"Grâce à Dieu": Ozon gegen die katholische Kirche
8. Februar 2019Es gibt mittlerweile so viele internationale Filme, die sich mit der Thematik des sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester oder Bischöfe beschäftigen, dass man sich fragt, was ein weiterer dem noch hinzufügen könnte. Doch der Altmeister des französischen Films, François Ozon, hat sich entschieden, einen Skandal aus der jüngsten Vergangenheit Frankreichs als Spielfilm auf die Kinoleinwand zu bringen, basierend auf den realen Geschehnissen.
Der Fall des Priesters Bernhard Preynat in Lyon hat landesweit Schlagzeilen gemacht. Ozons Film "Grâce à Dieu" (2019) hatte jetzt seine Weltpremiere auf der Berlinale - wenige Wochen vor einem wichtigen Gerichtstermin im laufenden Justizverfahren um den Missbrauchsskandal.
Zahlreiche Klagen
Angeklagt sind mehrere katholische Würdenträger und Kirchen-Mitarbeiter, die den Missbrauch durch den Priester jahrelang vertuscht haben sollen. Mindestens 70 Kinder und Jugendliche, meist Jungen, soll Preynat zwischen 1986 und 1991 sexuell missbraucht haben. Vor Gericht muss sich jedoch zunächst der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, verantworten: Er ist wegen "Nichtanzeige" und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Auch sechs Mitarbeiter der Diözese sitzen auf der Anklagebank. Das Urteil soll am 7. März 2019 gefällt werden.
In einem separaten Gerichtsverfahren wird auch der beschuldigte Priester Bernhard Preynat noch vor Gericht gestellt werden. Ein Termin dafür steht bislang nicht fest. Seit seiner Anklage im Jahr 2016 wurde Preynat unter richterliche Aufsicht gestellt.
Preynat selbst geht auch vor Gericht: Er möchte den Start des Spielfilms in Frankreich verhindern. "Grâce à Dieu" soll dort am 20. Februar in den Kinos anlaufen. Auch die im Film vorkommende Kirchenpsychologin Regine Maire, die für die Priester in der Diözese Lyon zuständig ist, klagt ebenfalls gegen die Produktionsfirma. Sie fordert, dass ihr Name aus der Filmhandlung entfernt wird.
Druck der katholischen Kirche
Regisseur Ozon sagte am Donnerstag (08.02.2019) auf der Pressekonferenz vor der Premiere in Berlin, dass seine Darstellung im Film tatsachengetreu und authentisch sei. Er sehe keine Gefahr, dass sein Kinofilm Einfluss haben könnte auf den Verlauf des Prozesses. "Alles, worüber ich in meinem Film spreche und alles, was ich dort erzähle, ist bereits in der französischen Presse erschienen", betonte er vor der Presse in Berlin.
Die Filmproduktion bekomme natürlich den Druck seitens der katholischen Kirche stark zu spüren, räumte der französische Regisseur ein. "Sie haben den Film noch nicht einmal gesehen, und greifen uns im Grunde genommen aus Prinzip an."
Investigative Recherche im Film
Noch bevor Ozon dieses brisante Thema für seinen neuen Film entdeckte, hatte der erfahrene Filmemacher seit langem ein Drehbuch verfilmen wollen, in dem Männer im Vordergrund stehen. Sein Kinofilm "8 Frauen", mit dem er 2002 einen großen Erfolg hatte, widmet sich ausschließlich starken Frauenfiguren.
Dann stieß er auf die Webseite einer Vereinigung namens "La Parole Libérée" ("Die Last des Schweigens brechen"). Dort werden Zeugenaussagen, Briefe und Emails von Missbrauchsopfern gesammelt, die an die katholische Kirche in Lyon geschrieben wurden - und unbeantwortet blieben. Dokumentiert wurde dort auch die Untätigkeit und das Vertuschen seitens der Kirchenhierarchie, obwohl das kriminelle Verhalten des katholischen Priesters seit Jahren bekannt war.
Ein Dokumentarfilm wäre zuwenig gewesen
Anfangs dachte François Ozon noch, er würde den Stoff in einem Dokumentarfilm umsetzen. Aber nachdem er einige der Opfer persönlich befragt und auch deren Familien interviewt hatte, war dem erfahrenen Regisseur klar, dass er dafür eine andere Form wählen musste. Viele der Betroffenen hatten ihre Erlebnisse schon vor der Kamera erzählt. Ein fiktiver Spielfilm würde ihre Leidensgeschichte und auch ihren Schmerz, der ihnen weiterhin durch das Schweigen der Kirchenhierarchie zugefügt wurde, besser darstellen und dramatisch zuspitzen können.
Die Namen der Opfer wurden im Drehbuch alle verändert, die der Täter und der Mitwisser innerhalb der katholischen Kirche aber wurden im Film beibehalten. Darauf stützt sich auch der Rechtsstreit vor dem Filmstart in Frankreich.
Drei Hauptfiguren und ein Netzwerk von Opfern
Der in drei Teile gegliederte Film konzentriert sich auf Figuren mit sehr unterschiedlichen Geschichten und Funktionen, "die sich den Stab weitergeben wie bei einer Staffel", erklärte Ozon in Berlin.
Alexandre, dargestellt von Melvil Poupaud, hat höchsten Respekt vor der Kirche als Institution. Er ist bereits 40 Jahre alt, hat eine erfolgreiche Karriere in einer Bank und erzieht gemeinsam mit seiner Frau, die ihn in allem unterstützt, seine fünf Kinder als Katholiken.
Nachdem er entdeckt, dass der Priester, der ihn als Kind missbraucht hat, noch immer mit Kindern arbeitet, drängt Alexandre die Kirchenoberen, ihn aus dem Kirchendienst zu entlassen. Als er damit erfolglos bleibt, zeigt er den Erzbischof von Lyon an.
Durch die anschließende Untersuchung wird ein weiteres Opfer, François (Denis Menochet), in den Fall verwickelt. Als Atheist hat er keinerlei Berührungsängste gegenüber der Kirche, macht den Fall mutig publik und gründet einen Verein, um so viele Opfer wie möglich aufzuspüren - da die meisten Fälle nach zwanzig Jahren schon verjährt sind, ist es entscheidend für den Prozess, Zeugenaussagen aus jüngerer Zeit zu finden.
Rolle des Bürgertums
Während die beiden ersten Männer gut situiert sind, hat die dritte Hauptfigur Emmanuel (Swann Arlaud) mit einem schwierigen sozialen Umfeld zu kämpfen, und die Folgen des Missbrauchs haben einen größeren Einfluss auf sein weiteres Leben gehabt.
Ozons nuancierte Darstellung dieser Männer und ihres familiären Hintergrunds zeigt, wie Lyons gebildetes, konservatives Bürgertum es mit Bedacht vermieden hat, sich einer mächtigen katholischen Institution entgegenzustellen, deren Strukturen mit ihrem eigenen Privileg und Reichtum verflochten sind.
Die Eröffnungssequenz des Films zeigt den Kardinal auf der Terrasse der Lyoner Basilika mit einem atemberaubenden Blick auf die französische Stadt - eine visuelle Metapher für die Macht, die die Kirche über die Stadt besitzt, die seit dem zweiten Jahrhundert eine Wiege des Christentums ist.
Dreh in Belgien und Luxemburg
Abgesehen von den Dreharbeiten für die Außenszenen versuchten Ozon und seine Produzenten gar nicht erst, sich um die Erlaubnis zu bemühen, in den Kirchen der Stadt zu filmen. Sie arbeiteten stattdessen heimlich in Belgien und Luxemburg, da sie dem Einfluss des Klerus entgehen wollten.
Kommende Woche ist in Lyon eine Vorschau von "Grâce à Dieu" geplant, und der Filmemacher ist gespannt, ob Kardinal Barbarin auftauchen wird, um den Film zu sehen.
Andere Kirchenmitglieder haben Ozon bereits dafür gedankt, dass er die Dinge durcheinander gewirbelt habe. Seiner Ansicht nach hoffen viele Geistliche auf eine echte Veränderung: "Viele gewöhnliche Katholiken haben es satt, dass ihre Religion mit Pädophilie in Verbindung gebracht wird und wollen, dass die Kirchenoberen das Problem ein für alle Mal lösen."
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