im DW-Interview. "Durch uns wissen viele Afghanen erst, dass sie überhaupt Grundrechte besitzen."

Macchiavelli der Gewaltlosigkeit

Gene Sharp wollte nicht in den Krieg ziehen. Warum auch? Der 25-Jährige schrieb gerade an einem Buch über den friedlichen Widerstand von Mahatma Gandhi. Den Koreakrieg der frühen 1950er Jahre fand der junge Mann aus Ohio sinnlos, und er war bereit, für diese Überzeugung ins Gefängnis zu gehen. Neun Monate saß der US-Amerikaner als Kriegsdienstverweigerer hinter Gittern.

Der heute 84-Jährige wusste schon damals, dass politische Revolution gewaltfrei sein kann, und dieses Thema sollte sein Leben bestimmen. Er schrieb mehrere Bücher und gründete 1983 in Boston das Albert-Einstein-Institut zur Erforschung gewaltfreier Aktions- und Widerstandsformen. Zehn Jahre später veröffentlichte er eines seiner erfolgreichsten Bücher, "Von der Diktatur zur Demokratie: Ein Leitfaden für die Befreiung". Dieses Werk bewegte die Welt. Es wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt, Sharp stellte es schließlich kostenlos Online. Es sprach soziale Aktivisten auf der ganzen Welt an, in Serbien und der Ukraine, Ägypten und Myanmar.

Sharp beschreibt die gewaltfreie Revolution in klaren Worten: Ohne die Unterstützung der Menschen kann kein Regime überleben. Wird die Unterstützung entzogen, so stürzt die ganze Struktur zusammen. Fast 200 Methoden der gewaltfreien Aktion hat er zusammengetragen. Die Idee, beim friedlichen Aufstand eine symbolische Farbe zu verwenden, war während der Orangenen Revolution in der Ukraine eindrucksvoll zu beobachten. Ein Anführer dieses Aufstands nannte Sharps Buch die Bibel. Der litauische Verteidigungsminister sagte während der Loslösung von der Sowjetunion in den frühen 1990ern, er habe lieber ein Buch von Sharp als eine Atombombe.

Gene Sharp in seinem Büro in Boston (Foto: AP)
Gene Sharp, friedlich sitzendBild: APImages

Gene Sharp war vom friedlichen Beginn der Arabischen Revolution begeistert und nannte ihn im DW-Interview einen fantastischen Erfolg. "In Ägypten kamen an einem Tag mehr als eine Million Menschen zusammen, und es blieb fast die ganze Zeit friedlich. Mir ist kein anderer Zeitpunkt der Weltgeschichte bekannt, in der es friedliche Großdemonstrationen dieser Art gegeben hat. Es zeigt, dass es funktionieren kann."

Ehrung in Schweden

Hayrettin Karaca, Sima Samar und Gene Sharp erhalten für ihre Verdienste den Right Livelihood Award 2012, zusammen mit der britischen "Campaign Against Arms Trade" (CAAT). Die Kampagne zahlreicher Friedensgruppen geht gegen Waffenhandel in Großbritannien vor, und das schon seit 1974. Die Gruppe hat erreicht, dass britische Exportsubventionen für Waffen zurückgegangen sind, heißt es in der Begründung der Jury. Die sogenannten Alternativen Nobelpreise werden an diesem Freitag (07.12.2012) im schwedischen Parlament in Stockholm verliehen.