Das neue Fußball-Technologie-Zeitalter
6. Dezember 2021Der Fußball-Weltverband FIFA beschäftigt einen Direktor für "Fußballtechnologie und -innovation" - Johannes Holzmüller heißt der Mann. Der 40-Jährige aus Friedberg bei Augsburg erklärte vor einigen Tagen (am 29.11.2021) der Fußballwelt stolz die neueste technische Errungenschaft des Verbandes, die gerade erstmals in Katar beim Arab Cup eingesetzt wird: Man habe unter den Dächern der Stadien in Doha jeweils zwischen zehn und zwölf Kameras installiert. "Mit Hilfe künstlicher Intelligenz sind wir in der Lage, 50 Mal pro Sekunde jeweils bis zu 29 Punkte am Skelett jeden Spielers zu überwachen und mit der Position des Balles abzugleichen", so der Deutsche stolz.
Was sich wie Fach-Vokabular aus einer Spionageaffäre anhört, soll dem Fußball die Lösung bei einer ebenso alten wie einfachen Streitfrage bieten: Abseits – ja oder nein? Die in Zehntelsekunden berechneten Daten werden in Echtzeit an den Video-Assistenten übermittelt, so dass dieser bei strittigen Fällen gleich die Antwort parat hat.
Unerhörtes technisches Niveau
Dass solcherlei erstmals beim derzeit stattfindenden Arab Cup in Katar zum Einsatz kommt, mag Zufall sein. Es passt aber auch zum generellen Eindruck des Testturniers für die Fußball-WM 2022: Es findet auf einem nahezu unerhörten technischen Niveau statt, wie es weltweit bisher einzigartig sein dürfte. Was kaum verwundert, schließlich spielt Geld im superreichen Emirat keine Rolle – es ist einfach genügend da. Für alles.
Für die anreisenden Fans beginnt der Gigantismus bereits am Flughafen. Sie landen auf dem 2014 eröffneten Hamad International Airport rund zehn Kilometer vor der Stadt. Vom rund elf Milliarden teuren Flug-Drehkreuz Dohas geht es über die mehrspurige Autobahn - oder besser noch in der 2019 eröffneten Metro - innerhalb weniger Minuten ins Stadtinnere.
Alle Stadien sind mit der Metro verbunden
Die rund 40 Milliarden teure U-Bahn ist auch für den Transport zwischen den acht WM-Stadien von Bedeutung. Die sind sämtlich ans Metro-Netz angeschlossen – so liegen alle Arenen maximal 40 Minuten Fahrzeit auseinander. Arab Cup und damit auch die WM im nächsten Jahr sind Turniere der kurzen Wege, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat. Für Fans ist es theoretisch kein Problem, gleich bei mehreren Spielen täglich live vor Ort dabei zu sein.
Zumindest dann, wenn sie sich eher mehr als weniger in der digitalen Welt auskennen. In Katar geht beinahe alles über das Internet und Smartphone-Apps. Um überhaupt einen Visumantrag für das Emirat stellen zu können, ist es nötig, sich mittels Passkopien, Buchungsbestätigungen, COVID-Test und Impfzertifikat auf der "Etheraz"-App des staatlichen Gesundheitswesens zu registrieren. Mit dieser Registrierung erhält man Zugang zur Visum-App. Wer diese Hürde genommen hat, kann sich online um eine sogenannte Fan-ID bemühen, mit der man wiederum Zugang zum Tickettool für die Fußballspiele bekommt. Beinahe unnötig zu erwähnen: Wissenswertes über Ort, Zeit und sonstige Informationen zu Spielen, Stadien und zur Verfügung stehenden Hotels des Turniers, ist ausschließlich online zu erfahren. Gedrucktes Papier ist nahezu aus der Welt Katars verschwunden.
Datenschutz und Persönlichkeitsrechte
Datenschutz und Persönlichkeitsrechte sind unter diesen Umständen mutmaßlich eher heikle Themen. All jene, die beim Arab Cup oder dann nächstes Jahr bei der WM dabei sein wollen, werden zu gläsernen Menschen. Aufenthaltsort und Bewegungs-Profil des Katar-Besuchers sind im Prinzip jederzeit einsehbar.
Wer sich trotz allem für einen Besuch entschieden und bis Doha durchgeschlagen hat, darf hinein: in eines oder mehrere der acht flammneuen Stadien, die seit der WM-Vergabe 2010 aus Katars steinigem Boden gestampft worden sind. Die acht Bauwerke, die mit etwa vier Milliarden Euro Baukosten zu Buche schlugen, gelten aus rein architektonischer Sicht als wahre Wunderwerke.
Beispielhaft mag das al-Bayt-Stadion in Al-Khor stehen, das mit dem Eröffnungsspiel des Arab Cups eingeweiht wurde und in dem auch die WM 2022 ihren ersten Anstoß erleben wird. Es verfügt über 60.000 Zuschauerplätze, wobei der Oberrang nach der WM entfernt und zu einem Fünf-Sterne-Hotel umgebaut werden soll.
Das Stadion besitzt ein schließbares Dach und soll von außen an ein traditionelles Beduinen-Zeltlager erinnern. Im unmittelbaren Umfeld des Stadions wird ein Resort entstehen, das unter anderem ein Einkaufszentrum und eine Mehrzweckhalle beinhaltet. Für das Design der 770 Millionen Euro teuren Arena, die Baupraktiken und die Effizienz des Energiezentrums erhielt das Stadion diverse Zertifikate und Sterne in einer Nachhaltigkeitsbeurteilung von der Golf-Organisation für Forschung und Entwicklung (GORD).
500 Düsen sorgen für kalte Luft
Repräsentativ ist auch das Stadion Al Janoub - 2019 nach fünf Jahren Bauzeit fertiggestellt. Es verfügt über 40.000 Sitzplätze, ein schließbares Dach und – wie alle Stadien - ein umfassendes Kühlsystem für die gesamte Arena. Durch eine Klimaanlage mit 500 Düsen wird aus kaltem Wasser gewonnene kühle Luft in die Arena geblasen.
Inwieweit das Turnier 2022 tatsächlich als erste klimaneutrale WM in die Geschichte eingehen kann, ist schwer nachzuprüfen. In einem Dokument der Organisatoren zur Nachhaltigkeitsstrategie der Veranstaltung werden die Verringerung von Emissionen, energieeffiziente Stadien und kurze Transportwege angekündigt. Was beim laufenden Betrieb der Stadien allerdings auffällt, ist die gleichbleibende starke Geräuschkulisse rund um die Stadien. Es ist das Dröhnen der unzähligen – mit Diesel betriebenen – Stromgeneratoren, die auf Hochtouren laufen.
Nach der WM wird die Hälfte der Al Janoub-Sitzplätze entfernt und für Fußballentwicklungsprojekte nach Übersee verschifft. Im Zuge der Nachhaltigkeit sind um das rund 600 Millionen Euro teure Stadion mehrere sportliche Einrichtungen wie Sporthallen und Tennisplätze sowie großflächige Eventlocations mit Einkaufsgeschäften, Restaurants und einem Vier-Sterne-Hotel entstanden.
Stadion aus alten Schiffscontainern
Ein Clou aus technischer Sicht ist das Ras Abu Aboud Stadium, das ebenfalls im Herbst 2021 eröffnet wurde. Das 40.000 Zuschauer-Stadion auf einer künstlich angelegten Halbinsel ist laut FIFA eine der modernsten und innovativsten Spielstätten, die die Welt je zu Gesicht bekommen hat. Ihre Besonderheiten: Fast alle Teile sind modular und bestehen aus insgesamt 974 recycelten Schiffscontainern. Nach der WM soll das komplette Stadion demontiert und die Einzelteile in anderen Bereichen wiederverwendet werden.
Wie schön das alles aussieht und wie gut es funktioniert, wird beim Arab Cup schon einmal stolz präsentiert. Ein kleines Detail aber haben selbst die perfekten Katarer vergessen: die Torlinientechnik. So durfte sich im zweiten Gruppenspiel der Gastgeber in der Nachspielzeit (es stand zwischen Katar und Oman 1:1) kurzerhand der Videoschiedsrichter in die Partie einschalten: der Ball habe soeben kurzzeitig die Torlinie des Oman überschritten. In der Zeitlupe war zu sehen, dass dies womöglich nicht der Fall war – egal: Tor zum 2:1 für die Gastgeber.