SGS Essen: Hier setzt man voll auf Frauenfußball
12. September 2023Die Vorbereitung der SGS Essen läuft auf Hochtouren. Doch an diesem Tag wird der Trainingsort spontan gewechselt. Die Spielerinnen müssen auf der Helmut-Rahn-Sportanlage in Essen-Frohnhausen auf den Kunstrasenplatz ausweichen, da die Stadt den Rasenplatz am Morgen gedüngt hat. Das ist Alltag, wenn man auf einer Bezirkssportanlage trainiert und kein Trainingsgelände sein Eigen nennen kann.
So war es schon vor über 20 Jahren. "Wir haben auf drei verschiedenen Plätzen trainiert", erinnert sich die spätere Nationalspielerin Turid Knaak an ihre Jugendzeit bei der SGS: "Wenn wir im Winter viel auf Kunstrasen trainierten, mussten wir quer durchs Essener Stadtgebiet fahren."
Familiäres Flair kompensiert fehlende Strukturen
Die SGS Essen, mit offiziellem Namen Sportgemeinschaft Essen-Schönebeck, ist nun mal ein Breitensportverein mit rund 4.500 Mitgliedern und Aktiven in verschiedenen Sportarten. Dies macht die SGS aus. Das familiäre Flair wird von heutigen und ehemaligen Spielerinnen - wie Turid Knaak - stets betont: "Man hat sich sehr wohl gefühlt als Fußballerin. Was die SGS vielleicht nicht an Professionalität bieten konnte, wurde in anderer Weise geboten. Man fühlte sich als Spielerin sehr gut aufgehoben und konnte so trotzdem die Leistung bringen."
Die Zeit, in der Knaak für drei Jahre als Bundesliga-Spielerin zu ihrem Jugendverein zurückkehrte, war die erfolgreichste des Vereins. 2019 erreichte die Mannschaft Platz vier, die beste Saisonplatzierung der Vereinsgeschichte. Ein Jahr später stand die SGS zum zweiten Mal im DFB-Pokalfinale, welches sie erst im Elfmeterschießen gegen Wolfsburg verlor.
Nachhaltige Entwicklung mit kleinen Schritten
Der Verein hat sich in knapp 20 Jahren stets weiterentwickelt, sonst wäre man längst nicht mehr Bestandteil der Frauen-Bundesliga. Im Bereich Athletiktraining, Trainingssteuerung und Ernährungsberatung kooperiert man beispielweise mit einem international tätigen Anbieter, dessen Gründer schon Profis der großen Männer-Ruhrgebietsvereine, in Liverpool und Paris betreute.
Der nächste Meilenstein ist der Bau eines eigenen Funktionsgebäudes auf der Helmut-Rahn-Sportanlage. Dort werden Spielerinnen und Betreuerstab ab Sommer 2024 ein festes Zuhause und noch bessere Verhältnisse vorfinden. Dem Verein und Geschäftsführer Florian Zeutschler ist wichtig, "dass wir infrastrukturell mit unserem Trainingsgelände, mit unserem Trainingsrasen die besten Bedingungen haben. Nicht im Vergleich mit anderen Vereinen, sondern für das, was für uns möglich ist."
Erste Bundesliga-Erfahrung für spätere Nationalspielerinnen
Beste Möglichkeiten finden in Essen auch junge Spielerinnen. Schon mit 16, 17 Jahren in der Bundesliga zu spielen ist hier keine Seltenheit. "Entscheidend ist, dass wir an unsere jungen Talente glauben und bereit sind ein gewisses Risiko zu gehen", erläutert Zeutschler die Vereinsmaxime: "Vielen Mannschaften, die internationale Ambitionen haben, ist das nicht möglich. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit."
So haben einige ehemalige und aktuelle Nationalspielerinnen, wie Lea Schüller, Lena Oberdorf oder Linda Dallmann, ihre ersten Bundesliga-Erfahrungen in Essen gesammelt. Auch SGS-Kapitänin Jacqueline Meißner ist diesen Weg gegangen. "Ich habe damals viel von Charline Hartmann mitbekommen, die quasi meine Mama hier war", erinnert sie sich an ihre Anfänge in Essen 2011. Heute geht Meißner selbst vollkommen auf in dieser Führungsrolle: "Ich wünsche mir, dass die Mädels das auch in mir sehen und das Vertrauen haben, dass ich sie mit weiterentwickeln kann."
Die frühe Förderung junger Spielerinnen hebt auch Turid Knaak hervor: "Du weißt als junge Spielerin, wenn ich zur SGS gehe, werde ich meine Spielzeiten bekommen, werde ich mich entwickeln und vielleicht irgendwann den nächsten Schritt machen können."
Wettbewerbsnachteile gegenüber Männer-Lizenzvereinen?
Dass die SGS, nach Turbine Potsdams Abstieg, nun der einzige reine Frauenfußball-Verein der Bundesliga ist, interessiert in Essen nicht. Man definiert sich über das Engagement für den Frauenfußball, die Vereinsphilosophie und gesundes wirtschaftliches Handeln. "Der Gesamtverein wird nie gefährdet, das ist das oberste Credo", verdeutlicht Geschäftsführer Zeutschler: „Mit dem, was wir erwirtschaften, arbeiten wir. Und was wir nicht erwirtschaften, geben wir auch nicht aus."
Da haben es die Bundesligisten mit Männer-Lizenzvereinen im Hintergrund leichter. Das belegen Zahlen aus dem jährlichen Saisonreport der Frauen-Bundesliga. Der aktuellste ist von 2021/22, der Saison vor der erfolgreichen Europameisterschaft des DFB-Teams. Damals machten alle zwölf Bundesliga-Teams im Schnitt rund 1,5 Millionen Euro Verlust. Die damals vier reinen Frauenfußball-Vereine (Essen, Potsdam, Jena und Sand) jedoch im Schnitt nur 150.000 Euro.
Aus diesem Vorteil der Männer-Lizenzvereine macht Tobias Trittel, Koordinator Sport Frauenfußball beim VfL Wolfsburg und zugleich Vorsitzender des Ausschusses der Frauen-Bundesliga, keinen Hehl: "Man muss gar nicht verschweigen, dass die Möglichkeiten der Investition zumeist wahrscheinlich deutlich einfacher darstellbar sind." Zugleich liefert Trittel auch einen der Gründe dieser Investitionen: „Man darf nicht vergessen, dass die aktuelle Entwicklung des Frauenfußballs auch unheimlich positive Effekte für die Lizenzvereine hat. Zum Beispiel hinsichtlich des Images."
Entwicklung weiter vorantreiben
Natürlich bringen die Lizenzvereine dem Frauenfußball auch andere Vorteile, nicht nur Geld. Die Frauenteams profitieren vom Erfahrungsaustausch in Bereichen wie Trainingslagerplanung oder Pflege der Trainingsplätze. "Dort haben wir mittlerweile das gleiche Niveau erreicht, dass auch unseren Männern tagtäglich geboten wird", berichtet Trittel vom Alltag in Wolfsburg.
Aus dem Männerfußball bekannte Vereinsnamen steigern außerdem die Aufmerksamkeit für den gesamten Frauenfußball. Durch Gründungen von Frauen-Abteilungen, wie bei Borussia Dortmund 2021 oder in diesem Sommer bei Hertha BSC, wachsen das Interesse und die Berichterstattung.
"Ob diese Vereine am Ende wirklich alle in der ersten Liga landen, wag ich zu bezweifeln", gesteht SGS-Geschäftsführer Zeutschler. Aktuell hat die Frauen-Bundesliga nur zwölf Plätze. Der sportliche Weg dorthin ist auch nicht leicht: "Wenn man bedenkt, dass es nur zwei Aufsteiger gibt, stellt sich die Frage, wie lange spielen große Vereine dann in der zweiten Liga, oder in der Regionalliga mit, um das Ziel erste Bundesliga zu erreichen?"
Für die SGS Essen zieht Zeutschler zur Jubiläums-Saison ein klares Fazit: "Wir haben unseren Platz in der Liga gefunden", weit über die Nachwuchsförderung hinaus. Und diesen Platz möchte man noch möglichst lange verteidigen.