Filmregisseurin Agnès Varda gestorben
29. März 2019Mit 90 Jahren stand sie im Februar noch auf der Bühne im Scheinwerferlicht und nahm die Berlinale-Kamera entgegen - eine Auszeichnung des Festivals für diejenigen, die der Berlinale besonders verbunden sind. Jetzt ist die Regisseurin im Alter von 90 Jahren gestorben. Viermal war Agnès Varda zuvor mit ihren Filmen im Wettbewerb der Berlinale vertreten, sie war als eine gute Freundin der Berlinale. 1965 hatte sie bereits in Berlin den Großen Preis der Jury für "Le Bonheur" (dt. Titel: "Glück aus dem Blickwinkel des Mannes") bekommen, zuletzt war sie hier 2004 mit ihrem Kurzfilm "Le lion volatil" vertreten.
Filmischer Rückblick auf das eigene Leben
Jetzt war sie mit der Berlinale-Kamera geehrt worden - und nicht nur das. Varda hatte ihren neuesten Film im Gepäck, der wurde auf großer Leinwand im Berlinale-Palast gezeigt: "Varda par Agnès" ist eine Dokumentation über ihr Leben und ihr Werk. Kein nostalgischer oder wehmütiger Rückblick, das war nicht das Ding dieser Regisseurin. Vielmehr ist "Varda par Agnès" ein typisches Werk für sie, ironisch und heiter, auch tiefgründig und reflektiert. Als Dokumentation mag man ihren Film eigentlich nicht klassifizieren - herkömmlichen Kategorien hat sie sich immer schon entzogen.
Agnès Varda war eine Filmemacherin, die stets zwischen Dokumentation und Spielfilm, zwischen Essay und Kunst wechselte. Sie war eine europäische Film-Künstlerin im besten Sinne des Wortes, die sich konsequent dem Kommerz-Kino verweigert hat. So überraschte es auch viele, als die Oscar-Akademie 2017 beschloss, ausgerechnet der Autoren-Filmerin aus Frankreich einen Ehrenoscar für ihr Lebenswerk zu verleihen: Varda und die goldene Statuette aus Hollywood, die wie kaum ein anderer Preis für Glanz und Glamour steht - wie passte das zusammen?
Über die Kunst, die Literatur und die Fotografie zum Kino
Agnès Varda war die Tochter eines Griechen und einer Französin. Geboren wurde sie am 30. Mai 1928 in Brüssel. Aufgewachsen ist sie an der südfranzösischen Küste. Sie war kein Kind des Kinos, sondern der Literatur, der Fotografie und der bildenden Kunst. Sie kam zum Kino mit nur wenig Erfahrung. Als sie 1955 ihren ersten Film "La Pointe Courte" auf die Leinwand brachte, soll sie zuvor erst zehn Filme im Kino gesehen haben. Eher interessierte sie sich für die großen Schriftsteller, Künstler und Fotografen. "Die Fotografie hört nicht auf, mir beizubringen, wie man Filme macht", hat sie später einmal gesagt.
Später wurde Agnès Varda aber dann doch zu einer Frau des Kinos. Eigentlich wie keine andere in Frankreich, dem Geburtsland des Kinos. Doch Varda stand lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen, Jean-Luc Godard und François Truffaut, Claude Chabrol, Jacques Rivette und Eric Rohmer. Sie galten als die Revolutionäre des Kinos, als Begründer der berühmten Nouvelle Vague, die zu Beginn der 1960er Jahre für eine Wiedergeburt des französischen Films gesorgt hatte. Von Varda war in diesem Zusammenhang weniger die Rede. Was auch daran lag, dass die 1928 geborene Filmemacherin nicht im Umkreis von Truffaut und Godard verkehrte, die über das Schreiben von Kinokritiken zum Film gekommen waren.
Vorreiterin der Nouvelle Vague
Dabei hätte die Filmgeschichtsschreibung allen Grund gehabt, Agnès Varda früh zu beachten, schließlich nahm ihr Debüt 1955 vieles vorweg, was ihre männlichen Kollegen ein paar Jahre später in heute berühmten Werken wie "Außer Atem" oder "Sie küssten und sie schlugen ihn" ausarbeiteten: eine unkonventionelle Dramaturgie, filmische Experimente mit Kamera, Schnitt und Montage, ein Zusammenspiel von Spiel- und Dokumentarfilmelementen. "All das Neue, womit die Nouvelle Vague die 'Tradition der Qualität' herausfordern wird, (ist) bereits in Vardas Erstling vorhanden: produktionstechnisch, in der Geisteshaltung und ästhetisch", skizzierten die Kritiker Miriam Fuchs und Norbert Grob später den Werdegang der Regisseurin.
Und in späteren Jahren wurde Agnès Varda dann auch dazugezählt, wenn von den großen französischen Erneuerern des Kinos die Rede war - stets mit dem Zusatz: die einzige Frau der Nouvelle Vague. Dass Varda lange nicht so wahrgenommen wurde, lag vielleicht auch daran, weil sie eben gerade eine Frau war: Das Schreiben über das Kino war ja auch eher Männersache. Das hat sich inzwischen geändert. Und so ist auch Varda in den letzten Jahren vielfach ausgezeichnet, geehrt und gefeiert worden.
Zwiespältiges Verhältnis zu Hollywood
Mit dem Oscar hat Varda den meisten der Nouvelle-Vague-Heroen sogar etwas voraus: Weder Chabrol noch Alain Resnais, weder Rohmer noch Rivette wurden mit der Trophäe bedacht. Einzig Truffaut bekam 1974 einen für seine "Amerikanische Nacht". Jean-Luc Godard wurde 2010 ein Ehrenoscar angetragen. Der bärbeißige Regisseur machte sich allerdings nichts aus der Auszeichnung, reiste nicht nach Los Angeles, um sich die Statuette abzuholen: "Eine so lange Reise für ein Stück Metall?"
Varda zeigte sich dem amerikanischen Filmpreis aufgeschlossener. Sie sei eine kleine Königin am Rande des Kinos, sagte sie in einem Interview. Dass man sie bei der Akademie in Los Angeles wahrgenommen habe, habe sie sehr berührt. Dabei war ihr Verhältnis zum amerikanischen Kino immer zwiespältig gewesen.
Die Regisseurin hatte sich in den 1960er Jahren, als sie mit ihrem Mann, dem Regisseur Jacques Demy, einige Jahre in den USA lebte und Filme drehte, beharrlich geweigert, kommerzielle Angebote der großen Filmstudios anzunehmen. Varda legte stets allergrößten Wert auf ihre künstlerische Unabhängigkeit. Hollywood wollte ihr das nicht gewähren.
Und so war der Preis, den sie kürzlich von einem der großen, alten und traditionsreichen europäischen Filmfestivals bekommen hatte, sicher auch einer, über den sie sich besonders freuen konnte. "Um ehrlich zu sein, haben meine Filme niemals wirklich Geld eingebracht", sagte Varda im Februar in Berlin. Es sei ihr nie ums Geld gegangen. Aber, so die 90-jährige Filmemacherin ein wenig stolz: "Ich habe ein paar Groupies, Freunde und Follower. Das ist ein gutes Gefühl."
Man wird Agnès Varda so in Erinnerung behalten: ein wenig verschmitzt, ungemein sympathisch und liebenswert - dazu klug und mit einem analytischen Blick auf die Kinogeschichte ausgestattet.