Friedensgespräche in tiefer Krise
4. April 2014Das letzte Treffen zwischen der israelischen Chefunterhändlerin Tzipi Livni und ihrem palästinensischen Gegenpart Saeb Erekat endete spät in der Nacht zum Donnerstag (03.04.2014) - ohne Einigung. Stattdessen kündigte die israelische Seite an, dass eine ursprünglich vereinbarte Freilassung von 26 palästinensischen Häftlingen bis auf weiteres auf Eis gelegt sei - wegen der jüngsten diplomatischen Offensive der Palästinenser bei der UN. Außenminister Kerry nannte dies einen "kritischen Moment" in den Gesprächen, mahnte aber beide Seiten, dabei zu bleiben. Gleichzeitig werden die gegenseitigen Beschuldigungen zwischen Israelis und Palästinensern lauter, wer für den möglichen Kollaps der Gespräche verantwortlich ist.
Die Krise nahm bereits am Wochenende ihren Lauf. Israel hatte am 29. März die Frist verstreichen lassen, an der die letzten 26 palästinensischen Langzeithäftlinge, darunter 14 israelisch-arabische Gefangene, freigelassen werden sollten. Die palästinensische Führung in Ramallah wiederum hatte verärgert vor Konsequenzen gewarnt. Denn die Freilassung von insgesamt 104 Häftlingen war zu Beginn der Verhandlungen als "vertrauensbildende Maßnahme" vereinbart worden. Die Palästinenser wiederum sollten sich verpflichten, keine einseitigen Schritte bei UN-Organisationen zu unternehmen. Daran fühle man sich nach der Weigerung Israels, die Häftlinge freizulassen, nicht mehr gebunden, sagte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas am Dienstagabend. Vor laufenden Kameras unterschrieb er 15 Anträge zum Beitritt zu internationalen Konventionen. Damit sind die Nahost-Friedensgespräche in einer noch tieferen Krise, als sie es ohnehin schon waren.
Hektische Pendeldiplomatie
Noch am Tag zuvor hatte US-Außenminister John Kerry seine Europareise unterbrochen und war nach Jerusalem geeilt, um erneut persönlich zu vermitteln. Ein Kompromiss war laut israelischen Medien bereits abzusehen. Doch die Geduld der Palästinenser war offenbar spätestens am Ende, als am Dienstagabend bekannt wurde, dass das israelische Bauministerium die erneute Ausschreibung von 700 Wohnungen im Ost-Jerusalemer Stadtteil Gilo angekündigt hat. Kerry war da schon längst wieder auf dem Rückweg nach Brüssel, um auf einem einem NATO-Treffen die anderen großen Krisen der Welt zu besprechen. Dort warnte er davor, nach dem Vorstoß der Palästinenser die Friedensverhandlungen vorzeitig für gescheitert zu erklären: "Es wäre völlig verfrüht, aus den heutigen Ereignissen irgendeinen Schluss darüber zu ziehen, wie die Dinge jetzt stehen." Doch ein bereits geplantes Treffen am nächsten Tag in Ramallah zwischen dem US-Amerikaner und Präsident Abbas wurde abgesagt.
Die Anträge seien inzwischen den Organisationen übergeben worden, heißt es nun in Ramallah. Dort wurde auch betont, dass Abbas damit keinesfalls die Tür für die Friedensgespräche zugeschlagen habe. Er sei bereit, bis zum letzten Tag der vereinbarten Frist von neun Monaten zu verhandeln, dem 29. April. Den Verhandlungsteams bleibt jetzt weniger als ein Monat, um einen Weg aus der Krise zu finden.
Konventionen auch innenpolitisch wichtig
Der Beitritt zu den internationalen Abkommen stehe den Palästinensern zu, hatte Abbas in seiner Ansprache betont. Bei dem politischen Manöver geht es aber auch um die Glaubwürdigkeit der palästinensischen Führung, die von Seiten der eigenen Bevölkerung unter Druck steht. "Es war ihm wichtig zu zeigen, dass Israel den Kuchen nicht gleichzeitig essen und verwahren kann", sagt der frühere palästinensische Regierungssprecher Ghassan Khatib, der heute an der Bir-Zeit Universität lehrt. Die palästinensische Öffentlichkeit sei nicht besonders begeistert von den Gesprächen, weil sie bislang weitgehend erfolglos seien. Vor allem habe man das Gefühl, dass "weder die israelische Bevölkerung noch die israelische Regierung ernsthaft bereit ist, die Besatzung aufzugeben". Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Palästinenser für eine Fortsetzung der Gespräche ist. Voraussetzung aber sei, dass die Gefangenen freigelassen werden und es einen Siedlungsstopp gebe.
Palästinensische Menschenrechtler weisen aber auch auf die innenpolitische Bedeutung der Konventionen hin. Dazu zählen die vier Genfer Konventionen, bei denen es um den Schutz der Zivilbevölkerung unter Fremdherrschaft geht - wegen der israelischen Besatzung besonders relevant für die Palästinenser. Aber es geht auch um Protokolle zu Folter, Frauen- und Kinderrechten sowie um die Wiener Übereinkommen über konsularische und diplomatische Beziehungen. "Wir haben lange darauf gewartet, dass die Regierung endlich diese Konventionen unterschreibt", sagt Shawan Jabarin von der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al Haq in Ramallah. "Denn mit den Konventionen gibt es ja nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gegenüber den Bürgern."
"Negative Dynamik kaum aufzuhalten"
Dadurch, dass Abbas keinen Antrag auf Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof gestellt habe, "hat er Kerry eine Möglichkeit gegeben, einen Weg aus der Krise zu finden", sagt Shlomo Brom, Nahost-Experte am Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv. "Aber das Fenster wird immer kleiner - und die negative Dynamik ist eigentlich kaum mehr aufzuhalten, denn aus dem gegenseitigen Beschuldigen kommt man nur schwer wieder heraus." Israel hat laut israelischen Medienberichten bereits mit Strafmaßnahmen gedroht, sollte Abbas nicht einlenken. Dabei ist von dem Einbehalten von Steuergeldern der Palästinensischen Autonomiebehörde und anderen Schritten die Rede.
Alle Seiten bleiben skeptisch, denn noch geht es bislang nur darum, die Verhandlungen überhaupt am Leben zu halten. "Wenn die Verhandlungen weitergehen sollen, dann müssen auch Inhalte her", sagt Saman Khoury von der palästinensischen Friedenskoalition. "Sie können nicht nur um der Gespräche willen weitergehen. Denn es muss doch jedem klar sein: Bald gibt es keinen Raum mehr für eine Zwei-Staaten-Lösung." Und es werde darauf ankommen, wie lange der US-Außenminister noch an seiner Mission festhalten wird. Am Donnerstag hatte Kerry, noch vor der israelischen Absage, gemahnt: "Man kann Dinge erleichtern, man kann schieben, man kann stoßen, aber die Entscheidungen müssen die Konfliktparteien selbst treffen. Die Verantwortlichen müssen die Führung übernehmen und sie müssen fähig sein zu erkennen, wann der Moment dafür gekommen ist."