Frankreichs Bauern: Die (un)heimliche Macht
26. Februar 2024Frankreichs alljährliche Internationale Landwirtschaftsmesse, die am Wochenende in Paris begann, ist ein wichtiger Termin für die Politiker des Landes, die gerne zwischen Kühen und Käseständen um Wählerstimmen werben. Diesmal ist sie zudem ein Test, ob die Zugeständnisse der Regierung reichen, um französische Bauern zu beschwichtigen. Diese hatten unter anderem gegen niedrige Einkommen und zu viel Verwaltungsaufwand demonstriert. Zunächst wochenlang bis Anfang Februar und dann erneut zum Auftakt der Messe: Präsident Emmanuel Macron wurde von demonstrierenden Bauern mit Buhrufen und einem Pfeifkonzert empfangen, einige drangen auf das Messegelände vor und forderten lautstark Macrons Rücktritt. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei (siehe Artikelbild), die Eröffnung der Messe verzögerte sich um mehrere Stunden.
Macron zog sich daraufhin mit Vertretern der Landwirte zurück und kam später mit neuen Zusagen wieder. Die Antwort der Regierung hat also wieder einmal gezeigt, wieviel Macht Bauern in Frankreich haben - aus historischen und aktuellen Gründen. Obwohl der Sektor nur etwa 1,6 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Diese Macht verhindere die Umsetzung notwendiger tiefgreifender Maßnahmen, so Experten.
Die Macht der Bauern beruht auf strukturellen Gründen
Für Faustine Bas-Defossez, Chefin der Abteilung Natur, Gesundheit und Umwelt beim Brüsseler Europäischen Umweltbureau, einem Netzwerk aus Nichtregierungsorganisationen in etwa 40 Ländern, ist auch die Reaktion der Polizei auf die Proteste vielsagend. "Auf andere, massive Protestbewegungen wie die gegen eine Rentenreform vergangenes Jahr reagieren die Behörden mit Schlagstock und Tränengas", sagt sie zur DW. "Aber als etwa 12.000 Bauern Straßen im ganzen Land mehrere Wochen lang blockierten, lässt man diese machen." Nur vereinzelt nahmen die Behörden Demonstranten fest, als diese in den internationalen Großmarkt Rungis südlich von Paris einmarschierten. "Das zeigt, wie fest verankert im politischen System die Bauernlobby auf allen Ebenen ist - durch die Landwirtschaftskammern, aber auch, weil viele Lokalpolitiker selbst Landwirte sind", so Bas-Defossez.
Pierre-Marie Aubert, Direktor der Abteilung Landwirtschafts- und Nahrungspolitik beim Pariser Institut für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen, spricht gar von "geteiltem Management". "Die Regierung entscheidet gemeinsam mit der größten Bauerngewerkschaft FNSEA, die etwa ein Viertel der Bauern repräsentiert, über unsere Agrarpolitik. Das ist seit 50 Jahren so, auch in anderen Ländern wie Deutschland. Man nennt das die 'landwirtschaftliche Ausnahme' ", erklärt er gegenüber DW. Die relativ klare Organisations-Struktur und begrenzte Anzahl an Bauern - laut Regierung etwa eine halbe Million - gebe der Lobby einen Vorteil gegenüber anderen Protestbewegungen, die oft eine Vielzahl an Gewerkschaften zusammenbringen.
Legitimation: Ernährer des Volkes
"Die Bauern sind auch deswegen mächtig, weil sie Landbesitzer sind - sie repräsentieren die Grundlage des Staates", fügt er hinzu. "Das Volk ernähren zu können, ist fester Bestandteil der staatlichen Legitimität. Das hat man bei den Hungeraufständen aus dem Jahr 2007 in rund 40 Ländern gesehen. Die Corona-Epidemie und der Ukraine-Krieg haben weiter hervorgehoben, wie wichtig die eigene Landwirtschaft ist, um weniger stark von Lieferketten abzuhängen."
So machte die Regierung angesichts der jüngsten Demonstrationen schnell großzügige Zugeständnisse - die sie kurz vor der Messe und angesichts neuer Proteste noch ausweitete. Sie versprach weniger Verwaltungsaufwand, zusätzliche Subventionen für Weinbauern in finanziellen Schwierigkeiten, die Beibehaltung von Steuerentlastungen für Agrardiesel und eine bessere Umsetzung von Gesetzen, die faire Großhandelspreise garantieren sollen. Außerdem setzte sie Maßnahmen zur Reduzierung von Pestiziden aus.
Frankreich setzt sich auch in Brüssel für seine Bauern ein
Präsident Emmanuel Macron trug die Forderungen seiner Bauern auch nach Brüssel. Er erwirkte eine Lockerung einer EU-Regelung, laut der Bauern vier Prozent ihres Landes unbewirtschaftet lassen müssen, um die Biodiversität zu schützen. Außerdem sollen nun in gewissen Fällen Importzölle auf Einfuhren aus der Ukraine erhoben werden. Von dort kamen seit Beginn der russischen Invasion vermehrt günstige Hähnchen, Eier und Zucker. Die EU hatte einen Exportkorridor eingerichtet, um andere durch den Krieg versperrte Ausfuhrwege zu ersetzen.
Die Pariser Regierung widersetzte sich zudem dem seit 20 Jahren verhandelten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mitgliedern der lateinamerikanischen Freihandelszone Mercosur. Zu diesen zählen Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Venezuela, sowie einige angegliederte Länder. Die Bauern befürchten durch den Deal unfaire Konkurrenz. Die EU-Kommission gab wenig später bekannt, dass "die Bedingungen für einen Abschluss der Verhandlungen bisher nicht gegeben sind".
Für David Cayla, Wirtschaftsdozent an der Universität Angers und Mitglied des linksgerichteten Kollektivs Die Bestürzten Ökonomen, ist das Freihandelsabkommen tatsächlich keine gute Idee. "In Südamerika gibt es niedrigere Arbeitskosten und Umweltauflagen", sagt Cayla zu DW. "Landwirtschaftsbetriebe sind größer, da es dort mehr unbewohnte Fläche gibt. Mit wenig Arbeitsaufwand kann man insgesamt mehr anbauen, was den Bauern dort einen weiteren Wettbewerbsvorteil gibt." Der Wirtschaftswissenschaftler plädiert so für protektionistische Ausnahmeregelungen gemäß dem Modell der französischen "kulturellen Ausnahme".
Mercosur nicht einfach aufgeben
Kulturprodukte werden nicht als normale Handelsgüter angesehen und unterstehen besonderem staatlichen Schutz - es gelten spezifische protektionistische Regeln. Die Idee eines ähnlichen Rahmens für Landwirte hatte auch Frankreichs Regierung kürzlich ins Spiel gebracht. "Dadurch könnte man die Landwirtschaft schützen und auf kurze Versorgungsketten hinarbeiten", meint Cayla. Alan Matthews, emeritierter Professor für EU-Agrarpolitik an der Wirtschaftsfakultät des Trinity College im irischen Dublin, findet jedoch, der Mercosur-Deal sei durchaus von Nutzen. "Die zusätzlichen Agrarimporte sind mengenmäßig relativ beschränkt, und gerade in der aktuellen angespannten geopolitischen Lage, zum Beispiel was Russland angeht, sollte man mit anderen Teilen der Welt handeln", sagt er zu DW.
Agrarexperte Aubert sieht in den Zugeständnissen in Sachen Mercosur vor allem ein Zeichen der Sorge über die politische Schlagkraft der Bauern, auch im Hinblick auf die im Juni anstehenden EU-Wahlen. "In den Niederlanden könnte die neue Bauernpartei der Extremen Rechten an die Macht verhelfen. In Deutschland sollen Rechtsextreme die Bauernbewegung infiltriert haben, und die französische Rechtsaußenpolitikerin Marion Maréchal-Le Pen, Nichte der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, hat sich nicht umsonst mit Landwirten in Brüssel blicken lassen", unterstreicht er. "Nicht nur Populisten haben entdeckt, dass Landwirtschaft ein genauso zentrales Wahlthema sein könnte wie Einwanderung."
Agrarsektor "braucht nachhaltige Strategie"
Bas-Defossez glaubt, das sei nicht ungefährlich für die europäische Demokratie. "Französische Bauern versuchen, auf einer Welle des Anti-EU-Gefühls zu reiten - obwohl sie selbst die größten Nutznießer der Subventionen durch die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU sind", unterstreicht sie. "Der europäische Green Deal für den Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist zum Sündenbock geworden, obwohl dessen Regelungen im Agrarbereich noch gar nicht umgesetzt sind."
Harriet Bradley, von der Brüsseler Denkschmiede Institut für Europäische Umweltpolitik, sieht das ebenfalls mit Besorgnis. "Natürlich verstehen wir, dass die Bauern wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen gegenüberstehen, aber deswegen ihren Forderungen nach weniger Umweltauflagen nachzugeben, ist kurzsichtig - wir brauchen eine langfristige nachhaltige Strategie, durch die Landwirte auch in extremen Wetterlagen überleben können", sagt sie zu DW. Doch das ginge nur unter einer Bedingung, fügt Aubert dem hinzu: "Wir müssen ein System schaffen, bei dem es sich wirtschaftlich lohnt, umweltfreundlicher zu produzieren - sonst hat keiner einen Anreiz dazu."