Frieden schaffen mit weniger Waffen
7. Juni 2016Eine neue Straße möchte der Bürgermeister von Gao bauen, jener Stadt im Norden Malis, in der Bundeswehr-Soldaten stationiert sind. Die Anwesenheit der Soldaten - sie sind Teil der UN-Mission "Minusma" - sei gut, erklärte der Bürgermeister der deutschen Verteidigungsministerin bei ihrem Besuch in Gao. Aber die Straße - könnten die Deutschen die nicht auch bauen? Sonst käme seine Region wirtschaftlich nicht voran. Und ohne funktionierende Wirtschaft gäbe es keine Stabilität.
Ursula von der Leyen (CDU) erzählt diese Begebenheit im Berliner Entwicklungsministerium, wo sie den Wunsch aus dem fernen Mali ausrichtete. Vielleicht finden sich dort die Mittel für den Straßenbau. "Im Ausland geht man selbstverständlich davon aus, dass Deutschland vernetzt handelt", sagt von der Leyen auf der Konferenz "Entwicklung, Sicherheit, Frieden" in Berlin.
Aber: Allzu oft ist das Zusammenwirken von Militär und Entwicklungshilfe mehr schöne Theorie als gelebte Praxis. Jedes Ressort plant für sich, und die Ansätze sind oft nicht kompatibel. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Entwicklungshelfern, die sich von Soldaten lieber fernhalten, um nicht als Konfliktpartei gesehen zu werden.
Negativbeispiel Libyen
In der Theorie gilt ein Waffengang als wirkungslos, wenn das Land nicht anschließend stabilisiert und entwickelt wird. In der Praxis bleibt es aber oft bei der militärischen Intervention, die dann folgenschwere Probleme nach sich zieht. "Wir müssen Fehler vermeiden wie beim Abzug der Amerikaner aus dem Irak", betont Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Ein viel zitiertes Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Libyen-Einsatz einer internationalen Militärkoalition, bei dem 2011 Machthaber Muammar Gaddafi getötet wurde. Seither versinkt das Land im Chaos. "Was kam nach den Bomben auf Gaddafi? Der vernetzte Ansatz wurde nicht praktiziert", kritisiert Müller.
Deutschland war am Libyen-Einsatz im Jahr 2011 nicht beteiligt. Aber auch bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr gibt es in diesem Bereich Defizite, die das neue Weißbuch ausbügeln will. Dieser Leitfaden der deutschen Sicherheitspolitik erscheint in Kürze in einer überarbeiteten Fassung. Die letzte Version ist zehn Jahre alt und sicherheitspolitisch überholt.
Mehr Ausbildung und Beratung
Im neuen Weißbuch manifestiert sich die sicherheitspolitische Diskussion der letzten zweieinhalb Jahre: Deutschland ist bereit, in internationalen Einsätzen eine Führungsrolle zu übernehmen - mit allen Konsequenzen auch für die zivile Hilfe. Damit Themen wie etwa die Krisenprävention nicht zu kurz kommen, hat das Entwicklungsministerium intensiv am Weißbuch mitgearbeitet.
"Wer militärisch interveniert, muss auch zivil Verantwortung übernehmen", formuliert von der Leyen. Für die Bundeswehr bedeutet das eine wachsende Zahl an Ausbildungs- und Beratermissionen. Ihr Kabinettskollege Müller betont noch stärker "das Primat des Zivilen" - es müsse von Anfang an darum gehen, Entwicklungsperspektiven zu schaffen.
Müller beansprucht daher für sein Haus ein größeres Mitspracherecht bei der Ausarbeitung dieser "vernetzten" Bundeswehr-Mandate. Neben dem Verteidigungsministerium und dem Auswärtigen Amt müsse das Entwicklungsministerium "Ko-Federführer" sein. Von der Leyen plädiert dafür, den Bundessicherheitsrat als Gremium für die engere Abstimmung zwischen den beteiligten Ressorts zu nutzen.
Militärschlag - und tschüs?
Wie bewerten Fachleute die Wirksamkeit internationaler Militärinterventionen, wie sie heute praktiziert werden? Diese krankten oft an einem unzureichenden Verständnis der Ziel-Region und ihrer Geschichte, meint Dan Smith, Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Und auch am Respekt für die Menschen, die dort leben. "Das allerwichtigste ist, zu wissen, zu analysieren, zu verstehen", sagt Smith. Das sei bei den Interventionen in Nordafrika und im Nahen Osten nicht in ausreichendem Maß geschehen. Beispiel Libyen: Dem Land nach der Militärintervention den Rücken zu kehren, sei "äußerst verantwortungslos" gewesen. Beispiel Afghanistan: Dort sei die Entwicklungshilfe lediglich als "Anhängsel" des massiven Militäreinsatzes gesehen worden, kritisiert Smith.
Mit Waffen werde kein Frieden geschaffen, betont die tunesische Friedensnobelpreisträgerin Ouided Bouchamaoui, sondern nur Frustration. Frieden entstehe durch Dialog, durch eine starke Zivilgesellschaft, durch Arbeitsplätze und Ausbildung. "Nur dann bleiben die jungen Leute bei uns und kommen nicht zu euch", so Bouchamaoui, die als Mitglied des tunesischen "Quartetts für den nationalen Dialog" im Jahr 2015 den Friedensnobelpreis bekam.