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Flutgefahr: Wie Flüsse und Bäume helfen, uns zu schützen

Anne-Sophie Brändlin
31. Juli 2024

Überschwemmungen bedrohen weltweit mehr Menschen als jede andere Naturgefahr. Doch die Natur selbst hat eine Lösung parat: Bäume. Eine Region im Osten Deutschlands trainiert ihre Wälder, mehr Wasser aufnehmen zu können.

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Die Wide Mulde von oben fotografiet
Die Stadt Leipzig zeigt, wie wir unsere Flüsse – sogar in Städten – hochwassersicher machen könnenBild: UFZ

Seit Jahrhunderten haben wir unsere Flusslandschaften für Industrie, Energie, Landwirtschaft und den Bau von Häusern stark verändert. Flussläufe wurden weltweit begradigt, reguliert, eingedeicht und vertieft.

Teile ihrer Überflutungsflächen, die normalerweise Platz für überlaufendes Wasser bieten würden, wurden entwässert und aufgefüllt – oftmals in der Annahme, dass dies Überschwemmungen verhindern könnte. Aber es stellt sich heraus: Das Gegenteil ist der Fall.

Wir haben unsere Flüsse ruiniert

Allein in Deutschland können zwei Drittel der Überschwemmungsflächen entlang der 79 Hauptflüsse aufgrund der Deiche, die gebaut wurden, um das Wasser fernzuhalten, ihre ursprüngliche Aufgabe nicht mehr erfüllen. Ein Drittel der verbleibenden Überflutungsgebiete sind mit Feldern und Häusern bedeckt.

Und das ist nicht nur in Deutschland der Fall, sondern in ganz Europa, wo 70 bis 90 Prozent der Überflutungsflächen ökologisch degradiert sind.

Und nun zahlen wir den Preis dafür. Denn während der Klimawandel zu immer extremeren Wetterereignissen führt, sind die veränderten Flusslandschaften immer anfälliger für zerstörerische Überschwemmungen.

Vogelperspektive des Flusses "Neue Luppe" in der Nähe von Leipzig
Der Auenwald in Leipzig kann seine übliche Schwammfunktion nicht erfüllen, weil er vom Fluss abgeschnitten wurde.Bild: UFZ

Doch eine urbane Feuchtgebietsregion im Osten Deutschlands steuert dagegen.

"Wir haben bereits vor 30 Jahren erkannt, dass unser industrieller, technischer Fortschritt den Wald in dieser Region in eine falsche Richtung hat entwickelt lassen, dass unser Ökosystem nicht mehr widerstandsfähig ist. Und dass wir zu den alten Wegen zurückkehren und die Natur für uns arbeiten lassen müssen," so Mathias Scholz, ein Auenökologe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, der seit Jahrzehnten die Rolle von Flüssen und Küstenfeuchtgebieten untersucht.

Warum wir funktionierende Überschwemmungsflächen brauchen

Gesunde, funktionierende Überschwemmungsflächen sind sehr wichtig für uns, erklärt Scholz, da sie Wasser länger in der Landschaft halten und wie ein Schwamm wirken. Sie sind natürliche Klimaschützer und Hochwasserkontrolleure – aber nur, wenn sie mit Wasser versorgt werden.

"Das hilft den Pflanzen, die Dürren im Sommer besser zu überstehen. Und wenn das nächste Hochwasser kommt und der Fluss über seine Ufer tritt, kann er nahegelegene Wälder und Wiesen überfluten. Dies ist eine der effektivsten Versicherungen gegen Hochwasserschäden, da ein Teil des Hochwassers in der Aue bleibt, anstatt stromabwärts zu rauschen und dort Zerstörungen zu verursachen," sagte Scholz.

Eine Stadt, die im Wasser versinkt
Gesunde Auenwälder können massive Zerstörungen durch Sturzfluten verhindern, da sie Wasser aufsaugen könnenBild: André Künzelmann/UFZ

Wenn wir keine Überschwemmungsflächen und Auenwälder mehr haben, fließt das Wasser sehr schnell aus der Landschaft heraus, was zu immer größeren Hochwasserwellen führt, die erhebliche Schäden verursachen. Und genau das passiert in den letzten Jahren immer häufiger.

Deshalb beschloss Scholz – zusammen mit der Stadt Leipzig und dem Umweltverband NABU – der Auenlandschaft rund um die Städte Leipzig, Markkleeberg und Schkeuditz wieder ein natürlicheres Gesicht zu geben.

"Viele Bäume haben sich hier entwickelt, die nicht mehr hochwasserresistent sind und die Baumarten verdrängen, die typisch für den Auenwald sind," sagte Scholz.

Ein Beispiel sind Eichen und Ulmen, die zu sterben begannen, als sie nach der Abtrennung des Auenwaldes von den Flüssen nicht mehr genug Wasser bekamen. Das Problem ist, dass diese einheimischen Bäume Überschwemmungen und Dürren besser standhalten können als andere nicht-typische Arten, die sich auszubreiten begannen, wie etwa Ahorn.

Eichen und Ulmen saugen zudem Feuchtigkeit aus dem Boden, was die Menge an Wasser verringert, die zu Sturzfluten führen können.

Blick  von oben auf tote, ausgetrocknete Ulmenbäume
Einheimische und hochwasserresistente Ulmenbäume begannen abzusterben, als der Auenwald nicht mehr genug Wasser erhieltBild: André Künzelmann/UFZ

Man kann Wälder trainieren, wieder mehr Wasser aufzunehmen

Scholz und sein Team begannen, jedes Frühjahr über Jahrzehnte hinweg absichtlich ein kleines Gebiet des Waldes zu überfluten. Die Daten, die sie über 30 Jahre gesammelt haben, erzählen die Geschichte eines Ökosystems, das zu seinem natürlichen Zustand zurückkehrt.

"Wir haben festgestellt, dass wir feuchte Bedingungen im Wald bis zu drei Monate länger aufrechterhalten können, sogar während Dürreperioden, wodurch sich der Auenwald an diese feuchteren, dynamischeren Bedingungen anpassen kann. Gleichzeitig sind andere Arten, die hier nicht hingehören, zurückgegangen und haben Platz und Licht für die Baumarten geschaffen, die typisch für den Auenwald sind," sagte Scholz.

Sie haben den Wald buchstäblich trainiert, wieder mehr Wasser aufzunehmen. Und das ist wichtig, denn selbst wenn Bäume hochwasserresistent sind, können sie "vergessen", wie sie damit umgehen oder sich daran anpassen, wenn sie lange Zeit keine Überschwemmungen erleben, so Scholz.

"Deshalb ist es wichtig, diese Ökosysteme darauf zu trainieren, wieder mit Wasser umzugehen, damit sie nach dem ersten Hochwasserereignis nicht zusammenbrechen."

Luftaufnahme des restaurierten Flussbetts, als es gerade ausgegraben wird
Die Stadt Leipzig hat dieses historische Flussbett revitalisiert und ihm seinen natürlichen Flusslauf zurückgegebenBild: UFZ

Alte Wasserläufe revitalisieren

Angespornt von den positiven Ergebnissen beschloss die Stadt, mehr zu tun. 2019 brachte sie Wissenschaftler, NGOs und lokale Beamte zusammen, um ein Konzept zu entwickeln, um die gesamten Überflutungsflächen in der Region in den nächsten 30 Jahren zu revitalisieren.

Im Mai diesen Jahres haben sie ihr erstes Projekt abgeschlossen. Sie haben ein historisches Flussbett restauriert und das Flussfeld relativ weit vom Waldrand entfernt verlegt. Und sie haben mehrere Auslasspunkte geschaffen, an denen das Wasser bei Hochwasser ansteigen und dann über das sehr flache Ufer direkt in den Wald fließen kann.

"Es waren jahrelange Diskussionen und tägliche Gespräche mit Menschen nötig, um sicherzustellen, dass sie keine Angst haben, wenn ein bisschen Wasser kommt," sagte Christiane Frohberg von der Abteilung für Stadtgrün und Gewässer der Stadt Leipzig. "Und es ist einfach wunderbar zu sehen, dass wir jetzt Wasser in diesem kleinen Fluss haben, das dennoch eine bedeutende Auswirkung hat." 

Das Ziel für die nächsten 10 bis 15 Jahre ist es, mehr als 16 Kilometer ehemaliger Flusswege in dieser Region zu revitalisieren. Sie wollen ausgetrocknete Flussarme wieder an Flüsse anschließen und mindestens 30 Prozent der Überschwemmungsfläche über den neuen Fluss überfluten, um den Überflutungsflächen ihr natürliches Gesicht zurückzugeben.

Aber das wird viel Zeit, Geld und Verhandlungen erfordern.

Ein Bagger, der einen Fluss verbreitert
Renaturierungsprojekte sind nicht billig, aber die Schäden durch Überschwemmungen sind teurer, sagt ScholzBild: UFZ

Was kostet das?

Projekte wie dieses sind teuer. Die Stadt Leipzig hat bereits 6,5 Millionen Euro ausgegeben – größtenteils vom deutschen Staat finanziert – um Land zurückzukaufen und neue Brücken und Tore für den Übergang über den neu restaurierten Fluss zu bauen. Besonders schwierig war es, die Bauern in der Region mit ins Boot zu holen.

"Man kann Menschen nicht einfach enteignen, ohne ihnen Alternativen anzubieten," sagte Scholz.

"Aber mehr Wasser in die Landschaft zu bringen bedeutet nicht unbedingt, die landwirtschaftliche Nutzung aufzugeben; es bedeutet nur, dass die landwirtschaftlichen Praktiken angepasst werden müssen. Das heißt, der Übergang von Ackerland zu einer wilden Weide muss letztendlich erreicht werden, aber dieser Wandel muss auch angemessen entschädigt werden," fügte er hinzu.

Es klingt, als würde die Stadt viel Geld für ihr Restaurierungsprojekt ausgeben – aber Überschwemmungen sind tatsächlich die teuerste Naturgefahr in Europa. Eine Studie der Europäischen Kommission schätzt, dass das flussbasierte Hochwasserrisiko bis zum Ende dieses Jahrhunderts um das Zehnfache auf 9,3 Milliarden Euro steigen könnte.

Luftaufnahme der Leipziger Aue
So sieht der Leipziger Auenwald aus, wenn die historischen Wasserläufe wieder Wasser von den Flüssen erhaltenBild: UFZ

Die meisten großen europäischen Städte liegen in Überflutungsgebieten. Hamburg, Paris, Florenz, Zaragoza, London, Genf, Gent und Linz sind laut der Studie die Städte, die in Zukunft die meisten Hochwasserschäden erleiden werden.

Deshalb haben die EU-Umweltminister kürzlich ein umstrittenes Naturwiederherstellungsgesetz verabschiedet, das darauf abzielt, Wälder wiederherzustellen, Moore zu renaturieren und Flüsse in ihren natürlichen, frei fließenden Zustand zurückzuführen. Ein Schritt, den Scholz begrüßt.

"Wenn wir den monetären Schaden betrachten, den extreme Ereignisse letztendlich für unsere Gesellschaft verursachen, und die langfristigen Bemühungen, die erforderlich sind, um diese zu bewältigen, wird deutlich, dass Investitionen in die Wiederherstellung von Ökosystemen eine zukunftssichere Investition sind," sagte er.