Fracking von Gas in Deutschland?
22. Juni 2022DW: Russland dreht den Gashahn zu. Flüssigerdgas (LNG) aus Übersee soll die gröbsten Versorgungslöcher stopfen. In Deutschland werden riesige Gasreserven vermutet, die durch Fracking gewonnen werden könnten. Das aber ist seit fünf Jahren verboten, aus Gründen des Umweltschutzes. Welche Meinung haben Sie als Geologe zum Thema Fracking in Deutschland?
Christoph Hilgers: Nun, Fracking ist eine Methode, mit der man Erdgas weltweit gewinnt. Und das hat man auch in Deutschland gemacht seit den 1960er Jahren. Man hat mehr als 300 Mal gefrackt. Und wenn man das richtig macht, dann geht das Risiko auch gegen Null. So ist in Deutschland auch nie etwas beim Fracking passiert.
Wie groß sind denn eigentlich die Gasvorkommen hierzulande? Es heißt ja, dass der deutsche Gas-Bedarf auf Jahre gedeckt werden könnte?
Wir brauchen im Jahr in Deutschland ungefähr 86 Milliarden Kubikmeter. Die vermuteten Gas-Ressourcen werden auf ungefähr 1,36 Billionen Kubikmeter geschätzt, also ein Vielfaches mehr. Damit könnte über die kommenden Jahrzehnte ein erheblicher Beitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung Deutschlands mit heimischem Erdgas geliefert werden. Aber wegen des Fracking-Verbots ist nicht genau geklärt, wie groß die Gasvorräte an Schiefergas tatsächlich sind und wieviel gewinnbar ist.
Es gibt also noch einen gewaltigen Erkundungs-Bedarf. Wie lange würde es dauern, bis die Gasförderung beginnen könnte?
Der Erkundungs-Bedarf ist überschaubar, weil man ja Vorausberechnungen macht, wo welche Gesteine sind und welchen Temperaturen die im Untergrund ausgesetzt sind. Es gibt bereits Modellierungen und Voraussagen, wo ein erhöhtes Potenzial von Schiefergas ist und wo nicht. Generell haben wir in Deutschland zwei Arten von Ressourcen: Einerseits die sogenannten dichten Gas-Lagerstätten. Dort ist das Gas in einem Sandstein im Untergrund gefangen und kann mit den Fracking-Methoden, die man 50 Jahre bis zum Fracking Moratorium 2011 in Deutschland angewandt hat, gewonnen werden. Und zudem gibt es das Schiefergas, das seit einigen Jahrzehnten in den USA und anderen Ländern erschlossen wird.
In den USA gab es ja die große Wende: Die USA waren Netto-Energie-Importland. Jetzt sind die USA eines der weltgrößten Exportländer, weil sie durch technische Innovation in der Lage waren, seit den 2000er Jahren diese Schiefergas-Lagerstätten anzubohren und zu fracken. Und Schiefergas haben wir hier auch. Die Technologien sind ebenfalls vorhanden. Man müsste nur wenige Jahre investieren, um Ressourcen-reiche Schiefergas-Gebiete einzugrenzen, die nachher als Lagerstätte gefördert werden könnten.
Wenn ich Sie richtig verstehe: Egal wie man zum Thema Fracking steht, in der akuten Notlage könnte uns das sowieso nicht helfen?
Bis zum nächsten Winter könnte uns Fracking von Schiefergas nicht helfen, weil die Aufsuchung und Gewinnung Zeit benötigt und wir ja Richtlinien, Umwelt-Vorgaben und Genehmigungs-Prozesse haben. Da müssen wir auf das zurückgreifen, was wir haben und stillgelegt haben. Die Frage aber ist, wie lange die Notlage dauern wird.
Außerdem muss man differenzieren zwischen dem Gas im Sandstein, was gefrackt wurde und dem im Schiefer. Beim Sandstein weiß die Industrie eigentlich relativ gut, wo noch Potenziale in Deutschland sind. Denn die wurden ja bereits erkundet, aber nicht vollständig gehoben wegen des Fracking-Verbots in Deutschland. Die Gewinnung von Erdgas aus gefracktem Schiefer ist in Deutschland gesetzlich verboten.
In anderen Ländern wird gefrackt, beispielsweise in den USA. Von dort könnten wir ja demnächst vielleicht etwas LNG-Gas beziehen. Aber reichen wird das nicht, weil wir als Industrieland viel Erdgas importieren. Auch in der Geothermie wird gefrackt. Der letzte Frack in der Geothermie, glaube ich, in Deutschland war letztes Jahr.
Zur Gewinnung von Erdwärme ist Fracking also erlaubt?
Genau. Um Geothermie lokal per Fracking zu fördern, muss man ebenfalls strengen Genehmigungs-Prozessen folgen. Bei der tiefen Geothermie wird ähnlich tief gebohrt wie beim Erdgas, und oft auch in dieselbe Art von Gestein. Und auch bei der Geothermie wird bei manchen Bohrungen die Wegsamkeit des Gesteins in mehreren Kilometern Tiefe durch gezieltes Brechen des Gesteins erhöht. Man fördert salziges Wasser und schützt die Grundwasserstockwerke in den obersten Erdschichten wie beim Erdgas durch einzementierte Stahlrohre. Der Unterschied ist, dass man bei der Geothermie salziges warmes Wasser fördert und wieder in den Untergrund leitet und im anderen Fall Erdgas. Die Geothermie trägt bislang übrigens mit etwa 0,6 Prozent zum Primärenergieverbrauch Deutschlands bei, hat im Wärmesektor aber Potential.
Kommen wir zum Umweltschutz, der in der Diskussion um Fracking eine zentrale Rolle spielt. Halten Sie die Risiken für beherrschbar?
Ja, die Umweltrisiken sind beherrschbar und auch vertretbar. In den letzten 20 Jahren wurde weltweit hundertausendfach gefrackt. Die Technologie wird erfolgreich in anderen Ländern genutzt und würde bei uns auch von den Behörden streng überwacht und kontrolliert. Das LNG-Gas aus den USA, das uns vielleicht zum Teil durch den Winter helfen könnte, wird auch mit dieser Technologie gewonnen. Und auch der Klimaschutz muss berücksichtigt werden, denn die Abscheidung und sichere Lagerung von CO2 im Untergrund wird seit mehreren Jahrzehnten zum Bespiel in Norwegen erfolgreich durchgeführt. Auch die Nutzung des abgeschiedenen Kohlenstoffs im Kreislauf tritt in den Vordergrund - Stichwort CCU (Abscheidung, Transport und anschließende Nutzung von Kohlenstoff).
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, er würde Fracking alleine schon deshalb nicht befürworten, weil es uns im Moment nicht helfen könnte. Andere sagen, es wäre viel zu viel Aufwand für eine Brückentechnologie ins regenerative Zeitalter. Wie sehen Sie das?
Die Energiewende, wenn sie wie geplant in Deutschland umgesetzt wird, wird ja doch noch Jahrzehnte dauern. Sie braucht nicht nur Strom, sondern Moleküle wie Wasserstoff. Die 77 Prozent Erdgas, Erdöl und Kohle als Primärenergie in Deutschland und die damit verbundene Infrastruktur lassen sich aber nicht über Nacht ersetzen und die Bundesregierung möchte den Bezug von russischem Erdgas rasch beenden.
Die Politik muss bewerten, ob sich eine längere Notlage entwickelt und ob heimisches Erdgas die Versorgungssicherheit erhöht. Der globale Bedarf an Energie aus Erdgas steigt und zudem ist Erdgas auch ein wichtiger Rohstoff für andere Bereiche. Stickstoffdünger beispielsweise wird aus Erdgas hergestellt. Und auch in der chemischen und pharmazeutischen Industrie ist Erdgas ein Grundstoff wie zum Beispiel für den Kunststoff Polyethylen, für Wärmedämmung, Textilfasern in Sportkleidung und für Arzneimittel. Auf den Rohstoff Erdgas wird man so schnell nicht verzichten können.
Das Gespräch führte Klaus Ulrich.
Christoph Hilgers ist Professor für Geologe am Karlsruher Institut für Technologie - KIT. Neben diversen anderen Aktivitäten ist er stv. Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Geowissenschaftler BDG.