Fluglärm macht krank
27. August 2014"Das ist eine Boeing 738 im Landeanflug", sagt Wolfgang Hoffmann, "der Lärm klingt moderater als beim Start." Selbst im Wintergarten hört man den Motor der Maschinen, die sich dem Flughafen Köln-Bonn nähern. Säße der Rentner im Freien, könnte er auch die Aufschrift mancher Airline entziffern, so dicht fliegen die Flugzeuge im Minutentakt über das Wohngebiet im Kölner Osten. Vor vierzig Jahren gründeten Hoffmann und andere Anwohner die Lärmschutzgemeinschaft Köln/Bonn. Seither kämpft er gegen die Begleiterscheinungen des Flugbetriebs.
Die Terrasse ließ sich der pensionierte Bauingenieur mit einer Glasfassade umbauen, "weil es im Garten auf Dauer zu laut war. Trotzdem stört der Krach abends beim Fernsehen: Es ist schon lästig."
Auf seinem Dach hat Hoffmann eine Messstelle errichten lassen. Spitzen bis zu einem Schalldruckpegel von 87 Dezibel (dB) hat er bei seinen Messungen notiert. "Das rappelt einen richtig durch, während die Ereignisse um 70 dB dank der Schallschutzfenster erträglich sind." Im Fluglärmgesetz sind 65 dB Dauerschallpegel als Grenzwert für den Tag festgelegt, nachts 55 dB. Für neu ausgebaute Flughäfen gelten 60 bzw. 50 dB.
Hoher Fluglärm ist schwer nachzuweisen
Das menschliche Gehör empfindet Geräusche ab 55 dB als Lärmbelästigung. Menschen müssen bei Unterhaltungen laut sprechen. Krach, der darüber hinausgeht, bereitet dem Organismus Stress. Die Krux für die Lärmgegner: den offiziellen Messungen liegt der Dauerschallpegel zugrunde. Alle Flugbewegungen, also Einzelschallpegel, die über acht Stunden während der Nacht gemessen werden, inklusive der Ruhezeiten, ergeben einen mittleren Maximalpegel. "Der liegt hier bei circa 56 dB, aber wirklich störend sind die Spitzen", sagt Hoffmann.
Über Jahrzehnte hat er Messdaten gesammelt, Lautstärken und Flugrouten notiert, "um im Gespräch mit Politikern Fakten auf den Tisch legen zu können." Selbst die Flughafenunternehmen, die im Internet das Fluglärm-Portal betreiben, bestätigen die Richtigkeit der Werte.
Die Spezialfenster in den Schlafzimmern, die den Schall von außen absorbieren, hätten die Flughafenbetreiber bezahlt - als Zugeständnis für den Dauerlärm, so Hoffmann. Wenige hundert Meter von seinem Haus entfernt befindet sich die Einflugschneise zum Flughafen. Zwischen 22 und 6 Uhr misst er im Jahresdurchschnitt 100 Flugbewegungen. Er selbst könne nachts durchschlafen, "aber vielleicht höre ich nicht mehr so gut", fügt der 80-Jährige augenzwinkernd hinzu. Und doch erinnert er sich an jene Nacht, als er von einem Fluggeräusch am Himmel aufwachte, das immer lauter wurde: "Mir stand der Schweiß auf der Stirn. Da kann man schon Beklemmungen kriegen."
Schädigende Wirkung von Nachtfluglärm wissenschaftlich belegt
Die aktuellste Studie der Mainzer Universitätsmedizin belegt, dass Fluglärm bei Herzkranken zu deutlichen Gefäßschäden, einem Anstieg des Blutdrucks und Schlafstörungen führt. Diese wiederum begünstigen die Risiken für Herzinfarkte oder Schlaganfälle.
Professor Thomas Münzel hatte dafür ursprünglich 100 Probanden testen wollen. Doch die Ergebnisse waren bei 60 Patienten so eindeutig, dass die Mediziner-Gruppe die Untersuchungen daraufhin beendeten. Die Patienten wurden während des Schlafs dem Lärm von 60 Nachtflügen ausgesetzt. Der mittlere Schallpegel des simulierten Lärms lag bei 46 dB. Die Mediziner versorgten die Probanden mit Medikamenten, die die Gefäßfunktion vor Schäden schützen. Trotzdem verschlechterten sich deren Köperfunktionen.
In einer früheren Studie hatten die Mainzer Uni-Mediziner belegt, dass der Nachtfluglärm die Gefäße gesunder Probanden schädigt. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Patienten wach waren, den Krach also bewusst wahrnahmen und emotional bewerteten, oder das Gehirn im Schlaf die Geräusche am Himmel registriert hatte.
"Ich rege mich auf, wenn ich nachts wach werde, weil Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet werden. Aber selbst wenn ich durchschlafe, fühle ich mich morgens müde", schildert Thomas Kurscheid seine Erfahrungen mit nächtlichem Fluglärm. Kurscheid wohnt im Kölner Süden und betreibt dort seine Arztpraxis. Bis zu 80 dB erreichen auch hier die Messpegel. Ein Dauerrauschen sei nicht so belastend wie ein plötzliches Lärmereignis, ausgelöst durch ein Flugzeug. "Man kommt aus der Tiefschlafphase in die weniger erholsame Dämmerphase, mit dem Ergebnis, dass man am Morgen gerädert ist."
"Nachtflug ist Körperverletzung"
Ungestörter Schlaf halte gesund, sagt der Mediziner und Buchautor. Durch den Nachtlärm sei man aber auf Dauer nicht leistungsfähig. Besonders schädlich wirke sich nächtlicher Lärm auf Kinder aus. Sie könnten sich am Tag nicht mehr konzentrieren, was auf Dauer zu Lernbehinderungen führe. "Die Politik ist gefordert, die Lärmgrenzwerte für Nachtflüge herabzustufen", fordert Kurscheid. Es gebe auch technische Möglichkeiten wie Gegenschallgeräte zur Reduzierung der Belastung.
Im Einzugsgebiet um Köln und Bonn seien 300.000 Menschen von signifikanten Lärmerlebnissen in der Nacht betroffen, "mit erheblichen Folgen auf das Gesundheitssystem", meint der Mediziner.
Kein einheitliches Gesetz für Nachtflüge
Für viele Flughäfen in Deutschland besteht ein Nachtflugverbot. Nicht aber für Köln/Bonn. Wer am frühen Morgen am Ferienort im Mittelmeer baden will, der kann nachts von hier aus starten. Auch die Luftwaffe der Bundeswehr ist in Köln-Wahn stationiert. Den Hauptlärm verursachen allerdings Frachtmaschinen. Der Standort nimmt auf der europäischen Rangliste für Luftfracht-Umschlagplätze Platz sechs ein. Hinzu kommt, dass das Einzugsgebiet dicht besiedelt ist. Die Fluggesellschaften UPS und FedEx fliegen hauptsächlich nachts an und ab.
Manche Flugzeugtypen verursachen mehr Krach als andere, aber auch die Menge an Ladung wirkt sich auf die Geräuschkulisse aus: "Sind die Maschinen vollbeladen, können sie schwerer an Höhe gewinnen und verursachen höhere dB-Pegel", sagt Wolfgang Hoffmann. "Wenn wir erreichen könnten, dass weder Passagierflugzeuge noch große Frachtmaschinen zwischen 22 und 6 Uhr fliegen dürften, dann wäre unser Problem gelöst."