"Flugchaos im Sommer ist unvermeidbar"
13. März 2019Bisher kannten nur wenige den 64-jährigen Süddeutschen. Aber seit der Veröffentlichung eines vorläufigen Berichts des Bundesrechnungshofs steht Klaus-Dieter Scheurle auf einmal in den Schlagzeilen und damit auch die Deutsche Flugsicherung (DFS). Airline-Insolvenzen, Konsolidierungsprozesse in der Luftfahrtbranche sowie das aktuelle Flugverbot der Boeing 737-8 MAX hat Flughäfen auf einmal in den tagtäglichen Fokus der deutschen Wirtschaftspresse gerückt und damit auch die als GmbH geführte staatliche Flug-Lotsenschmiede DFS. Sie untersteht dem Bundesverkehrsministerium. Rund 2000 DFS-Lotsen sorgen vor allem für ein sicheres Starten und Landen der Flugzeuge, die dafür eine Gebühr an das in Langen ansässige Unternehmen bezahlen. Dieses Geschäft ist trotz eines in den vergangenen zwei Jahren boomenden Marktes defizitär, was der Bundesrechnungshof unter anderem mit ineffizientem Management erklärt.
Scheurle sieht jedoch den enormen Preisdruck als Hauptgrund für die schwierige Situation der DFS sowie der gesamten Branche, die mit einem sehr brenzligen Sommer rechnen muss: "Die Streckengebühr ist mit einem Anteil von knapp 80 Prozent die wichtigste Einnahmequelle der DFS. Daneben gibt es die An- und Abfluggebühr, welche die DFS an den 16 internationalen Flughäfen, an denen sie aktiv ist, für ihre Dienstleistung erhebt. Beide Gebührensätze sind in den vergangenen Jahren deutlich gesunken", sagt der ehemalige Managing Director der Schweizer Investmentbank Credit Suisse First Boston gegenüber der DW. Schuld daran sind auch die Passagiere, die immer billiger fliegen wollen und sich nicht bewusst sind, welche Kosten und Sicherheitsdienstleistungen mit ihrem Flug verbunden sind.
Es fehlt an Personal und Koordination
"Die Airlines, Airports, Sicherheitsdienste und auch die Flugsicherungen in Europa werden es kaum schaffen, große Fortschritte bei der Pünktlichkeit zu machen, weil das Volumen an abzuwickelnden Flügen zu groß ist", gibt Scheurle im Interview zu. Die Fluggesellschaften waren im vergangenen Jahr nach Angaben der europäischen Luftraumorganisation Eurocontrol für rund 48 Prozent der Verspätungen verantwortlich, die DFS für 25 Prozent. Dennoch: "Um die aktuelle Situation zu verbessern, möchten wir unsere Lotsen dafür gewinnen, freiwillig mehr Schichten zu leisten und suchen zusätzlich ausgebildete Lotsen aus anderen Ländern", erklärt Scheurle. Dass es nicht leicht ist, die zu finden, kann nicht am Geld liegen: Lotsen verdienen in Deutschland teilweise mehr 200.000 Euro brutto im Jahr und genießen ab einem Alter von 52 Jahren eine groβzügige Übergangsversorgung.
Auch deswegen haben sie noch nie gestreikt, anders als ihre französischen Kollegen. Das könnte sich allerdings bald ändern, wenn der Druck auf sie weiter steigt. Deutschland hat zwar nur einen Anteil von 3,5 Prozent am europäischen Luftraum, hier finden aber 30 Prozent der Flüge in Europa statt. Das Land ist zusammen mit Belgien der Luftraum mit der größten Verkehrsdichte. Scheurles Mannschaft hat im vergangenen Jahr 3,35 Millionen Flüge abgewickelt: "Das waren 240.000 mehr Flüge im deutschen Luftraum als in dem 2017 von der EU-Kommission genehmigten Leistungsplan prognostiziert. In diesem Jahr werden es voraussichtlich sogar 350.000 mehr sein. Dieses starke Verkehrswachstum betrifft alle EU-Staaten und war in dieser Form nicht voraussehbar", sagt der gelernte Jurist.
Schlechte Prognosen und wenig Flexibilität
Dazu kommen noch die streikfreudigen Franzosen, die immer wieder für Ärger in der Branche sorgen: "Früher hat man sich bei Streiks in anderen Ländern gefreut, weil der Verkehr dann beispielsweise über Deutschland geleitet wurde. Jetzt ist das Wachstum der Flüge bei uns als Drehkreuz Europas so hoch, dass wir zusätzlichen Verkehr nur schwer abwickeln können", gesteht Scheurle ein. Problem Nr.1: Das Flugvolumen wird von der Europäischen Kommission auf fünf Jahre berechnet. Die Brüsseler Bürokraten liegen damit angesichts der rasanten Wirtschafts- und Tourismusentwicklung meist daneben. Der Rechtsrahmen macht es zudem schwierig, Lotsen europaweit flexibel einzusetzen, weil ihre Lizenz immer nur für einen Flughafen gültig ist. Für jeden anderen Einsatzort muss erst in einem einjährigen Training eine neue erworben werden, womit gleichzeitig die alte verloren geht. Allein in diesem Jahr fehlen in Deutschland 90 Lotsen.
Die Insolvenzen von Air Berlin und Germania haben die Situation verschärft, weil sie zu einem weiteren Preiswettbewerb zwischen den Airlines geführt haben. Eine weitere Konsolidierung ist zu erwarten. Es wird bereits über den Verkauf von Condor an Lufthansa spekuliert und auch Easyjet wurde jüngst als möglicher Übernahmekandidat der größten deutschen Airline ins Spiel gebracht. Das alles muss Scheurle, der seit Juni 2018 zudem Chef des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) ist, bei seiner Lotsenplanung berücksichtigen, aber am besten langfristig. Denn Lotsen fallen nicht vom Himmel und die Ausbildung dauert vier Jahre. Von 5000 Bewerben schaffen es rund 122 durch den Auswahlprozess, davon wiederum fallen zwischen 20 und 30 Prozent durch die Abschlussprüfung. Die Anforderungen an gesundheitlichen Zustand, Konzentration, Belastung und Schnelligkeit sind enorm und sind denen eines Piloten ähnlich.
Bis zum Sommer gibt es noch viel zu tun
Scheurle fordert deswegen mehr Flexibilität im Austausch von Lotsen und Koordination zwischen den deutschen und europäischen Marktteilnehmern: "Beim Luftverkehrsgipfel in Hamburg im vergangenen Jahr waren sich alle einig, dass die strukturellen Probleme nur gemeinsam gelöst werden können". Alle Beteiligten müssen jetzt ihre Hausaufgaben machen, da sie alle zusammen für die Verspätungen im vergangenen Jahr verantwortlich sind. "Wir treffen uns erneut am 28. März. Da schauen wir, was bisher geleistet wurde", erklärt Scheurle, der noch viel Aufklärungsarbeit leisten muss, nicht nur gegenüber dem Bundesrechnungshof. Im Interview wirbt er vor allem für den weiblichen Nachwuchs beim schwierigen Lotsenjob, der bisher erst 30 Prozent ausmacht: "Jede Frau ist bei uns willkommen, da sie einfach gut sind."