Fliegen ohne Scham?
19. Januar 2020Seit November wirbt die Fluggesellschaft Easyjet damit, dass sie ihren CO2-Verbrauch zu 100 Prozent kompensiert. Die Kosten dafür trägt das Unternehmen selbst. Rund 25 Millionen Pfund (ca. 29 Millionen Euro) stellt Easyjet dafür pro Jahr zur Verfügung. Das Geld fließt in Umweltprojekte, die den Klimaschutz fördern und die CO2-Emissionen in Zukunft verringern sollen. Es sind Projekte wie die Aufforstung von Wäldern oder Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien.
Auch AirFrance setzt auf eine umweltbewusstere Strategie und wird ab diesem Jahr alle CO2-Emissionen, die auf Inlandsflügen erzeugt werden, selbst ausgleichen.
Die 29 Millionen Euro, die Easyjet für den Klimaschutz ausgeben will, entsprechen ungefähr 30 Cent pro Flugticket. Daraus ergibt sich, dass die Airline eine Tonne CO2 mit 3,50 Euro kompensiert. Tobias Austrup, Verkehrsexperte von Greenpeace, sagt der DW dazu: "Die Zahlen sind verschwindend gering, vor allem wenn man sie vergleicht mit anderen Zahlen, die am Markt gehandelt oder auch von der Wissenschaft genannt werden."
Das Non-Profit-Unternehmen Atmosfair (das seit 2005 Kompensationszahlungen auf freiwilliger Basis anbietet) beispielsweise setze einen Preis von 23 Euro pro Tonne CO2 an. Austrup weiter: "Der andere Wert, den man dort im Blick haben muss, ist der der Schadenskosten des CO2. Da hat sich die Wissenschaft darauf geeinigt, die Schadensumme von einer Tonne CO2 bei 80 Euro anzusetzen. Also nochmal höher, wenn man wirklich sagt: Welchen Schaden verursacht eine Tonne CO2, die ausgestoßen wird?"
Lufthansa baut auf Freiwilligkeit
Bei Lufthansa hingegen muss der Reisende selbst entscheiden, ob er seinen CO2-Fußabdruck kompensieren möchte. Dort besteht die Möglichkeit, unmittelbar beim Kauf eines Flugtickets eine Kompensationszahlung bei Compensaid durchzuführen. Compensaid wurde dafür von Lufthansa in Zusammenarbeit mit der Schweizer Stiftung MyClimate aus der Taufe gehoben.
Auf die Frage, wie viele Reisende das Angebot nutzen, antwortet Peter Glaser vom Lufthansa Innovation Hub: "Die Möglichkeit zur freiwilligen Kompensation für unsere Fluggäste besteht bereits seit 2007. Die Zahl der Passagiere, die in der Vergangenheit diese Möglichkeit in Anspruch genommen haben, lag bei unter einem Prozent. Seit Einführung von Compensaid beobachten wir einen Anstieg der Kompensation. Die Quote liegt aber immer noch im niedrigen einstelligen Bereich."
Ist man einer der wenigen, die sich entscheiden, den eigenen Flug zu kompensieren, so kann man zusätzlich entscheiden, wie viel Prozent in die Aufforstung von Wäldern in Nicaragua und wie viel in die Verwendung von nachhaltigem Flugtreibstoff fließen soll. Dieser Sustainable Aviation Fuel (SAF) genannte Treibstoff wird dann innerhalb der nächsten sechs Monate auf einem Flug der Lufthansa verwendet. Mit der Entscheidung zugunsten von SAF wird das CO2 direkt kompensiert.
Aufforstung oder besserer Treibstoff
Währenddessen wird bei einer Aufforstung das entstandene CO2 freilich erst innerhalb der nächsten 20 Jahre gebunden werden. Pluspunkt für die Aufforstung: Sie ist deutlich billiger als eine Kompensation mit SAF. Beispielsweise kostet der CO2-Ausgleich für einen Flug von Berlin nach Mallorca mittels Aufforstung 3,98 Euro, mit SAF für dieselbe Strecke 97,08 Euro.
"Derzeit entfallen ca. 77 Prozent der Kompensationen auf Waldaufforstung und 23 Prozent auf SAF", sagt Lufthansa-Experte Peter Glaser. "Da eine Kompensation durch SAF mit höheren Kosten verbunden ist, sehen wir in den 23 Prozent bereits eine große Akzeptanz dieser Zukunftstechnologie."
Doch SAF reduziert die CO2-Emissionen noch nicht vollständig, sondern nur zu 80 Prozent. Um eine hundertprozentige Reduktion zu erreichen, müssten die Herstellungs- und Lieferprozesse von alternativen Treibstoffen weiter optimiert werden, erklärt Glaser. Bestrebungen wie bei Easyjet, die Ausgleichszahlungen selbst zu tragen, bestehen bei Lufthansa derzeit nicht.
Alles nur "Greenwashing"?
So gut das alles klingt, Kompensationszahlungen werden dennoch kritisch gesehen. Tobias Austrup findet, dass die Maßnahmen der Fluglinien nicht mehr sind als Greenwashing, also eine Art grünes Feigenblatt. Andere Umweltaktivisten kritisieren das Geschäft als modernen Ablasshandel. So könne man sich mit Geld ein reines Gewissen kaufen und den Leuten werde suggeriert, sie würden ohne Auswirkungen auf das Klima reisen.
Wieder andere sagen, Kompensationszahlungen seien ein Schritt in die richtige Richtung, denn es zeige immerhin, dass die Fluggesellschaften die Sorgen bezüglich des Klimawandels ernst nehmen und darauf reagieren. Austrup hält dagegen, "die Frage ist: Ist das ein schlaues System, auf das CO2-Problem im Flugverkehr zu reagieren? Nein, das ist es nicht. Die erste Aufgabe müsste es beispielsweise sein, dem Flugverkehr den richtigen Preis zu geben."
Die Fluggesellschaften selbst bezeichnen Kompensationszahlungen nur als eine Übergangslösung, bis andere Technologien marktfähig sind. Bisher ist die Herstellung von SAF noch zu teuer (ungefähr dreimal so teuer wie normales Kerosin), um die ganze Flotte damit fliegen zu lassen. Außerdem fehlt schlichtweg die benötigte Biomasse, sofern man kein Palmöl verwenden will. Und elektrisch betriebene Flugzeuge sind noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium und geeignete Energiespeicher noch zu groß und zu schwer. Eine weitere mögliche Treibstoffart ist die sogenannte Power-To-X Technik, die mittels Strom aus Wasserstoff und CO2 wieder Kerosin erzeugen kann.