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RechtsstaatlichkeitFrankreich

Frankreich: Vorreiter beim Kampf gegen Desinformation

Lisa Louis
7. April 2024

Frankreichs Kampf gegen Manipulation und Desinformation im Netz erregt internationale Aufmerksamkeit. Das könnte sich bei den EU-Wahlen im Juni und den Olympischen Spielen im Juli in Paris als Vorteil erweisen.

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Symbolbild Cyber Security: Zahlen und englische Worte in Leuchtschrift auf einem schwarzen Display
Seit einer Cyberattacke bei den Präsidentschaftswahlen 2017 setzt Frankreich auf die systematische Bekämpfung von Desinformation und Fake NewsBild: picture-alliance/dpa/A. Marchi

Der 5. Mai 2017 war für Frankreich ein Wendepunkt: Hacker posteten 20.000 E-Mails des damaligen Wahlkampfteams von Emmanuel Macron auf einer Webseite. Der Leak fand unmittelbar vor der Stichwahl zwischen den Präsidentschaftskandidaten Macron und Marine Le Pen am 7. Mai 2017 statt.

Für die Mitarbeiter des damaligen Wahlkampfteams steht fest: "Es war ein massiver und koordinierter Hackergangriff mit dem Ziel, die Demokratie zu destabilisieren". Wer für das Manöver verantwortlich war, ist unklar – laut der französischen Tageszeitung "Le Monde" steckten von Russland beauftragte Hacker dahinter.

Aktion statt Reaktion

Die sogenannten "MacronLeaks" verhinderten zwar nicht die Wahl Macrons zum Präsidenten. Sie führten aber in Frankreich zu einem Umdenken. Das Land gehört mittlerweile zu den Vorreitern im Kampf gegen die Manipulation von Information, so Experten. Dieser Erfolg könnte angesichts der EU-Wahlen am 6. Juni und der Olympischen Sommer-Spiele besonders wichtig werden. 

Frankreich - Olympische Sommerspiele 2024: Durch die fünf Olympischen Ringe, die in Paris installiert wurden, ist der Eifel-Turm zu sehen
Maximale Aufmerksamkeit: Vom 26. Juli bis 11. August finden in Paris die Olympischen Spiele statt Bild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance

"Seit 2017 ist uns bewusst, wie bedrohlich Desinformation ist", erklärt Marc-Antoine Brillant im Gespräch mit der DW. Er ist Chef der französischen Beobachtungsstelle für digitale Einflussnahme aus dem Ausland (Viginum) mit rund 50 Mitarbeitenden, die dem Premierminister unterstellt ist.

Die Abteilung wurde 2021 gegründet und ist dem Premierminister unterstellt. "Die Gelbwesten-Demonstrationen Ende 2018, Corona, das Attentat auf den Geschichtslehrer Samuel Paty im Oktober 2020: Die Manipulation ist immer massiver geworden", sagt Brillant.

Frankreich: Anhänger der Gelbwesten-Bewegung protestieren gegen Corona-Regeln in Paris. Ein Mann mit Perücke steht rechst von einer Frau und hält ein Plakat, auf dem steht: "Vacciné à la liberté" ("Geimpft in die Freiheit")
Protest gegen Corona-Regeln 2021 in Paris: Die Proteste der Gelbwesten-Bewegung trieben in Frankreich die politische Spaltung der Gesellschaft voranBild: Sarah Meyssonnier/REUTERS

Seriöse Verpackung für unseriöse Information

Viginum deckt regelmäßig Desinformation auf. Dazu gehörte auch die sogenannte "Doppelgänger"-Kampagne in sieben EU-Ländern. Dabei wurden Fake News in die Portale scheinbar bekannter, aber in Wirklichkeit gefälschter Medienmarken eingebettet. Das Ziel: Rechtfertigung der russischen Invasion in der Ukraine.

Oder das sogenannte "Portal-Kombat-Netzwerk": 193 Webseiten, die ein Unternehmen auf der seit 2014 von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim erstellt haben soll, hätten in Frankreich, Deutschland und Polen pro-russische Propaganda verbreitet.

Achtung: Attacke!

"Viginum ist ein demokratischer, transparenter Weg, um gegen solche Angriffe vorzugehen – und zwar innerhalb des Rechtsstaats", sagt Brillant. "Wir bauen Resilienz auf, indem wir Menschen bewusst machen, dass es solche Attacken gibt."

Porträt von Viginum-Leiter Marc-Antoine Brillant aus Frankreich
Experte für Fake News: Marc-Antoine Brillant leitet Frankreichs Abteilung für Wachsamkeit und Schutz gegen digitale ausländische Einmischung, genannt Viginum Bild: privat

Frankreich sei unter den Vorreitern, betont Jiore Craig, Senior Fellow an der Londoner Denkschmiede Institut für Strategischen Dialog. Die Spezialistin für digitale Integrität beschäftigt sich seit 2013 mit der Manipulation von Wahlen weltweit.

"Seit den US-Wahlen und dem Brexit-Referendum 2016 wissen wir, dass Falsch-Informationen unsere Demokratien aushöhlen sollen", sagt sie der DW.

"Faktenchecks reichen nicht"

"Die EU-Parlamentswahlen 2019 und Corona haben gezeigt, dass Faktenchecks alleine nicht ausreichen. Wir brauchen einen systemischen Ansatz, der zeigt, wer auf welchen Netzwerken Fake News verbreitet. Dieses Konzept hat Frankreich als eines der ersten Länder umgesetzt."

Porträt von Digitalexpertin Jiore Craig vom Institut für Strategischen Dialog, London
Expertin Jiore Craig fordert systematische Aufklärung über Fake News und Manipulation im NetzBild: privat

Für David Colon, Geschichtsprofessor an der Pariser Universität Sciences Po, geht es schon lange nicht mehr um die Attribute "richtig" oder "falsch". "Die Angreifer versuchen, so viel Verwirrung wie möglich zu stiften und das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen zu untergraben", ist er überzeugt.

Colon ist einer von Frankreichs führenden Experten in Sachen Informations-Manipulation. Für ihn war die russische Invasion in der Ukraine eine Zäsur. Angefangen hätten diese Attacken, die hauptsächlich von russischer Seite kämen, schon vorher.

"Im Februar 2004 hat Dimitri Medwedew, Putins Vertrauter und späterer Präsident, gesagt, dass der Kreml europäische Anti-System-Parteien unterstützen wolle – laut Moskau sind das in Frankreich die rechtsextreme Partei RN der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen und die Linksaußen-Partei LFI", sagt er.

Russland als Desinformations-Hauptakteur: "Zweifel sähen"

Le Pen hatte 2014 von der in Prag niedergelassenen First Czech-Russian Bank einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro erhalten. "Indem Russland solchen Parteien hilft, will es Spaltungen in unseren Gesellschaften vertiefen, damit diese sich von alleine zersetzen", fügt Colon hinzu. "Der Kreml schürt Angst vor Terrorattacken und will damit Zweifel sähen, ob das Land die Olympischen und Paralympischen Spiele ausrichten kann", sagt er.

Porträtfoto vom deutschen Digitalexperte Lutz Güllner, Auswärtiges Amt
Experte Lutz Güllner aus dem Auswärtigen Amt: "Frankreich und Schweden leisten beim Kampf gegen Desinformation gute Arbeit"Bild: DW

Auch Lutz Güllner, Referatsleiter für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), meint, Russland sei der Desinformations-Hauptakteur. Güllners 42-köpfige Abteilung vernetzt europäische Regierungen durch ein Frühwarnsystem. "Frankreichs Struktur ist sehr gelungen", unterstreicht er und nennt noch einen weiteren Vorreiter: Schweden. "Dort gibt es die sogenannte "Agentur für psychologische Verteidigung", die sich zentral um Aufdeckung, aber auch um Reaktion und Resilienz-Bildung durch gezielte Bildungs-Kampagnen, kümmert."

"Frankreich ist nicht ohne Grund das Ziel von Manipulations-Kampagnen", erläutert Arthur de Liedekerke. Er ist Direktor für europäische Angelegenheiten der Brüsseler Beratungsfirma Rasmussen Global und hat zuvor als Strategieberater im französischen Armeeministerium gearbeitet. "Unsere Armee ist in zahlreichen Ländern präsent, wir organisieren häufig große Gipfel und Veranstaltungen, und unsere Politiker vertreten regelmäßig provokante Standpunkte, wie vor kurzem Macron, der Bodentruppen in der Ukraine nicht mehr ausschließt."

Forscher Colon zieht nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre im systematischen Kampf gegen Desinformation ein positives Fazit: "Frankreich ist vielleicht oft eine Zielscheibe - aber nun wehren wir uns dagegen. Frankreich ist längst nicht mehr schwach".

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