Libyen stürzt ins Bodenlose
6. Januar 2015Libyen ist kaum mehr zu erreichen. Zumindest aus der Luft. Heute gab die Fluggesellschaft "Turkish Airlines" bekannt, sie fliege das nordafrikanische Land nicht mehr an. Sie war die letzte Linie, die sich zu dieser Entscheidung durchrang. Fortan ist Libyen nur noch durch seine eigene Fluggesellschaft "Afrikija" mit dem Ausland verbunden.
Die Entscheidung von "Turkish Airlines" ist ein weiteres Zeichen dafür, wie entschlossen sich Libyen selbst zerlegt. Erst am Montag hatte ein libysches Militärflugzeug einen griechischen Tanker angegriffen, der Kurs auf die Hafenstadt Derna genommen hatte. Zwei Besatzungsmitglieder wurden getötet. Ein Sprecher der offiziellen libyschen Regierung erklärte, diese übernehme die Verantwortung für den Angriff. Das Schiff, so die Begründung, habe islamistische Kämpfer in die Stadt bringen wollen. Griechenland verurteilte den Angriff.
Wer immer an Bord des Schiffes war oder nicht war: Der Angriff zeigt,unter welcher Spannung das Land steht. Die Stadt Derna ist eine Hochburg der Islamisten. Sie setzten sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammen, erklärt der Politologe Hasni Abidi gegenüber der DW. "Einerseits sind es Gruppen, die immer schon in Libyen präsent waren. Und andererseits Verbände, deren Mitglieder im Ausland gekämpft haben und nun zurückgekommen sind." Letztere hätten auch Verbindungen zur Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS).
Schwäche des Staates nutzt Dschihadisten
Die radikalen Gruppen machen sich die Schwäche des libyschen Staates zunutze, der zahlreiche klassische Staatsaufgaben nicht mehr erfüllen kann. Vor allem hat er das Gewaltmonopol verloren. Nicht einmal eine ordentliche Regierung hat Libyen mehr. Die gewählte, international anerkannte Regierung ist vor islamistischen Gruppen in das tief im Süden des Landes gelegene Städtchen Tobruk geflohen und versucht von dort aus das Land zu verwalten. Zugleich hat sich in der Hauptstadt Tripoli eine islamistische Regierung etabliert, die das Land nach ihren Vorstellungen zu formen versucht.
Das Machtvakuum trägt dazu bei, dass Libyen im Chaos zu versinken droht. Am Samstag (03.01.2015) entführten radikale Islamisten 15 Kopten. Die Ägypter gehörten zu einer Gruppe von Arbeitern, die in der Hafenstadt Sirte beschäftigt waren. Bereits in der Woche zuvor waren sieben Kopten entführt worden. Ebenfalls kurz zuvor wurden ein koptisches Arzt-Ehepaar und dessen Tochter dort ermordet. Auch Sirte ist ein Sammelbecken radikaler Dschihadisten. Die Regierung erklärte zwar, sie habe Kontakt zu den Führern der großen Stammesgruppen aufgenommen. Ihr Sprecher räumte allerdings ein, dass ihr die Kontrolle über die von den Extremisten beherrschten Gebieten entglitten sei.
Unterdessen versuchen die Dschihadisten, weitere Gebiete unter ihre Kontrolle zu bekommen. "Es besteht die Gefahr, dass sie allein durch ihre Präsenz weitere Gleichgesinnte anziehen. Von diesen geht natürlich auch für Europa eine Gefahr aus", sagt Hasni Abidi.
Vorerst aber drängen die Extremisten nicht nach Norden, sondern nach Süden, in Richtung der Sahelzone. In dem quer durch das nördliche Afrika sich ziehendem Wüstenstreifen haben sich immer mehr Dschihadisten niedergelassen, mit der Folge, dass Staaten wie Mali, Niger und der Tschad ihre dort gelegenen Landesteile immer weniger zu kontrollieren vermögen. Frankreich hat darum zu Beginn dieser Woche erklärt, Dschihadisten, die sich aus Libyen in den Sahel absetzten, angreifen zu wollen.
Fallstricke des "Dialogs"
Die Bemühungen der Vereinten Nationen, zwischen den beiden Lagern zu vermitteln, sind gescheitert. Ein für Beginn dieser Woche geplantes Treffen wurde abgesagt. Offiziell hieß es, man habe keinen sicheren Ort für die Konferenz finden können.
Ungewiss ist, welche Politik Libyen wieder auf einen konstruktiven Weg bringen könnte. Die Zeitung "Libya Herold" zieht hinsichtlich der Vorschläge der westlichen Staatenwelt ein verhaltenes Resümee. So hätten die freien Wahlen die Islamisten zwar zurückgedrängt. Diese hätten sich damit aber nicht abgefunden. Stattdessen bedrohten sie die reguläre Regierung. Wenig hält sie auch von dem von der Internationalen Gemeinschaft ins Spiel gebrachten Vorschlag eines "Dialogs". Dieser setze eine demokratisch legitimierte Regierung und deren nicht gewählte Herausforderer auf eine Stufe. "Unter diesen Umständen für einen Dialog einzutreten, unterminiert die Grundlage der Demokratie - und damit genau jenen Prozess für den die NATO mit ihren Bomben angeblich eingetreten ist." Ein Dialog unter solchen Umständen käme einer Einladung an die Putschisten gleich, weiter auf Gewalt zu setzen. Sie würden den Vorschlag auf ganz eigene Weise deuten: Der Stärkere setzt sich durch. Die Lösung könne nur darin liegen, zu den Islamisten auf Distanz zu gehen.
Doch einstweilen sind die Islamisten im Lande. Es brauche daher einen nationalen Fahrplan, der zu neuen Wahlen führe, so Hasni Abidi. Dieser sollte möglichst ohne allzu große Einflussnahme von außen vonstatten gehen. "Denn letztlich können die Libyer den Konflikt nur aus eigener Kraft und eigenem Willen beilegen."