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Literatur

Autor Mujila: "Afrika gibt es nicht"

Sabine Kieselbach spe
6. Juli 2017

Der kongolesische Autor Fiston Mwanza Mujila spricht sechs Sprachen und lebt über zwei Kontinente hinweg. Für sein Buch "Tram 83" über Postkolonialismus erhielt er in Berlin den Internationalen Literaturpreis.

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Frankreich Fiston Mwanza Mujila in Paris
Bild: picture-alliance/Leemage/F. Gattoni

Mujila und seine beiden Übersetzerinnen Katharina Meyer und Lena Müller werden am 6. Juli in Berlin für "Tram 83" und seine deutsche Erstübersetzung aus dem Französischen ausgezeichnet. Der Roman des in Graz lebenden Autors sei "der radikale Bericht postkolonialen afrikanischen Lebens in einer auf unermesslichen Bodenschätzen brodelnden Stadt", heißt es in der Begründung der Jury. Der 46-Jährige erhält 20.000 Euro Preisgeld und die beiden Übersetzerinnen 15.000 Euro. Den internationalen Literaturpreis vergibt das Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Deutsche Welle: Stimmt es, dass Ihr Roman "Tram 83", für den Sie und Ihre Übersetzerinnen jetzt mit dem Internationalen Literaturpreis 2017 ausgezeichnet werden, von mehreren Verlagen abgelehnt wurde, weil er zu afrikanisch sei?

Fiston Mwanza Mujila: Es war nicht so, dass die Verlage den Roman ablehnten, weil er "zu afrikanisch" sei, wie manche Medien schrieben. Ich lebe in Österreich, in Graz, aber ich schreibe auf Französisch. Es gibt keine französischen Verlage im deutschsprachigen Raum. Es ist nicht ganz einfach, von Graz aus mit einem Pariser Verlag ins Geschäft zu kommen, das hat etwas gedauert.

Sie haben Ihren Roman, der in dem fiktiven, dem kongolesischen Lubumbashi ähnlichen "Stadtland" handelt, in der österreichischen Steiermark geschrieben.

Begonnen habe ich in Deutschland. Ich habe ein Jahr als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung zwischen Köln und Aachen in Langenbroich gelebt. Dort habe ich die erste Fassung geschrieben, den Rest hier in Graz - weil ich gleichzeitig drei, fünf Texte schreibe. Deshalb war es für mich wichtig, nicht mit dem Roman weiterzumachen, sondern mit Lyrik und Theater. Als Lyriker oder Theatermacher bin ich sehr produktiv, mehr als als Romancier.

Es ist ein großer Gegensatz, in Graz über eine afrikanische Metropole zu schreiben. Hat die Distanz geholfen, oder war es eher ein Problem, aus der Entfernung die Worte für diese Atmosphäre zu finden?

Wenn Du im Kongo bist, läuft alles sehr, sehr schnell. Dabei geht Vieles verloren. Es ist einfacher, im Ausland, in Frankreich oder - wie jetzt - in Österreich über den Kongo zu schreiben. Man hat Distanz, man hat Zeit. Ich kann mir klar machen, aus welcher Perspektive ich über den Kongo schreibe: als Europäer, als Kongolese oder als Kongolese, der in Österreich, in Frankreich oder in Belgien lebt. Wenn Du als Kongolese in Belgien lebst, hast Du einen anderen Blick, ein anderes Bild des Kongo. Aber wenn Du wie ich in Österreich lebst, berührt dich die koloniale Geschichte nicht direkt. Das hilft mir, mein Heimatland und Afrika neu zu sehen.

Der kongolesische Autor Fiston Mwanza Mujila in Graz
Fiston Mwanza Mujila in GrazBild: DW/S. Kieselbach

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie mittlerweile einen schizophrenen Blick auf Ihre Heimat haben, weil Sie sowohl den afrikanischen als auch den österreichischen Blickwinkel einnehmen.

Ja, ich kann inzwischen sagen, ich bin ein österreichischer Schriftsteller. Graz ist meine zweite Heimatstadt. Das heißt, ich kann Afrika als Europäer oder als Afrikaner sehen. Mit zwei verschiedenen Meinungen, als Afro-Pessimist oder Afro-Optimist. Afrika ist sehr multipel, sehr breit, und wenn man in Europa über Afrika spricht, kann man schizophren werden. Das heißt, man braucht vielleicht eine neue Brille, um über Afrika zu schreiben, Distanz. Aber man muss Afrika auch nah sein, deshalb fahre ich einmal im Jahr in den Kongo.

Was bedeutet der Kongo für Sie?

Kongo bedeutet meine Mutter, mein Vater, meine Familie. Positives und Negatives. Es gibt seit 20 Jahren einen Bürgerkrieg im rohstoffreichen Osten des Landes, aber trotzdem ist dort ein Volk, das immer positiv ist. Kongo kämpft mit einer Diktatur, aber gleichzeitig haben wir immer Hoffnung. Für mich bleibt Kongo immer meine Heimat. Ich trage meine Familie und mein Land überall mit mir.

Buchcover Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila
Tram 83: Ein Buch wie JazzBild: Paul Zsolnay Verlag

In Europa wird Afrika im Moment immer mit Flüchtlingen, mit Elend in Verbindung gebracht. Mit Stereotypen, die Sie in Ihrem Roman zum Teil auch zitieren. Wie nehmen Sie diese Diskussion wahr? 

Afrika ist eine Utopie. Afrika existiert nicht. Afrika ist – wie ein kongolesischer Schriftsteller gesagt hat – eine Erfindung des Westens, von Europa. Dass man alles über Afrika schreiben kann, ist eine Katastrophe. Man muss in Afrika leben, man muss fragen: Was ist Afrika? Muss die Afrikaner nach ihrer Geschichte fragen, nach ihrer Meinung über Afrika, über Europa. In Europa hören wir von Afrika durch die Medien. Und Medien berichten, was sensationell und aktuell ist. Ich glaube, in Europa hat man ein falsches Bild von Afrika.

Ich unterrichte afrikanische Literatur, und ich unterrichte, weil ich versuche, mit meinen Studenten über Afrika zu reden. Denn Afrika ist nicht nur Krieg, Hunger und Not. Ich glaube, die beste Lösung, etwas über Afrika zu lernen, ist die Literatur, oder mit Künstlern und anderen Afrikanern zu reden, weil man dann eine andere Perspektive, nicht eine von Medien vermittelte bekommt.

Es gibt eine jahrhundertealte Verbindung zu Europa als Kolonialmacht. Wie präsent ist das noch - beispielsweise im Kongo?

Afrika hat 54 oder 55 Länder. Es gibt in Afrika nur acht Länder, in denen die politische Situation sehr schrecklich ist. Zum Beispiel Kongo, Somalia oder Süd-Sudan. Südafrikaner wollen nicht nach Europa emigrieren. Die Angolaner nicht, auch nicht die Menschen in Mosambique, Botswana, Senegal, oder Tunesien. In Europa glaubt man, dass alle Afrikaner kommen wollen. Auch die Menschen aus den Ländern in Afrika, in denen es Probleme gibt, müssen nicht nach Europa kommen, wir brauchen eine afrikanische Lösung.

In Europa glaubt man, eine Lösung für die Probleme Afrikas finden zu müssen. Aber die Lösung muss zuerst von Afrika selber kommen. Kongo ist eine postkoloniale Kolonie. 70 oder 80 Prozent der seltenen Erden, die man braucht, um Handys zu bauen, kommen aus dem Kongo. Da geht es um viele Interessen, um viel Macht. Frankreich hat großen Einfluss im Kongo, auch Belgien und die USA. Kongo ist wie ein Kinderspielplatz, auf dem sich jeder tummeln kann. Kongo ist kein eigenständiges Land, sondern es bleibt bis heute eine Kolonie.

Sie haben sich in Interviews dagegen verwahrt, dass Sie als afrikanischer Autor gleichzeitig der Botschafter eines ganzen Kontinents sein sollen. Wenn Sie aber afrikanische Literatur lehren, dann sind Sie doch auch Botschafter, oder nicht?

Ich unterrichte Literatur. Literatur ist etwas Konkretes. Aber als Schriftsteller arbeite ich mit Wörtern, mit Utopien und mit Träumen, kann ich phantasieren, versuchen, einen neuen Blick auf Afrika zu schaffen. Aber als Lehrer afrikanischer Literatur spreche ich über Romane, diskutiere mit meinen Studenten. Das ist eine Reise nach Afrika. Als Schriftsteller ich kann über alles in Afrika schreiben, aber als Lehrer, kann ich nur die Wahrheit zeigen.

An "Tram 83" gab es neben viel Lob auch die Kritik, dass Sie in dem Roman auch Stereotype bedienten, was Ihr Frauenbild betrifft, das sei frauenfeindlich, ein Porno der Armut. Was setzen Sie dieser Kritik entgegnet?

In meinem Roman sind alle Figuren schlecht kategorisiert, Männer und Frauen. Aber man ist sensibilisiert, wenn Frauen schlecht dargestellt werden. Ich glaube, es ist wichtig, über Frauenhass in unserer Welt zu reden. Meine Geschichte hat damit zu tun, was alles in einem Minengebiet passiert: mit Brutalität, mit Frauen, die in den Minen arbeiten, die sich prostituieren. Im Kongo gibt es Kinder, die in den Minen arbeiten oder sich prostituieren. Deshalb  ist mein Roman sehr, sehr engagiert. Als Schriftsteller muss ich über diese Leute schreiben. Denn das ist die Realität.

Österreich Kongolesische Autor Fiston Mwanza Mujila in Graz
Der Autor im DW-GesprächBild: DW/S. Kieselbach

Wenn Sie aus Ihrem Roman lesen, ist das eine Performance, eine der Gefühle, voller Energie und auch Wut. Was transportiert Ihr Vortrag, was man beim Lesen allein nicht mitbekommt?

Die Sprache ist wie eine Maschine, und ich bin der Maschinenbauer. Sprache ist wie ein Boxkampf, ich bin ein Boxer, ich kämpfe mit der Sprache - denn es ist nicht meine Sprache, es ist eine fremde Sprache. Ich kämpfe darum, wie ich meine afrikanische Realität oder die österreichische Realität in einer neuen Sprache, auf Französisch verfasse.

Aber Sprache hat für mich hat auch viel Musik zu tun. Ich wollte immer Saxofon spielen, aber es gab keine Saxofonschule in meiner Stadt. Deshalb ist Sprache für mich auch ein Instrument. Ich komponiere, ich spiele, und ich versuche, in der Sprache meinen eigenen Klang, eine neue Sprache zu finden. Und diese neue Sprache ist wie ein Fluss, ein Fluss ohne Grenzen. Deshalb lese ich unbändig wie ein Fluss, exzessiv.

Sie sind mit zwei Sprachen aufgewachsen. Mit Ihrer Mutter haben Sie Suaheli gesprochen und mit Ihrem Vater Französisch. Französisch, die Sprache, in der Sie schreiben, ist ja auch die Sprache der einstigen Kolonialherren. Was macht das mit Ihnen?

Französisch ist eine koloniale Sprache. Für mich ist das eine fiktive Sprache, eine falsche Sprache - aber eben auch eine persönliche Sprache, wenn ich es schaffe, darin eine neue Sprache zu bauen.

Für mich es gibt zwei afrikanische Literaturen. Es gibt eine große Tradition der afrikanischen Literatur in afrikanischen Sprachen, eine schriftliche und eine mündliche. Ich mache viele Performances. Wenn ich meinen Text vortrage, lese ich wie ein afrikanischer Erzähler. Ich versuche, eine Brücke zwischen mündlicher und schriftlicher Literatur zu bauen. Für mich ist alles eine Frage der Brücke. Zwischen Graz und Kongo, zwischen mir selbst und Kongo, zwischen meiner afrikanischen und der österreichischen Erinnerung. Ich lebe über zwei Kontinente, in verschiedenen Sprachen. Ich lese französische und deutsche Literatur, lebe in Österreich, publiziere in Frankreich - es ist wichtig, immer Brücken zu bauen.

Das Gespräch führte Sabine Kieselbach.

Fiston Mwanza Mujila: Tram 83, aus dem Französischen übersetzt von Lena Müller und Katharina Meyer, Paul Zsolnay Verlag, Juli 2016