Firmenflucht aus Hellas
30. November 2015Alarmierend erscheinen die Zahlen, mit denen neulich Savas Rombolis, Leiter des gewerkschaftsnahen "Instituts für Arbeit" in Athen, in der Zeitung Ta Nea aufwartet: Von den knapp elf Millionen Griechen gehen nur 3,6 Millionen einer Arbeit nach. Weitaus mehr Menschen, nämlich 3,9 Millionen, sind erwerbslos oder pensioniert. Hellas wird zum Land der Arbeitslosen und Rentner. Das liegt wohl auch daran, dass immer mehr Unternehmer aufgeben oder das Land verlassen, wodurch Zehntausende Arbeitsplätze wegfallen.
Der griechische Einzelhandelsverband ESEE warnt vor einer regelrechten Firmenflucht: Seit dem Sommer hätten über 60.000 griechische Unternehmen eine Steuernummer in Bulgarien beantragt und ihre wirtschaftliche Tätigkeiten teils oder vollständig dorthin verlegt, sagt ESEE-Vorsitzender Vassilis Korkidis der Zeitung Kathimerini. Weitere 10.000 Firmeninhaber ziehen derzeit nach Zypern um, meint Korkidis, der selbst ein Elektrohandel-Unternehmen in dritter Generation führt.
Die vorübergehende Schließung der Banken und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen in Hellas haben das Problem deutlich verschärft, berichtet das Business-Netzwerk Endeavour Greece. Nach einer Umfrage des Netzwerks im vergangenen Juli hätten 13 Prozent der befragten Unternehmer zu dem Zeitpunkt Griechenland bereits verlassen, während sich weitere 23 Prozent nach Möglichkeiten der Sitzverlegung erkundigten.
"Nach Einführung der Kapitalverkehrskontrollen haben sich viele Unternehmer in ihrer Existenz bedroht gesehen, zumal die griechische Industrie stark von Importen abhängig ist", erklärt die Sprecherin von Endeavour Greece, Anna Zilakou, im Gespräch mit der DW. Als Beispiel führt sie ein affiliiertes Unternehmen an, das Softdrinks herstellt: Fast alle Zutaten kämen zwar aus heimischer Produktion, doch das erforderliche Verpackungsmaterial aus Aluminium müsse nach Griechenland importiert und von Athen aus bezahlt werden. Doch dies sei kaum möglich bei der Beschränkung des Kapitalverkehrs.
Flucht vor Bürokratie und Steuerpolitik
Zudem versuche die eine oder andere griechische Firma der notorischen Bürokratie und Planungsunsicherheit in Hellas zu entgehen. Vor allem die Steuerpolitik bereite vielen Geschäftsleuten Kopfzerbrechen - ob mit oder ohne Einschränkungen im Kapitalverkehr. "Steuergesetze werden ständig geändert. Insofern ist es für die Unternehmen gar nicht möglich, eine mehrjährige Finanzplanung aufzustellen", klagt Zilakou.
Vor allem in den ersten Tagen nach Einführung der Kapitalkontrollen würden griechische Firmen, die ins europäische Ausland exportieren, vor schier unüberwindbaren Problemen gestellt, berichtet Olga Dimopoulou, deutsch-griechische Anwältin mit Sitz in Köln. "Ganze LKWs blieben in Deutschland oder in Italien hängen, weil die Fahrer oder die Unternehmer selbst keinen Zugriff mehr auf ihre Konten hatten, um Geld abzuheben und die LKWs zurück nach Griechenland zu schicken", erläutert Dimopoulou im Gespräch mit der DW.
Für Unternehmer, die nicht willens oder in der Lage sind, ihren Sitz außer Landes zu verlegen, steht allerdings auch ein Ausweichmanöver zur Verfügung: Ein Gesellschaftskonto im Ausland, etwa in Deutschland. Dadurch würden Rechnungen an deutsche Lieferanten rechtzeitig gezahlt, zudem hätte der Kontoinhaber mit einer ausländischen Kundenkarte auch von Griechenland aus Zugriff auf sein Geld, wenn er Bargeld abheben möchte, sagt Dimopoulou.
Allerdings: "Die verfügungsberechtigte Person, also meistens der Vertreter der Gesellschaft, muss hierher anreisen, um sich zu legitimieren. Die Banken oder der jeweilige Prokurist will sich ein persönliches Bild machen von dem Mandanten, damit er weiß, mit wem er es zu tun hat", mahnt die Anwältin.
Alarmierende Umfragewerte
Trotz anders lautender Zusagen seitens der Regierungspolitiker in Athen bleiben Kapitalkontrollen weiterhin in Kraft und sollen, dem Vernehmen nach, frühestens im zweiten Halbjahr 2016 aufgehoben werden. Wer die Politiker alarmieren will, findet nicht leicht Gehör. Als etwa ESEE-Chef Korkidis in einer TV-Debatte kurz vor der jüngsten Parlamentswahl den Linkspolitiker Nikos Filis auf das Problem der Firmenflucht ansprechen wollte, explodierte Filis vor laufender Kamera und warf dem Unternehmer vor, durch derartige Äußerungen die Firmenflucht erst recht anheizen zu wollen.
Umso alarmierender sind die jüngste Umfragewerte: Laut einer in der Wochenzeitung To Vima veröffentlichten Umfrage, der ersten nach der Parlamentswahl im September, käme die regierende Linkspartei Syriza heute nur noch auf 18,4 Prozent der Stimmen, während die konservative Opposition mit 14,9 Prozent ebenfalls erschreckend niedrig liegt. Damit hätten die beiden großen Parteien innerhalb von nur zwei Monaten nach dem Urnengang bereits die Hälfte ihrer Wähler verloren.