Flaute bei der Frachtschifffahrt
30. Mai 2013Die fabrikneue "Alexander von Humboldt" ist seit Tagen eine Touristenattraktion im Hamburger Hafen. Bis zu 16.000 Container kann der fast 400 Meter lange Gigant der französischen Reederei CMA CGM laden, der am Donnerstagabend (30.05.2013) getauft wurde. Zusammen mit ihrem Schwesterschiff "Marco Polo" ist die "Alexander von Humboldt" das größte Containerschiff der Welt. Wer das hochhausgroße Schiff aus der Nähe betrachtet, kann nicht glauben, dass die deutsche Frachtschifffahrt immer noch in der Krise steckt. Aber das tut sie.
Weil die schlechten Zeiten schon vor fünf Jahren - im Zuge der Banken- und Wirtschafts-Krise - begannen, spricht Ralf Nagel vom Verband Deutscher Reeder (VDR) von einer "exorbitant tiefen Krise". Damals gab es plötzlich deutlich weniger Güter, die transportiert werden sollten, aber viel zu viele Schiffe.
Plötzlich kam die Krise
Damit habe damals niemand gerechnet: "Alle waren in einem Steigflug, und plötzlich gab es einen Strömungsabriss", bemüht VDR-Hauptgeschäftsführer Nagel einen Vergleich aus der Luftfahrt. Vom anschließenden unkontrollierten Sinkflug habe sich die Branche noch nicht erholt. "Momentan ist es nirgends vergnügungssteuerpflichtig, Schifffahrt zu betreiben", so Nagel. Es gebe zwar noch Bereiche, in denen Geld verdient wird, aber insgesamt befinde man sich immer noch in schwieriger See.
"Es ist zwar hier und da Licht am Ende des Tunnels zu erkennen, aber es ist sicherlich morgen noch nicht vorbei", glaubt auch Alexander Tebbe, der in Hamburg die kleine Reederei "Auerbach Schifffahrt" mitleitet.
Schwerfällige Planung
Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe: In der Schifffahrt kann nicht so schnell gegengesteuert werden wie in anderen Branchen. Wer ein neues Schiff bestellt, muss drei bis vier Jahre vorausblicken können, denn erst dann wird es geliefert. Wenn man dann keine Verwendung mehr dafür hat oder die Raten für die Millionen Euro teuren Schiffe nicht zahlen kann, bekommt man Probleme. Genau das sei in den vergangenen Jahren passiert, meint Reeder Alexander Tebbe: "Man hatte zu viel billiges Geld und bestellte am Ende so viele Schiffe, so dass man heute das Ergebnis hat: Es hat den Markt ein Stück weit kaputt gemacht." In den vergangenen Jahren hatten schon mehr als 100 deutsche Schiffsgesellschaften Insolvenz angemeldet, hunderte weitere könnten folgen. Die großen Linien-Reedereien sind davon weniger betroffen, vor allem traf es die vielen kleineren Charter-Reedereien.
Die Linien-Reedereien laufen die Welthäfen mit ihren Containerschiffen wie Bushaltestellen an, planbar und regelmäßig. Sie haben zwar eigene Schiffe, aber längst nicht so viele, wie sie für die vielen Güter bräuchten. Deshalb greifen sie auf die Charter-Reedereien zurück, die ihre Schiffe vermieten. "Wenn es den Linien-Reedern nicht gut geht, müssen sie natürlich den Druck weitergeben an diejenigen, von denen sie Schiffe mieten", erklärt Ralf Nagel im DW-Gespräch. Wer diesen Konkurrenzkampf überstehen wird, sei nicht klar. Kleine Charter-Reedereien sind von der Insolvenz bedroht, und die beiden großen deutschen Linien-Reedereien Hapag Lloyd und Hamburg Süd denken schon seit Monaten laut über eine Fusion nach, aus Kosten- und Wettbewerbsgründen.
Piraten, Diesel und Banken
Andere Faktoren erschweren die Situation für die Frachtschifffahrt zusätzlich: die seit Jahren hohen Preise für Treibstoff, auf bestimmten Strecken die Mehrkosten durch Schutzmaßnahmen gegen Piratenangriffe, aber auch die Tatsache, dass die Banken nach der Finanzkrise nicht mehr so schnell Geld bereitstellen.
Die Commerzbank hatte sogar angekündigt, sich vollständig aus der Schiffsfinanzierung zurückzuziehen. Ralf Nagel vom Verband Deutscher Reeder sieht ein Doppelproblem: "Unsere Unternehmen kommen vom Markt her unter einen enormen Druck und haben gleichzeitig Probleme, ihren Finanzpartner mit an Bord zu halten." Nagel rechnet damit, dass die Krise noch bis 2015 andauern wird, bis dahin bemühten sich alle Beteiligten, Zeit zu gewinnen. Allein in Deutschland würden hunderttausende Arbeitsplätze daran hängen.
Erste Hoffnungszeichen
Das hat auch die Politik erkannt, zumindest zum Teil. Eigentlich war es schon beschlossene Sache, die Charter-Reedereien mit zusätzlichen Steuerabgaben in Millionenhöhe zu belasten. Doch hier haben die Reeder tatsächlich Zeit gewonnen: Im Bundestag wurde diese Steuer erst einmal ausgesetzt, sie wird jetzt wohl erst 2016 kommen. Andere Hilfen hat die Politik Nagel zufolge aber weitgehend abgelehnt.
Der VDR-Hauptgeschäftsführer sieht aber ein weiteres Indiz für Besserung: Momentan würden deutlich mehr Schiffe verschrottet. "Auch das Alter dieser Schiffe sinkt, das Durchschnittsalter eines verschrotteten Schiffs liegt jetzt bei 22 Jahren, vor zwei Jahren waren es etwa 30 Jahre." Den Stahl, aus dem die Schiffe hauptsächlich bestehen, zu verkaufen, sei oft gewinnbringender, als das Schiff weiter zu betreiben. Weniger Schiffe auf den Meeren zu haben, bedeute potentiell aber auch mehr Aufträge für die weiter bestehenden Flotten.
Zweckoptimismus
Auch Alexander Tebbe von "Auerbach Schifffahrt" in Hamburg blickt mit Hoffnung in die Zukunft. Sein Unternehmen hat er 2010 mitten in der Krise gegründet und sich auf Stückgut spezialisiert, das oft zu groß ist für Container, zum Beispiel Baumstämme, große Stahlplatten oder Windrad-Flügel. In Deutschland, das weltweit die meisten Containerschiffe hat, eine Besonderheit.
Zusammen mit seinem Geschäftspartner besitzt Tebbe drei gebraucht gekaufte Schiffe und kümmert sich auch selbst um die Fracht. Er will trotz der Krise weitere Schiffe kaufen und bringt dafür auch den nötigen Optimismus mit: "Das Dogma für uns ist: Es wird Schifffahrt geben. Es wird Menschen und Handel geben. Und wenn die Ozeane nicht austrocknen, wird das auch übermorgen so bleiben."