EU-Exportverbot für hochgiftige Pestizide?
13. April 2021"Es ist zynisch und absurd: Die EU exportiert in der EU verbotene Pestizide nach Brasilien und in andere Länder. Es ist so als wären diese Menschen weniger wert als die Europäer, Menschen zweiter Klasse", sagt Larissa Mies Bombardi der DW. Bombardi ist Professorin für Geografie an der Universität São Paulo, Expertin für Pestizide und deren Folgen in Brasilien und hat dazu in eine umfangreiche Studie veröffentlicht.
In Brasilien werden pro Tag im Durchschnitt etwa 15 akute Pestizid-Vergiftungen registriert. Nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums ist die tatsächliche Zahl jedoch rund 50 Mal höher, da die meisten Vergiftungen nicht gemeldet werden. "Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, hinzu kommen unzählige chronische Erkrankungen", sagt Bombardi. In den Regionen wo viel gespritzt wird gibt es mehr Krebs und das wurde sogar bei Föten im Mutterleib festgestellt. Ebenso gibt es in diesen Regionen mehr Missbildungen der Föten, vorzeitige Pubertät und Scharmhaar- und Brustbildung bei Kleinkindern.
Die Bevölkerung in Brasilien wird unzureichend vor Pestiziden geschützt, "rund ein Drittel aller in Brasilien zugelassenen Pestizide sind in der EU verboten", betont Bombardi und das schon sehr lange. Ein Beispiel davon ist das in Brasilien häufig verwendete Herbizid Atrazin vom Schweizer Hersteller Syngenta, dessen Einsatz seit 1991 in Deutschland und seit 2004 in der EU verboten ist.
Ein anderes Beispiel für weniger Schutz sind die erlaubten Pestizidrückstände: "Bei Soja sind in der EU Rückstände von Glyphosat in Höhe von 0,05 Milligramm pro Kilogramm erlaubt. In Brasilien sind es 10 Milligramm pro Kilo, also 200 Mal mehr. Im Trinkwasser erlaubt Brasilien sogar 5000 Mal höhere Glyphosat-Rückstände als Europa", erklärt Bombardi.
200.000 Tote pro Jahr durch akute Vergiftungen
Weltweit werden laut einer aktueller Studie rund 385 Millionen akute Pestizid-Vergiftungen pro Jahr registriert. "Die Folge dieser akuten Vergiftungen sind Erbrechen, Übelkeit, Hautausschlag bis hin zu Ohnmacht und neurologischen Schäden. Sie sind akut und gehen dann wieder weg", erklärt der Toxikologe Peter Clausing und Mitautor der Studie. Eine Abschätzung zur Dunkelziffer macht die Studie nicht und auch "langfristige Folgen von Vergiftungen sind in der Studie nicht erfasst", sagt Clausing der DW.
Von den akuten Vergiftungen sind zu 99 Prozent vor allem Menschen betroffen, die lautBericht des UN-Menschenrechtsrats in Entwicklungsländern leben, mit schwachen Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltvorschriften und weniger strickten Umsetzungen. Geschätzte 200.000 Menschen kämen dabei pro Jahr durch die akuten Vergiftungen ums Leben.
"Saisonarbeiterinnen, die in der Ernte für das Agrobusiness arbeiten, werden wie Wegwerfprodukte behandelt. Unsere Körper werden durch den Pestizideinsatz vergiftet", beschreibt Alicia Muñoz von der Vereinigung von Kleinbäuerinnen, Saisonarbeiterinnen und indigenen Frauen in Chile (Asociación Nacional de Mujeres Rurales e Indígenas) gegenüber DW ihre Erfahrungen.
Frankreich und Schweiz stoppen Exporte
Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationenfordern ein Ende der Doppelmoral. Giftige Pestizide, die in den Heimatländern keine Zulassung haben und verboten sind, sollten auch nicht in andere Länder exportiert werden dürfen.
Frankreich reagierte als erstes Land in der Welt und beschloss ein entsprechendes Exportverbot. Ab Januar 2022 dürfen Pestizide, die in der EU nicht zugelassen sind, in Frankreich nicht mehr produziert und exportiert werden. Dagegen hatten europäische Chemiefirmen zusammen geklagt, darunter die drei größten europäischen Pestizidhersteller Bayer, BASF und Syngenta. Das französische Verfassungsgericht bestätigte jedoch im Januar 2020 die Rechtmäßigkeit dieser Exportverbote.
Als zweites Land auf der Welt verhängte die Schweiz ein entsprechendesExportverbot. Fünf besonders gefährliche Pestizide, darunter das in Brasilien häufig verwendete Atrazin, dürfen in der Schweiz seit Januar 2021 nicht mehr produziert und exportiert werden.
Die deutsche Bundesregierung will sich den Exportverboten der Nachbarländer bislang nicht anschließen. Dies würde die Verfügbarkeit von Pestiziden in den Ländern kaum verändern und hätte somit kaum Wirkung, da "viele Wirkstoffe auch in Übersee hergestellt werden", wie in China und Indien, lautet die Begründung für die Ablehnung im Schreiben des Bundeslandwirtschaftsministerium an die DW.
Die beiden Oppositionsparteien Bündnis90/Die Grünen und Die Linke sehen das anders und brachten in den Bundestag einenAntrag ein für ein Exportverbot von Pestiziden ohne Zulassung in der EU. Doch die beiden Regierungsparteien CDU und SPD signalisierten in der ersten Plenardebatte im Februar, dass sie dem Antrag bei der noch ausstehenden Schlussabstimmung nicht zustimmen wollen.
Wem gehört die Zukunft?
Für Chemieunternehmen ist der Absatz von Pestiziden wichtig. LautRecherchen der Schweizer Nichtregierungsorganisationen Public Eye und Greenpeace lag der weltweite Umsatz von Pestiziden 2018 bei 57,6 Milliarden US-Dollar.
Der deutsche Chemiekonzern Bayer machte laut eigenen Angaben mit Pestiziden einen Umsatz von 8,7 Milliarden Euro (10,4 Milliarden US-Dollar) im letzten Jahr. Dass auch einige Pestizide von Bayer in der EU verboten sind, ist für den Konzern kein Grund für einen Verkaufsstopp. Die Mittel seien sicher. "Viele andere Aufsichtsbehörden auf der ganzen Welt verfügen ebenfalls über sehr zuverlässige, sorgfältig funktionierende und ausgefeilte Regulierungssysteme zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt", betont Bayersprecher Holger Elfes gegenüber DW. Und zu den Ländern mit solchen Regulierungssystemen zählt Bayer auch China, Türkei, Südafrika und Brasilien.
Höchst umstritten ist auch der Einsatz von Glyphosat. Das weltweit meistverwendete Pestizid wird für Krebs und Missbildungen verantwortlich gemacht und Kläger erstritten in den USA deshalb hohe Entschädigungen.
Eigentlich sollte der Einsatz in der EU 2018 enden, und bleibt nun aber bis Ende 2023 erlaubt. Es ist ein Ringen zwischen den Interessen der Konzerne, Schutz der Bevölkerung und das Bestreben, die Artenvielfalt zu erhalten. Die EU-Kommission will mit ihrerChemikalienstrategie den Schutz der Gesundheit und Umwelt nun deutlich stärken.
"Da bewegt sich was. Wir erleben jetzt eine öffentliche Diskussion und die ist wesentlich stärker als vor fünf und erst recht als vor zehn Jahren. Das hat Auswirkungen auf die Politik", sagt Toxikologe Clausing, der sich zudem im internationalenPestizid Aktions-Netzwerk (PAN) für Aufklärung und Gesundheitsschutz engagiert.
Einen Stimmungswandel beobachtet auch die Pestizidexpertin Bombardi: "Die Öffentlichkeit in Brasilien hat immer mehr Bewusstsein gegenüber diesen Problemen. Es gibt mehr Organisationen, die gegen die Pestizideinsätze kämpfen und das Thema Agrarökologie und Bioanbau gewinnt an Bedeutung."
In welche Richtung sich die Landwirtschaft und der Gesundheitsschutz bewegt, sei derzeit aber noch offen betonen Clausing und Bombardi. Politik, Gesetze und auch internationale Handelsabkommen bestimmen die Richtung. Aber auch das Verhalten der Bürger sei sehr wichtig und entscheidend, betont Bombardi: "Wenn Menschen Produkte nicht mehr kaufen, weil Menschen und Kinder krank werden, dann ist das auch ein großer Hebel. Geld hat eine Wirkung und die Dinge ändern sich aufgrund von wirtschaftlichem Druck."